"Seid sehr österreichisch", rät Gideon Amichay (re.) den hiesigen Werbern. John Hunt will da gar nicht widersprechen.

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Was ist gute Werbung? Creativ Club Austria (CCA) und Strategie Austria luden die international vielfach dekorierten Kreativen John Hunt und Gideon Amichay zur Belehrung nach Wien. Harald Fidler bat um sachdienliche Hinweise.

STANDARD: Beginnen wir mit einer ganz einfach zu beantwortenden Frage: Was ist denn gute Werbung?

Hunt: Gute Werbung muss funktionieren. Kunden sind keine Kunstmäzene und verlangen nur "etwas Schönes". Nach meiner Erfahrung funktioniert Werbung, die originär, kreativ, relevant in wirtschaftlicher Hinsicht und überraschend aus der Sicht des Konsumenten.

Amichay: Werbung beginnt als Promotion, aber im besten Fall wird daraus ein Stück Kultur, ein Stück hochqualitativer Content. Wenn das gelingt, wenn es die Menschen involviert und dazu bringt, sich zu engagieren, funktioniert sie besser als jede Promotion.

STANDARD: Wie weiß man vor dem Start, ob Werbung wirkt?

Hunt: Natürlich kann man vorher Marktforschung betreiben. Die bringt aber bessere Ergebnisse, wenn die neue Kampagne schon Dagewesenem ähnelt. Aber meistens zeichnen sich wirklich große Ideen dadurch aus, dass es das noch nie gegeben hat. Mit ein bisschen, allerdings nicht dummer Risikobereitschaft ist der Erfolg auch umso größer. Ich nehme lieber ein intelligentes Risiko in Kauf, als zu wiederholen, was ich schon eine Million Mal gesehen habe und keiner mehr bemerkt.

STANDARD: Je höher das Risiko, desto schwieriger ist es vermutlich, eine Kampagne dem Kunden schmackhaft zu machen.

Hunt: Natürlich. Aber unser Job ist, ihm zu vermitteln, dass er da ein intelligentes Risiko eingeht. Dass das nichts Verrücktes ist, nur um verrückt zu sein. Dass diese Arbeit strategisch sinnvoll ist. Dass es das noch nie gegeben hat - und daher die Chance größer ist, wahrgenommen zu werden. Und dass die Kampagne besser funktionieren kann.

Amichay: Ich sage meinen Leuten: Legt jene Ideen vor, von denen wir glauben, dass wir sie nicht tun können. Das fordert sie heraus, sich wirklich Neues auszudenken.

STANDARD: Gute Werbung heißt also: Die Leute überraschen?

Hunt: Ja. Aber auf relevante Art. Wir und die Kunden müssen sich im Klaren sein, dass es nicht um den nächsten genialen TV-Spot oder die nächste geniale Anzeige geht. Werbung ist ein viel weiteres Feld. Alles, was den Konsumenten betrifft, ist Werbung. Das gibt uns eine viel größere Spielfläche. Wir müssen aber auch dem Kunden vermitteln können, dass das zu seinem Vorteil ist - und nicht zu unserem Spielvergnügen.

Amichay: Unsere Aufgabe ist es, Wirtschafts- und Marketingprobleme zu lösen. Die Lösung ist manchmal Werbung. Aber nur manchmal. Das kann ein Produkt sein, eine Form von Content, der heute viel mehr bewirken kann als Werbung.

STANDARD: In Österreich hatten wir über den Sommer eine Debatte über kreative Werbung, Werbepreise und Kunden (Kassaei/De Felice, Demner, Reichl-Schebesta). Dass Österreich in Cannes beinahe leer ausging, führte ein prominenter Agenturchef im Interview mit derStandard.at/Etat auf mangelnden Mut der Kunden zurück (Koblinger).

Hunt: Mit Schuldzuweisungen wäre ich vorsichtig. Alle Kunden müssen ihre Budgets im Auge behalten und versuchen, das Richtige zu tun. Es ist die Aufgabe der Agenturen, ihnen Mut zu machen. Wenn sie damit Erfolg haben, ist das der Weg nach vorne, den Kunden selbst weiter gehen wollen. Selbst wenn sie ein Briefing für einen TV-Spot schicken - wenn wir etwas anderes für sinnvoller, smarter, effizienter erachten, sollten wir es vorschlagen. Wer schaut heute noch fern? Meine Kinder nicht.

Amichay: Mich macht es wütend, wenn man die Schuld dem Kunden zuweist. Da geht es um Vertrauen. Wenn man das hat, hat man die Möglichkeit, sich mit ihm in die unbekannte Zone vorzuwagen, die unsichere, unbequeme Zone. Dort kann fantastische Werbung entstehen. Dieses Vertrauen braucht Zeit, Jahre der Zusammenarbeit.

STANDARD: Ein Kritikpunkt in der Sommerdebatte hier war eine Marktferne von Werbepreisen: Agenturen nutzen - abseits des kommerziellen Werbegeschäfts - soziale Institutionen als Auftraggeber, um mit mutigen Kreationen Werbepreise abzuräumen. Institutionen, die nicht Nein sagen, weil sie die Kreation günstig oder umsonst bekommen.

Hunt: Das eine zehn Jahre alte Debatte ....

