„Es reicht" war die Formulierung, mit der sich die ÖVP aus dem rot-schwarzen Kabinett Gusenbauer katapultierte - und für nicht wenige ÖVP-Funktionäre gilt diese Formel noch immer: Es reicht ihnen, den kleinen Koalitionspartner der SPÖ spielen zu müssen. Diese Widerspenstigen wird der künftige Vizekanzler im Kabinett Faymann, Josef Pröll, befrieden müssen. Zuerst heute, Montag, im Parteivorstand und am Freitag beim Parteitag in Wels, wo er nicht nur die neue Regierung, sondern auch sich selbst als ÖVP-Chef absegnen lassen muss.
Während es seitens der Präsidenten der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung Freudenbekundungen über die große Koalition gab - Christoph Leitl war „sehr, sehr erleichtert", Veit Sorger lobte den „verlässlichen EU-Kurs" - muss Josef Pröll bei anderen Parteifreunden noch Überzeugungsarbeit leisten.

„Das falsche Signal"

Bei einigen ist diese Mühe von vornherein vergeblich. Der Kärntner VP-Chef Josef Martinz gab sofort nach der rot-schwarzen Einigung zu Protokoll, dass er diesem „falschen Signal" im Vorstand „selbstverständlich" nicht zustimmen werde: „Mit den Roten kann man keinen Staat machen."
Auch die Skepsis des burgenländischen VP-Obmanns Franz Steindl hat sich nicht gelegt, er lässt offen, ob er dieser Koalition zustimmt.
Auch die steirische ÖVP, die dem Vernehmen nach mit einer Truppe rund um Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel bis zuletzt FPÖ und BZÖ umworben haben soll und das neue Rot-Schwarz wegputschen wollte, drohte am Sonntag schon einmal mit schärferer Gangart. „Wir werden mit dieser Koalition leben müssen, aber es wird sicher einen anderen Kurs als bisher geben", sagte der steirische VP-Landesgeschäftsführer Bernhard Rinner zum Standard: „Früher haben wir auf das Ganze der Partei geschaut, künftig werden wir mehr auf unsere subjektiven Interessen achten."
Überhaupt sorgte Prölls Vorgehen in den Koalitionsverhandlungen nicht nur für Begeisterungsstürme in der ÖVP. Sein Standing sei nicht unbedingt besser geworden, heißt es, im Gegenteil: „Er ist als ewige Hoffnung mit vielen Vorschusslorbeeren angetreten. Jetzt ist die Zeit des Sonnenscheins vorbei."
In den Verhandlungen habe Josef Pröll sehr viel an sich gezogen, Zwischenstände wenig kommuniziert, auch gegenüber bisherigen Regierungsmitgliedern. Anders als Faymann müsse er das Resultat aber der Partei noch verkaufen. Etwa dem ÖAAB, der sich schlecht bedient fühlen könnte.
In der Tat gibt es im ÖAAB Enttäuschung darüber, dass die Arbeitnehmer in der ÖVP immer weniger Gewicht haben - und wenn, dann nur in Person des Beamtengewerkschafters Fritz Neugebauer. Westösterreich ist im ÖVP-Parlamentsklub nur mit einer Abgeordneten - Anna Franz aus Vorarlberg - vertreten und der Arbeitnehmerflügel ist besorgt, dass die Bauernbündler im Umfeld von Pröll im Osten vor allem auf die Niederösterreicher und im Westen auf andere Bauernbündler hören werden.

„Neugründung der ÖVP"

„Substanzlosigkeit" nennt ein ÖVP-Insider das Problem der Volkspartei. Pröll müsse sich schleunigst an eine Reform machen, um das Zusammenspiel zwischen Regierungsteam, Klub, politischer Akademie und Parteizentrale neu zu orchestrieren. Letztere etwa sei auch personell völlig ausgeblutet: „Und jene, die noch da sind, sind völlig kaltgestellt."
Ein ÖVP-Veteran, Ex-Parteichef Erhard Busek, sieht Pröll vor großen Aufgaben. Nicht weniger als eine „Neugründung der Partei" sei nötig, sagte Busek im Gespräch mit dem Standard: „Die ÖVP war noch nie so wenig wie jetzt. Wir haben nur noch vier Landeshauptleute. Programmatisch ist nichts los, nur Kuddelmuddel, keine Linie. Die ÖVP muss klarstellen, wofür sie steht, und sich personell erneuern. Junge Leute nach vorn lassen, nicht nur im Bund und in der Parteizentrale, auch in den Landesparteien."

Traut Erhard Busek Josef Pröll diese programmatische Neuerfindung der Volkspartei zu? „Ja, wenn er sich die richtigen Leute dazu sucht." (DER STANDARD-Printausgabe, 24.11.2008)