Krejci zur Lage der Wiener ÖVP: "Die Stimmung ist: Was will man schon Opposition machen?"

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"Herr Bundeskanzler, ich bin nicht so schwarz, wie Sie glauben", sagte Krejci einst zu Kreisky.

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Früher Spaziergänge und Theater, heute stete Medienbeobachtung: "Politiker kommen nicht mehr zum Nachdenken darüber, was sie tun."

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"Immer freundlich und sachlich orientiert": Krejci pflegte stets überparteiliche Freundschaften, mit Vranitzky konnte er genauso wie mit Androsch.

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"Nur eine Bitte", sagt Herbert Krejci vor dem Interview, "ich möchte nicht als alter Depp erscheinen, der alles besser weiß." Der langjährige Generalsekretär der Industriellenvereinigung gilt als einer der letzten großen bürgerlich-liberalen Geister in Österreich. Im Gespräch mit derStandard.at übt der 88-Jährige sich - wenn auch milder als früher - in Kritik an der ÖVP, beschreibt den Niedergang der Parteienpolitik und erinnert sich an die Niederlage der Industrie bei der Atomkraft.

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derStandard.at: Herr Krejci, Sie gelten als Bürgerlicher, andererseits sind Sie mit der ÖVP öfter hart ins Gericht gegangen. 1991 sagten sie, "leistungsorientierte, europabewusste, dynamische Menschen" würden sich nicht mehr heimisch fühlen in der Volkspartei. Die Zeitungen spekulierten danach über Parteispaltung.

Krejci: Ich bin leider in den Geruch kommen, dass ich ein starker ÖVP-Kritiker bin. Damals habe ich mir gedacht: Irgendwann fühlt sich ein liberaler Mensch in dieser Partei nicht mehr vertreten, bei dieser Klientelpolitik, den festgezurrten Strukturen und so weiter. Aber das ist nun einmal so.

derStandard.at: Fühlen sie sich diese leistungsorientierten Menschen denn heute besser aufgehoben in der ÖVP?

Krejci: Schauen Sie, altersbedingt bin ich ein bissl weiser und milder geworden. Ich bin nicht mehr so kritisch. Als Kreisky damals Bundeskanzler geworden ist, war ich noch in der Pressestelle der Industriellenvereinigung. Ich habe mir ein Herz genommen und habe meinen Generalsekretär gefragt, ob er was dagegen hat, wenn ich persönlich dorthin gehe. Kreisky hat zu mir gesagt: "Sie sind doch eigentlich viel zu intelligent für die ÖVP. Sie gehören ja zu uns." Ich habe dann gesagt: Herr Bundeskanzler, ich bin nicht so schwarz, wie Sie glauben. Ich habe mir meine eigene Meinung bewahrt.

derStandard.at: Würde eine liberale Partei für Leistungsträger, wenn sie sich jetzt positioniert und kampagnenfähig wird, 2013 in den Nationalrat einziehen?

Krejci: Ich glaube nicht. Wer ist schon eine liberale Partei? Ich sage sehr offen, ich habe zu Zeiten, als die FPÖ noch eine liberale Komponente hatte, den Gredler gewählt (Bundespräsidentenwahl 1980, Anm.), weil er wirklich eine liberale Politik gemacht hat.

derStandard.at: Das Liberale Forum hat es immerhin einmal ins Parlament geschafft.

Krejci: Ich pflege zu Heide Schmidt ein sehr gutes Verhältnis. Ich habe sie auch bei der Bundespräsidentenwahl (1998, Anm.) gewählt. Sie ist aber fanatisiert bei zwei bis drei Punkten. Kluge Leute haben ihr gesagt: Mit Kruzifixen punktet man nicht. Wegen so was fängt man keinen Krieg an. Sie hat sich manchmal verrannt. Ich sage das mit liebevollem Bedauern.

derStandard.at: Es gibt eine Parlamentsfraktion, die sich zumindest als liberal bezeichnet: die etwas inhomogenen Erben von Haiders letzter Erfindung BZÖ. Die überzeugen Sie nicht?

Krejci: Nein, da müssen sich die Liberalen meiner Ansicht nach dagegen wehren, dass sich so etwas einen liberalen Anstrich gibt.

derStandard.at: Was läuft eigentlich falsch in der Wiener ÖVP?