STANDARD: ... in Österreich kam sie gerade wieder vorbei.

Hunt: Es ist doch wunderbar, wenn die Werbebranche ihre Fähigkeiten in den Dienst sozialer Aufgaben stellt. Es wird schon die eine oder andere Agentur geben, die das macht, um Preise zu gewinnen. Aber das ist eine Randerscheinung. Aber in Cannes bemühen sich Procter & Gamble, Unilever, McDonald's, wirklich große, kommerzielle Kunden. Und mit Erfolg. Breiter betrachtet: Machen wir uns nicht soviele Gedanken über Werbepreise, ehrlicher gesagt ist das bisweilen Bullshit. Denken wir lieber über Kreativität nach: Man kann ein Businessproblem in derselben öden Art zu lösen versuchen, wie es viele schon oft gemacht haben. Aber das funktioniert nicht mehr. Man braucht etwas Neues. Wer bekommt nicht gerne Preise? Aber wir sollten das nicht zum Maß aller Dinge machen.

Amichay: Und die großen Kunden sind längst selbst mit sozialen Kampagnen aktiv wie Unilever, Procter & Gamble. Die oft sehr emotionalen Themen in diesem Feld können natürlich in großartigen Kampagnen münden. Aber Social ist schon aufgrund der breiten Konkurrenz kein so leichtes Feld. Ich halte es sogar für sehr, sehr schwierig, in der Kategorie Public Service zu gewinnen. Vergessen wir nicht: Wir arbeiten nicht für Preise. Wir wollen faszinierende Kampagnen kreieren, die Probleme löst. Innovation ist aus meiner Sicht der Schlüssel, innovative Strategie, ein innovativer Zugang; es geht nicht mehr um Kreativität im Sinne von kreativem Werbetext oder Bild.

STANDARD: Bleiben wir trotzdem noch ein bisschen beim "Bullshit". Jedes Network klopft sich auf die Brust, wenn es beim Werbfestival von Cannes die meisten Löwen holt.

Hunt: Kampagnen, etwa Sozialkampagnen, nur mit dem Ziel von Werbepreisen zu kreieren: Das meine ich mit Bulllshit.

Amichay: Mit dieser Ambition gewinnt man auch nicht. Dieses Motiv kann man schon aus großer Entfernung riechen.

STANDARD: DDB-Kreativchef Amir Kassai sieht das anders. Er vermutet einen sehr, sehr hohen Anteil solcher "Zombie-Kreationen" unter Werbepreisträgern.

Hunt: Ich bin eher bei Gideon: Als Juror kann man das meist riechen. Sicher gibt es solche Arbeiten unter Preisträgern. Aber halte das nicht für ein Massenphänomen. Und ich glaube, die Fälle nehmen in den letzten Jahren eher ab.

STANDARD: Was raten Sie österreichischen Agenturen, um vielleicht doch wieder einmal zum Beispiel in Cannes mehr Preise zu gewinnen?

Amichay: Wenn die Österreicher versuchen, Hollywood zu spielen, gewinnen sie nicht. Sie können gewinnen, wenn sie von Österreich und seiner Kultur geprägte Kampagnen machen. Wenn Johns Agentur Plakate und Flugblätter für die Oppositionszeitung "The Zimbabwean" auf Geldscheine druckt und damit auf die dort galoppierende Inflation hinweist, ist das geniale, höchst auszuzeichnende Werbung. Mein Apell an die Branche hier: Seid stolz auf eure Kultur, eure Sprache, eure Geschichte, eure lokalen Marken. Seid sehr österreichisch.

STANDARD: Wenn es um internationale Preise geht, kommt daraufhin der Einwand: Lokal geprägten Witz versteht in Cannes keiner.

Amichay: Das ist verrückt. Wenn Sie sagen, es versteht keiner, haben Sie es nicht gut erklärt. Große Ideen können reisen. Eine internationale besetzte Jury interessiert sich nicht für die nächste Idee aus den USA. Sie suchen die nächste interessante, nie gehörte Idee - woher auch immer sie kommt.

STANDARD: Ist Ihnen auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt tolle Werbung aufgefallen?

Hunt: Ich bin gerade erst aus dem Flugzeug ausgestiegen, und Sie haben wirklich wenig Plakate auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt. Ich hatte also wenig Gelegenheit. Aber ich kann in jedem Land der Welt vom Flughafen in die Stadt fahren, ein Magazin aufschlagen, den Fernseher aufdrehen - und werde mich an keine Kampagne erinnern. Weil wir überall auf der Welt dasselbe sehen. Deshalb muss man versuchen, anders zu sein. Eine Kampagne kann alle Anforderungen erfüllen, den ganzen Katalog abhaken, gut testen, sie muss nicht falsch sein: Aber sie ist vielleicht nicht richtig genug, um Aufmerksamkeit zu erregen. Das ist überall auf der Welt dasselbe. Ich teile Gideons Zugang und rate Österreichs Werbebranche: Legt, dieses Waisenhausgefühl ab, so klein und arm zu sein. Von Finnland über Israel bis Neuseeland gewinnen Agenturen Preise. Sie suchen zwar internationale Anerkennung, aber mit argentinischer, israelischer, finnischer Werbung. (Harald Fidler, DER STANDARD, 24.9.2012)