Rudolf Hundstorfer arbeitet daran, das faktische Pensionsantrittsalter zu erhöhen. Das dauert. Der Sozialminister geht davon aus, mit der Steuerreform den Wahlkampf zu bestreiten.

Foto: STANDARD/Cremer

STANDARD: Das Image der Politiker ist so schlecht wie kaum zuvor. Die Werte von Kanzler und Vizekanzler sind im Keller. Woran liegt das?

Hundstorfer: Da spielen viele Faktoren mit. Aber in einer Demokratie braucht man Repräsentanten, die gewählt werden. Vieles dessen, was in den Medien dargestellt wird, ist massiv überzogen.

STANDARD: Als Erste-Bank-Chef Andreas Treichl die Politiker als blöd und feig beschimpft hat, fühlten Sie sich da angesprochen?

Hundstorfer: Das Niveau von Herrn Treichl ist nicht mein Niveau. Mich hat gewundert, dass alle auf sein tolles Ablenkungsmanöver hereingefallen sind. Treichl wollte doch nur von seiner massiven Gagenerhöhung ablenken. Ich habe mich überhaupt nicht angesprochen gefühlt.

STANDARD: Allerorts wird der politische Stillstand beklagt. Können Sie das nachvollziehen?

Hundstorfer: Das kann ich wirklich nicht nachvollziehen. Wir haben eine ganze Reihe an Projekten laufen, wir haben hervorragende Wirtschaftsdaten, wir haben sogar einen Rückgang der Invaliditätspension, wir haben einen Rückgang der Anträge bei der Langzeitversichertenpension. Ich weiß nicht, warum die Medien immer verlangen, da muss etwas weitergehen. Was soll weitergehen? Sollen wir Zustände haben wie in Spanien, Zustände wie in Frankreich oder Griechenland? Ja, wir machen eine sehr pragmatische, manchmal zähflüssige Politik, "step by step". Diese Politik ist halt nicht immer spektakulär, ja, das ist so. Aber wir haben gute Zahlen, und wir bringen was weiter. Manchmal brauchen wir halt länger. Diese Pflegegeldreform, die wir jetzt präsentiert haben, hätte ich auch schon lieber vor einem Jahr gehabt. Aber wir haben eben auch neun Bundesländer, da braucht man länger.

STANDARD: Glauben Sie, dass es der Regierung mit dieser Klausur gelungen ist, den Vorwurf des Stillstands zu entkräften?

Hundstorfer: Also wenn diese 90 Punkte nicht geeignet sind, um darzustellen, hallo, da tut sich was, dann kann ich das nicht mehr nachvollziehen. Natürlich wurden diese Punkte vorbereitet und im Vorfeld abgestimmt, da war nicht alles neu. Das ist ja logisch.

STANDARD: Das meiste war vorher bekannt, und vieles ist nach wie vor sehr vage gehalten.

Hundstorfer: Es geht schlichtweg darum, jetzt alles abzuarbeiten. Wenn wir ein fixfertiges Programm hätten und fixfertige Beschlüsse, dann bräuchten wir kein Parlament mehr, das kann es ja nicht sein. Wir leben in einer Demokratie, wir haben volle Meinungsfreiheit. Das manche Sachen vage sind, dass manche Sachen eben dauern, das ist so. Aber wir kratzen nicht die Kurve, wir gehen die Dinge an, wir tun was. Da muss man eben viele Partner einbeziehen, viele Interessen berücksichtigen, viele Meinungen einholen und Konflikte ausräumen. In einer Demokratie ist das so. Und es wird immer jemanden geben, der eben auch noch eine Meinung hat, die muss man sich anhören.

STANDARD: Eine Reform, die immer wieder eingefordert wird, betrifft das Pensionssystem, das ist unmittelbar Ihre Zuständigkeit. Was wird es für Maßnahmen geben, um das faktische Pensionsalter endlich an das gesetzliche heranzuführen?

