"Dringend eine Regierungsumbildung und pointiertere Themen sind Josef Prölls einzige Chance."

Foto: STANDARD/Christian Fischer

"Wer keinen Inhalt hat, muss sich nicht einigen. Das reduziert Politik auf Machterhalt."

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STANDARD: Herr Busek, fangen wir mit den großen Fragen an. Ihr Befund zur Lage der Nation - wo steht Österreich im März 2011?

Busek: Österreich hat nach wie vor großartige Voraussetzungen - die es nicht nutzt. Wir könnten eine Position in Europa haben und versuchen immer, unter der Wahrnehmungsschwelle durchzurutschen. Die Neutralität hat ihre historische Begründung - wir verhalten uns auffallensneutral, ja nicht irgendwie in Erscheinung treten. Und der Ansatz zu notwendigen Reformen unterbleibt. Die Bürger begreifen langsam die Unfähigkeit des politischen Systems und ziehen aus. Das wird zur Folge haben, dass der Herr Strache die Wahlen gewinnt. Ich glaube aber, dass die Zahl derer, die gar nicht zur Wahl gehen, wahrscheinlich noch größer sein wird, und das ist eine beunruhigende Angelegenheit.

STANDARD: Wie kam es zu dieser wachsenden Entfremdung zwischen Politik und Bürgern?

Busek: Das ist schleichend passiert, weil es nicht gelungen ist, aus dem alten Lagerdenken heraus und zu einer neuen Form der offenen Demokratie zu kommen. Noch immer kann eine Region, ein Bundesland oder eine Gruppe Funktionäre durchsetzen und niemanden interessiert die Qualifikation. Noch wichtiger ist die Sachfrage: Wir haben keine politische Konfliktkultur. Wir kennen den Kompromiss, bevor wir den Konflikt erkennen. Es gibt gar keine Sehnsucht, klare Standpunkte zu haben. Der Kompromiss ist sicher ein notwendiges demokratisches Mittel, aber bei uns sind die Positionen nicht erkennbar oder werden nach Bedarf gewechselt. Die akutesten Beispiele sind die Bildungspolitik und das Bundesheer.

STANDARD: Könnte diese konturlose Politik systemisch zusammenhängen mit der großen Koalition?

Busek: Nein, in dem Moment, in dem die Substanz der handelnden Personen abnimmt, gibt es auch keine inhaltlichen Einigungen von Relevanz. Wenn jemand keinen Inhalt hat, brauchen sie sich nicht zu einigen - das reduziert die Politik auf Machterhalt.

STANDARD: Sie sprachen von der Substanz der handelnden Personen. Da drängt sich dieser Tage der Name Ernst Strasser auf. Wie konnte so jemand der ÖVP passieren?

Busek: Das ist ein Ergebnis regionaler Interventionen. Er ist ja nicht der einzige Fall. Es ist zwar nicht fair, das in dem Zusammenhang zu nennen, aber die Besetzung der Familienstaatssekretärin war nach regionalen Gesichtspunkten und nicht nach der Qualifikation. Da hat man ihr was angetan, sozusagen.

STANDARD: Was kann die ÖVP aus Strasser und Grasser lernen?

Busek: Die Unvereinbarkeiten sind bei uns nicht an die heutigen Wirklichkeiten adaptiert. Die Dinge sind sauber zu trennen. Überall, wo eine Beschäftigung die direkte Entscheidung durch die Politik beeinflusst oder wechselseitige Beziehungen bestehen, muss der Politiker Distanz dazu halten. Der Fall Strasser berührt auch die Frage der Durchlässigkeit der Politik in andere Berufe. Die ist nicht gegeben. Dafür, dass jemand in die Politik geht, und das ist nicht sehr populär, kriegt er zu wenig Geld. Als Sparkassendirektor in einer Bezirksstadt haben Sie mehr als ein Abgeordneter.

STANDARD: Eher politik-fremde Motive waren auch für die Rekrutierung von Bawag-Richterin Claudia Bandion-Ortner als Justizministerin verantwortlich. Sie machten an ihr im Videointerview mit Standard-Kolumnist Hans Rauscher die Forderung nach einer Regierungsumbildung fest. Ist sie die einzige Schwachstelle, die Sie in der Regierung sehen?

Busek: Nein, aber ich will nicht mehr Namen nennen, weil das immer die falschen Wirkungen hat.

STANDARD: Ihr Rat an Josef Pröll?

Busek: In der jetzigen Situation eine Nachdenkpause und dann dringend nicht nur eine Regierungsumbildung, sondern auch pointiertere Themen herauszubringen ist seine einzige Chance.

STANDARD: In der ÖVP ist das Obmannablösespiel beliebt. Wie sicher darf sich Josef Pröll wähnen?

