Seit zweieinhalb Jahren wird verstärkt versucht, systematische Misshandlungen und sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen aufzuarbeiten. 2010 waren die Vorwürfe - ausgehend von entsprechenden Skandalen in den USA und in Irland - vorerst auf die Kirche konzentriert. Im Gegensatz zur Missbrauchs-Causa rund um den früheren Kardinal Hans Hermann Groër aus dem Jahr 1995 ging es nun auch in Österreich nicht mehr um einen Einzelfall, sondern um institutionelle Übergriffe. Bis heute folgen Vorwürfe gegen andere Institutionen wie Internate und Heime, in denen jungen Schützlingen psychische und physische Gewalt angetan wurde.

Was man beschuldigten Institutionen nicht absprechen kann, ist, dass sie glaubhaft versichern, Vorwürfen nachzugehen sowie mit Entschädigungen und Therapien einen Beitrag zur Wiedergutmachung zu leisten. Die Zeit des pauschalen Abblockens dürfte vorbei sein. Das Gehört- und Ernstgenommenwerden ist für Opfer, auch wenn die Vorwürfe jahrzehntelang zurückliegen, immens wichtig.

Was bisher nur von der in Wien eingesetzten Historikerkommission zur Aufklärung von Verbrechen in Kinderheimen angesprochen wurde, ist die Gleichgültigkeit in der Bevölkerung, die die systematische Ausbeutung mitverursacht hat - und immer noch verursacht. Diese flächendeckende Wurschtigkeit gilt es zu bekämpfen, sonst reden wir in zwanzig Jahren über die Übergriffe von heute. (Michael Simoner, DER STANDARD, 21.8.2012)