Barbara Sukowa als Hannah Arendt im Pressesaal des Jerusalemer Bezirksgerichts. 

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Arendts Thesen haben Gültigkeit: von Trotta.

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Die Regisseurin über NS-Bürokraten, Reaktionen auf den Film in Israel und das Rauchen.

STANDARD: Warum zeigen Sie in Ihrem Film nur einen Ausschnitt aus dem Leben Hannah Arendts rund um den Prozess gegen Adolf Eichmann, den Organisator der Judendeportationen, 1961 in Jerusalem?

Margarethe von Trotta: Geplant war, Arendts Leben chronologisch zu verfilmen. Sie musste 1933 aus Deutschland fliehen und bekam in Frankreich Asyl. Als die Deutschen einmarschierten, wurde sie verdächtigt, ein Nazi zu sein. Deshalb steckten sie die Franzosen in ein Internierungslager. Arendt sagte später: Unsere Feinde haben uns in Konzentrationslager gesteckt, unsere Freunde in Internierungslager. Sie konnte dann mit ihrem Mann über Lissabon nach Amerika fliehen. Ihr Leben hätte einen guten Filmstoff hergegeben. Aber das alles zu erzählen, hätte uns daran gehindert, ihr Denken und ihre Gedanken, also das eigentlich Spannende an Arendt, zu zeigen. Dass wir uns auf die vier Jahre rund um den Eichmann-Prozess konzentrierten, ermöglichte uns, in die Tiefe zu gehen und zu beschreiben, wie sie zu ihren Erkenntnissen über Eichmann kommt. Wir konnten die ganze Kontroverse rund um ihre Thesen zeigen. Es war ja wirklich unglaublich, wie heftig die Kritik auf Arendt eingeprasselt ist.

STANDARD: Die Kritik entzündete sich, weil Arendt Eichmann nicht als fanatischen Nazi beschrieb. Für sie war er ein obrigkeitshöriger Bürokrat. Historiker werfen Arendt vor, auf ihn reingefallen zu sein.

Von Trotta: Ich bin Filmemacherin, kein Historiker: Ich muss mit Arendt gehen. Ich kann nicht eine Person im Film einfügen, die sagt: Nein, das war alles nicht so. Arendts These von jemandem, der sein Denken an einen Führer abgibt, bleibt unbestritten. Viel von der jüngeren Kritik beruht auf einem Interview Eichmanns, das er in Argentinien mit Willem Sassen führte. Aber Arendt kannte einen Großteil dieses Materials nicht. Eichmann hielt sich nach dem Krieg 13 Jahre versteckt, er war ein Niemand in Argentinien. Als Nazi war er jemand. Da kommt dann Sassen, selbst ein Nazi, bei dem sich Eichmann aufspielen konnte, wieder zu einer imposanten Figur werden durfte. Es mag sein, dass Eichmann im Prozess seine Rolle im Holocaust kleingeredet hat. Im Interview hat er sich aber sicher wichtiger gemacht, als er war.

STANDARD: Weshalb zeigen Sie von Eichmann nur historische Aufnahmen aus dem Prozess?

Von Trotta: Ich wollte, dass man als Zuschauer zum selben Ergebnis über ihn kommt wie Arendt. Das kann man nur, wenn man die echte Person betrachtet: Dann sieht man die Mittelmäßigkeit dieses Mannes, aber auch, dass er kein Dämon war. Ich habe mich gerettet, indem ich Arendt in den Presseraum gesetzt habe, wo sie den Prozess über die TV-Monitore verfolgt. Ich habe mir gesagt: Im Gerichtssaal durfte man im Gegensatz zum Presseraum nicht rauchen. Arendt war starke Raucherin, das war also ein plausibler Grund. In Jerusalem erzählte mir ein Neffe Arendts, dass sie in Wahrheit noch viel mehr geraucht hat, als im Film gezeigt, weshalb sie wirklich immer im Presseraum saß.

STANDARD: Arendt wurde auch attackiert, weil sie über die Kooperation jüdischer Funktionäre mit den Nazis schrieb. Wie waren die Reaktionen auf den Film in Israel?

Von Trotta: Bisher habe ich den Film in Israel nur auf einem Frauenfilmfestival gezeigt. Ich hatte mit mehr Widerstand gerechnet, aber bis auf zwei Frauen, die meinten, sie würden Arendt weiter hassen, habe ich keine negativen Kommentare gehört. Aber der Film kommt erst im April in die israelischen Kinos. Was Arendt sicher nicht wollte und nicht getan hat war die Rolle zwischen Opfern und Tätern zu verwischen, so wie ihr das vorgeworfen wurde.

STANDARD: Im Film wird Arendt als harte Frau porträtiert, die zu ihren Thesen steht, obwohl sich viele Freunde von ihr abwenden.

Von Trotta: Dass sie angefeindet wurde als Frau, die ihr eigenes Volk nicht liebt, hat sie tief gekränkt. Aber bei den Dingen, die sie für die Wahrheit hielt, konnte sie nicht zurückrudern. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die sie kannten. Und da habe ich noch ein ganz anderes Bild von ihr bekommen. Arendts Freundin Lotte Köhler, die auch im Film vorkommt, meinte, Arendt sei ein Genie der Freundschaft gewesen. Sie hat mir erzählt, dass Arendt persönlich stark unter dem Holocaust gelitten hat. Dass sie das in ihr Buch nicht eingebracht hat, wurde ihr dann vorgeworfen. Aber sie hätte sich das als Philosophin nicht zugestanden, ihr eigenes Leiden mitzubeschreiben. (András Szigetvari, DER STANDARD, 23./24.2.2013)