Busek: Wenn Sepp Pröll das Gesetz des Handelns wieder in die Hand nimmt, kann er sich relativ sicher fühlen, denn man kann der ÖVP dringend empfehlen, dieses Spiel nicht zu spielen. Sie hat ein substanzielleres Problem.

STANDARD: Was heißt das konkret?

Busek: Die Positionierung der Partei, welche Art von Politik gemacht wird, die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern, sind lauter Dinge, die nicht entsprechend funktionieren. Das gilt aber genauso für die SPÖ. Wissen Sie, welche Standpunkte Faymann hat? Ich nicht.

STANDARD: Wie kann die ÖVP wieder eine Identität finden? In den Städten hat sie ein massives Problem, der ÖAAB und die Lehrer treiben die Partei vor sich her, der Wirtschaftsflügel rebelliert, die Bauern werden immer weniger.

Busek: Ich würde sie von den Bünden frei machen, denn die stehen in Wirklichkeit für nix. Der Bauernbund weiß am ehesten noch, wofür er steht, für diese schrumpfende Gruppe, und das macht er sehr gut. Aber was ist der ÖAAB jetzt? Arbeiter gibt's zunehmend wenige. Ist es der öffentliche Dienst? Die Privatangestellten? In Wahrheit ist auch die Ich-AG ein soziales Problem. Das sind keine g'standenen Wirtschaftsbündler, das sind Menschen, die in einem hohen Risiko leben, vom Markt verschluckt zu werden. Es stimmt alles nimmer. Darüber - und ein bissl darüber, dass sie einmal christlich-soziale Wurzeln hatte - muss die ÖVP nachdenken oder nachdenken lassen. Aber es gibt ja keinen intellektuellen Vorgang.

STANDARD: Ist die ÖVP, so wie sie heute ist, noch aus tiefstem Herzen "Ihre" Partei?

Busek: Es klingt komisch für einen ehemaligen Parteiobmann, aber ich war in dem Sinn nie ein richtiger Parteimann. Als ich mich entschieden habe, war die ÖVP das "minus malum", das kleinere Übel. Das finde ich auch richtig. Wenn politische Parteien zu Glaubens- oder Fundamentalfragen werden, ist das gefährlich.

STANDARD: Wozu braucht das Land die Österreichische Volkspartei?

Busek: Die steht schon für eine Reihe von Positionen, die eine Rolle spielen. Die Familienposition war einmal relativ stark. Reste von Grundsatzorientierung sind vorhanden. Was fehlt, ist ein gesamthafter Bezug und eine Neuformulierung, wofür man steht. Aber das ist ein generelles Problem des politischen Zustands. Wofür steht die SPÖ? Für die Kronen Zeitung.

STANDARD: Was war in Ihrer Karriere die größte politische Niederlage?

Busek: Meine größte politische Niederlage war, dass das, was ich in der Wiener ÖVP versucht habe, abgewählt wurde, nicht nur ich, sondern generell.

STANDARD: Wo steht die VP Wien?

Busek: Ich hoffe, sie gewinnt neuen Boden. Persönlich, zum Schmerz der Christine Marek, bin ich da nicht sehr optimistisch. Im urbanen Bereich bin ich Anhänger meines alten Sagers: Da gehören Neugründungen her, weil sich das urbane Milieu extrem individualisiert hat. Das geht nicht mehr in eine Parteikiste hinein. Das wird man wahrscheinlich in Form von Plattformen machen müssen, um Menschen zu gewinnen. Siehe Innsbruck. Da gibt's die ÖVP noch immer als Minderheitenpartner. Es müsste eine Gruppe aufstehen, die das Urbane mehr repräsentiert. Das ist das generelle Problem der ÖVP, und ich befürchte, auch der SPÖ. Das Urbane bei der SPÖ besteht nur mehr aus den Pensionisten, die natürlich numerisch mehr sind in der Parteitradition. Aber urban ist die SPÖ auch nicht. Sie hat einen Machtapparat. Das unterscheidet sie von der ÖVP.

STANDARD: Was ist Ihnen von Ihrem politischen Erbe am wichtigsten?

Busek: Die ungeheure Möglichkeit, die Österreich durch den Beitritt zur Europäischen Union erhalten hat. Die ist nicht genutzt. Das ist im weitesten Sinn ein Bildungsproblem, nicht nur der Politiker. Es ist eine gewisse geistige Verprovinzialisierung. Es sind bewegte Zeiten und wir ziehen uns auf uns selber zurück. Es ist einmal gesagt worden: Provinz ist keine Ortsbezeichnung, sondern ein geistiger Zustand, und der ist in einem hohen Ausmaß der Fall. (Lisa Nimmervoll, STANDARD-Printausgabe, 28.3.2011)