Wien - Dass die Wahrheit eine Tochter der Zeit ist, hat der ÖVP-Politiker Andreas Kohl seinerzeit natürlich nicht selbst erkannt, er hat einen alten Römer zitiert. Am Mittwochmorgen war die Wahrheit wieder in der Nähe der ÖVP:Im Saal 304 des Wiener Landesgerichtes startete der Prozess von Herwig Haidinger, ehemaliger Direktor des Bundeskriminalamtes, gegen die Volkspartei.

Der Hintergrund:Kurz vor der Nationalratswahl hatte VP-Sicherheitssprecher Günter Kössl eine Aussendung getätigt, in der er SPÖ-Politiker attackierte. Dort bezeichnete er aber auch das "Duo Pilz/Haidinger als Garant für Lügen und Vernaderung" und schrieb, "das Lügenkonstrukt von Haidinger" sei "zusammengebrochen" .
Kurz nach 9 Uhr sitzt Herwig Haidinger auf dem Zeugenstuhl vor Richterin Katja Bruzek. Einen Vergleich wird es nicht geben - die ÖVPwill den Lügenvorwurf nicht zurückziehen, Haidinger und sein Anwalt Alfred Noll bestehen darauf. Seriös, im Nadelstreifanzug mit passender Krawatte, bemüht sich der ehemalige Kripo-Chef, die Richterin zu überzeugen. "Ich sage die Wahrheit und habe immer die Wahrheit gesagt" , betont er.
Eigentlich müsste er das nicht, da ihm ÖVP-Anwalt Werner Suppan ja die Lüge nachweisen müsste, doch es ist Haidinger offensichtlich ein Bedürfnis. Nicht immer reagiert er auf Fragen der Richterin sofort, sondern zitiert noch aus Akten Passagen, die ihm wichtig sind. Ein Mann, der nicht nur um seine Ehre kämpft. Sondern auch darum, zu beweisen, dass er recht hat.

Er steht zum Großteil der Aussagen, von denen die ÖVPbehauptet, es seien Lügen. Etwa, dass Kabinettmitglieder von Innenministerin Liese Prokop von ihm wollten, dass er Akten zum Fall Bawag zuerst an den ÖVP-Klub schicken sollte, bevor sie ans Parlament gingen. Dass ihm gesagt worden sei, er solle hinsichtlich Ermittlungspannen im Fall Kampusch nichts unternehmen, da man "keinen neuen Polizeiskandal" brauche.
"Wenn Sie den Verdacht hatten, dass etwas Unrechtmäßiges passiert, haben Sie das ihren Vorgesetzten gemeldet?" , will die Richterin wissen. "Oder haben Sie die Dinge an die Öffentlichkeit gebracht, nachdem Ihr Dienstvertrag nicht mehr verlängert worden ist?" Da gäbe es überhaupt keinen Zusammenhang, schließlich habe er schon 2007 von Innenminister Platter erfahren, dass er seinen Job verlieren würde. Erste Vorwürfe erhob er tatsächlich erst im Februar 2008 in einem APA-Interview.

"Ich will es gar nicht wissen"

ÖVP-Anwalt Suppan fährt eine andere Strategie. Er sagt, dass gegen Haidinger Verfahren wegen angeblich falscher Zeugenaussagen anhängig sind. Und dass er mögliche Malversationen eben nicht an seinen Vorgesetzten, den Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, weitergegeben habe. "Doch, ich habe mich mit ihm getroffen, und da hat er mir gesagt, dass das Kabinett etwas gegen mich hat. Ich habe erwidert, dass ich genau weiß warum, worauf er ,ich will es gar nicht wissen‘ geantwortet hat" , kontert Haidinger.
Der Prozess wurde für Zeugeneinvernahmen auf unbestimmte Zeit vertagt, um unter anderem zu prüfen, ob Haidinger gerne etwas gemeldet hätte und es nur der Vorgesetzte nicht hören wollte. Es wird also noch einige Zeit dauern, bis deren Tochter gefunden wird. (Michael Möseneder, DER STANDARD-Printausgabe, 19. März 2009)