Krejci: Frau Marek ist ein armer Teufel bitte, die ist hineingeworfen worfen. Die Chance, dass sie gewinnt, war nicht sehr groß. Es genügt nicht, wenn man mit einer Stretchlimousine durch die Stadt fährt und schreit, man sei geil. Das Image der Wiener ÖVP ist seit Busek nicht mehr das, was es einmal war. Derzeit ist die Stimmung: Was will man schon Opposition machen? Dabei kann man in Wien viel Opposition machen, was die Verwendung öffentlicher Mittel für bestimmte Zwecke betrifft.

derStandard.at: Warum hat die Politik für junge Menschen so an Ansehen und Reiz verloren?

Krejci: Die Parteien nehmen an Bedeutung ab, während die NGOs an Bedeutung gewinnen und Bewegungen jenseits der Parteien entstehen, die sachorientiert sind. Die konzentrieren sich auf ein Thema und versuchen dann die Parteigrenzen zu überspringen. Junge Menschen gehen nicht mehr in eine Partei. Sie sehen, dass es gewisse Mechanismen gibt, durch die der Grundkonsens der Gruppe langsam die eigene Mentalität killt. Das zweite ist, dass natürlich die materielle Versuchung einer Managerkarriere viel größer ist. Man ist nicht so unter Beobachtung wie ein Politiker. Politik ist ja heute ein mörderischer Beruf geworden.

derStandard.at: Früher nicht?

Krejci: Vizekanzler Adolf Schärf hat viele Jahre Tagebuch geführt. Nun wurden die Tagebuch-Aufzeichnungen von Schärf aus dem Jahr 1952 präsentiert. Ein interessantes Jahr, weil damals die große Umstellung in der Wirtschaftspolitik gekommen ist. Da schreibt Schärf - als Vizekanzler - immer wieder: Nachmittag spazieren gegangen von Sievering nach Neustift, abends im Theater. Das ist heute undenkbar. Verzeihen Sie, die Politiker kommen ja gar nicht zum Nachdenken über das, was sie machen wollen.

derStandard.at: Sie waren damals Zwentendorf-Befürworter. Heute gehört die Ablehnung der Atomkraft zum Staatskonsens. Warum waren die Fronten so verhärtet?

Krejci: In der Atomgeschichte gab es mehrere Facetten: Es war ein Glaubens- und Weltanschauungskrieg. Es ging um die Parteiüberzeugungen: Wie gewinne ich? Damals war Taus ÖVP-Obmann. Bei einer Wahlvorbereitungssitzung hat Taus gesagt: "Wenn ich weiß, dass ich damit Stimmen gewinne, dann bin ich gegen die Kernenergie, auch wenn ich innerlich dafür bin." Ich war damals bei einer Atomveranstaltung in Linz als bekennender Atombefürworter. Plötzlich steht im Publikum eine hochschwangere Frau auf und sagt "Das Kind da drinnen darf nicht verstrahlt werden." In dem Augenblick war jedes Argument vom Tisch. Das war genial von den Atomgegnern.

derStandard.at: Und Hainburg?

Krejci: Bei Hainburg war es ähnlich. Man hat den Faktor Volksbewegung unterschätzt, es war unheimlich emotionalisiert. Da sind Sachen passiert, die nicht in dieser Form hätten passieren dürfen. Man hat übersehen, dem Unmut sachlich zu begegnen. Die Demonstration der Staatsmacht war nicht gerade glücklich. Seit damals hat sich die Atmosphäre mit den Grünen positiv entwickelt. Ich bin schon früh in der Industriellenvereinigung dafür eingetreten, dass moderne Industrie grüne Elemente enthalten muss - man kann damit auch ein Geschäft machen.

derStandard.at: Sie gelten auch als Anhänger der Sozialpartnerschaft. Welche Bedeutung hat sie heute noch?