Hundstorfer: Wir haben schon bei der letzten Klausur ein ganzes Paket beschlossen, das muss man einmal leben. Jeder weiß, das Pensionsrecht hat einen Vertrauensschutz, das will auch jeder. Das heißt, wir haben Vorlaufzeiten. Aber die berühmte Langzeitversichertenregelung, um das Wort Hackler nicht zu verwenden, ist ab 2014 neu und führt zu einer 50-prozentigen Reduzierung der Antragsmöglichkeiten. 50 Prozent der Leute, die heute einen Antrag stellen, können dann keinen mehr stellen. Bei der Invaliditätspension, unser Sorgenkind, haben wir auch schon einiges beschlossen. Dieses Programm kommt aus Holland und Finnland. Finnland hat fünf Jahre gebraucht, um ein Jahr älter zu werden. Wenn wir vier Jahre brauchen, bin ich glücklich. Aber drei Jahre werden wir nicht zusammenbringen. Es müssen Menschen bewegt werden, es muss mit Menschen gearbeitet werden.

STANDARD: Aber das Auseinanderklaffen zwischen gesetzlichem und faktischem Pensionsalter ist doch eine österreichische Spezialität.

Hundstorfer: Aber überhaupt nicht, das stimmt ja gar nicht. Schauen Sie nach Dänemark. Dort ist der Invaliditätspensionist in der Krankenversicherung versteckt. Gehen Sie nach Schweden. Dort gibt es einen Kündigungsschutz für Oldies, aber schauen Sie sich einmal die Krankenstandstage bei den 62-Jährigen an. Das werden Sie nicht glauben. Die ist riesig, diese Zahl. Das ist kein österreichisches Phänomen. Das Phänomen, das wir haben, ist Invalidität. Wir haben jährlich 70.000 Anträge, 40.000 werden abgelehnt, aber 30.000 gehen. Wir werden ein Volk der Invaliden, das kann ja nicht sein.

STANDARD: Das kann doch nicht sein, dass die Arbeitnehmer in Österreich kränker sind als in anderen Staaten.

Hundstorfer: Das ist richtig. Deshalb haben wir auch Maßnahmen entwickelt. Wir müssen frühzeitiger hinschauen. Wir müssen zu den 35-jährigen und 40-jährigen Arbeitern sagen: "Komm, lern einen anderen Beruf, lass dich umschulen, weil in dem Job bist du in fünf Jahren kaputt." Daran arbeiten wir.

STANDARD: Was würde es bringen, wenn man das derzeitige Pensionsantrittsalter um ein Jahr hinaufsetzen würde?

Hundstorfer: Eine Milliarde. Aber wenn wir sagen, machen wir aus 65 Jahre Antrittsalter 66, ist das eine Show, das bringt nichts. 40 Prozent aller Pensionsantritte erfolgen heute aus der Arbeitslosigkeit. Wir müssen zuerst alles andere bewerkstelligen, bevor wir daran denken, 65 zu erhöhen. Wir müssen schauen, wie wir den Durchschnittsösterreicher dazu bringen, faktisch ein Jahr später in Pension zu gehen. Oder zwei Jahre, noch besser. Aber eine Patentantwort gibt es nicht. Es gibt zum Beispiel Verlage wie Ihren Verlag, der sagt: "Du bist 60, baba und fall nicht." Alle österreichischen Zeitungen haben Sozialpläne, die schicken ihre Mitarbeiter zum frühest möglichen Zeitpunkt in Pension. Alle. "Kurier", "Krone", "Presse". Es gibt niemanden, der das nicht gemacht hat; auch Ihr Verlag.

STANDARD: Wird es in dieser Legislaturperiode noch eine Steuerreform geben, oder ist das ein Thema, mit dem beide Parteien in den Wahlkampf gehen?

Hundstorfer: Ich gehe davon aus, dass wir damit den Wahlkampf bestreiten werden. Unser Thema ist die Gerechtigkeit, da werden vermögensbezogene Steuern ein wichtiges Thema sein. (Michael Völker, STANDARD-Printausgabe, 1.6.2011)