Krejci: In der Zeit der schwarz-blauen Koalition hieß es, die Sozialpartnerschaft sei mausetot. Heute zeigt die Sozialpartnerschaft eine gewisse Renaissance. Die Tradition Salinger-Benya (Anm.: Rudolf Salinger war Wirtschaftskammerpräsident, Anton Benya ÖGB-Präsident) gehört der glorreichen Vergangenheit an. Es ist eine positive Wiederentwicklung möglich. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl ist ein absoluter Anhänger der Sozialpartnerschaft, und von ÖGB-Präsident Erich Foglar bin ich positiv beeindruckt. Der Mann hat Bodenhaftung, ist sachlich hervorragend orientiert und spricht kein falsches Schönbrunnerdeutsch. Andere Länder wären froh, wenn sie diese Form einer etwas reduzierten Sozialpartnerschaft hätten. Man soll sie nicht verklären oder zur Nebenregierung stilisieren. Die Sozialpartnerschaft beruht auf dem Prinzip der Zumutbarkeit. Auch eine Koalition beruht darauf, was kann ich dem anderen zumuten, ohne dass er sein Gesicht verliert.

derStandard.at: Als Franz Vranitzky 1986 überraschend Bundeskanzler wurde, soll er sich gleich an sie gewandt haben, mit den Worten: "Sie gehören zu den ersten, mit denen ich reden möchte." Ab da haben Sie alle paar Wochen unter vier Augen konferiert.

Krejci: Das war eine sehr interessante Sache. Als klar war, dass Waldheim Bundespräsident wird, hat Sinowatz staatsmännische Gesinnung bewiesen. Er hat gesagt: Mit mir geht's nicht, da muss ein neuer her. Aus dieser ersten Begegnung mit Vranitzky sind viele weitere entstanden. Er war immer freundlich und sachlich orientiert, obwohl er auch von meiner persönlichen Freundschaft zu Hannes Androsch wusste. Paul Lendvai hat einmal zu mir gesagt: "Sie sind ein merkwürdiger Mensch, sie können mit beiden reden."

derStandard.at: Die Große Koalition hatte damals noch einen besseren Ruf.

Krejci: Die Vranitzky-Ära hat viel gebracht: die Sanierung der Verstaatlichten Industrie, den EU-Beitritt und eine tolle Steuerreform. Nur aufgrund eines rationalen Überlegungsprozesses kann man Reformen nicht einleiten. Reformen kommen erst dann, wenn alles am Boden liegt. Ohne Crash ist nix. Der Privatisierungsprozess bei der Verstaatlichten Industrie wäre niemals gekommen, wenn es nicht so eine ernste Situation gewesen wäre. Solange nicht irgendeine Institution zahlungsunfähig ist, wird sich gar nichts ändern. Erst wenn sich herausstellt, dass irgendeine Sozialversicherungsinstitution pleite ist, dann wird man irgendetwas machen. Das wäre dann Irland und Griechenland auf Österreich transponiert.

derStandard.at: Sie haben immer auch Parteigrenzen überschreitende Freundschaften gepflegt wie zum ehemaligen Finanzminister Hannes Androsch. Ist diese Form von politischer Kultur in Österreich ausgestorben?

Krejci: Es gibt eine unanständige Haberei zwischen Politikern und Journalisten. Die Sauferei und das Schulterklopfen halte ich für beide Seiten gefährlich. Ich rate den Journalisten, präpotenter zu sein und sich nicht von Politikern vereinnahmen zu lassen. Mit Hannes Androsch war ich immer gut, aber nie per Du. Er hat erst im Jahr 2007 zu mir bei einem Essen in Altaussee gesagt: "Ich wünsche mir zu meinem Geburtstag, dass Sie mir das Du-Wort anbieten." Darauf habe ich geantwortet, "Herr Vizekanzler, ich bin altmodisch erzogen. Sie sind zwar jünger als ich, aber Sie sind für mich eine Respektsperson." Ich hab mich nicht getraut, zu ihm einfach "Servas Hannes" zu sagen. Dann ist er mir um den Hals gefallen.

derStandard.at: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Sie seien erst nach Ihrer politischen Karriere so richtig liberal geworden?

Krejci: Da ist die Frage, was ist liberal? Wenn man älter wird, sieht man manches einfach ruhiger und gelassener. Aber es hat mir nicht geschadet, dass ich manchmal ein ziemlich freches Mundwerk gehabt habe, ich habe mich und meine Organisation bekannt gemacht. (Marie-Theres Egyed, Lukas Kapeller/derStandard.at, 2.12.2010)