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Anna Fierling (Maria Happel, 2. v. re.) zieht mit ihren Kindern durch den Dreißigjährigen Krieg, um mit dem Elend der Menschen Geschäfte zu machen: Bertolt Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" hat am Freitag im Wiener Burgtheater Premiere (19.30 Uhr, Regie: David Bösch).

Ihre Kinder muss die Courage eines nach dem anderen verloren geben: v. li. Kattrin (Sarah Viktoria Frick), Eilif (André Meyer), Schweizerkas (Tino Hillebrand).

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Wien - Die Berliner Premiere seiner Mutter Courage spendierte Brecht den Werktätigen. Als Helene Weigel 1949 zum ersten Mal den Planwagen der Marketenderin Anna Fierling zog, saßen im Parkett Stahlarbeiter aus Wilmersdorf. Bertolt Brecht weilte auf Einladung des Kulturbundes in der Ostzone. Die KP-Funktionäre hatten Bauchweh. Brechts Rang als Dichter war unbestritten. Als zweifelhaft galt den Hütern der marxistischen Glaubenslehre das epische Theater. Das Brecht-Theater zeigte den Werktätigen nicht, was sie zu denken hatten. Es machte sich selbst Gedanken. Wer die Chronik der Mutter Courage aus dem Dreißigjährigen Krieg sah, sollte erkennen, dass sich Krieg für die kleinen Leute unter keinen Umständen rechnet.

Die ihn führen, sind diejenigen, die seine Kosten zahlen. Das epische Theater Bertolt Brechts wollte dem Zuschauer "etwas zu tun übriglassen". Die Probleme des menschlichen Zusammenlebens löst man, indem man sie zeigt. Aber man zeigt keine Lösungen.

Wer die Realität verändern will, muss ihre Künstlichkeit hervorkehren. Nur dann wird die Annahme, die Welt bleibe im Wesentlichen immer dieselbe, als Schein entlarvt. Der Zuschauer soll mit seinem Urteil, seiner Fantasie und seinen Reaktionen "dazwischenkommen" dürfen. Brechts ganze Verachtung gilt dem Handwerk der Illusionisten. Wer glaubt, er wohne im Theater einem "echten" Vorgang bei, der ist für den Prozess der Bewusstseinsbildung von vornherein verloren.

Daher kommt die Neigung des Brecht-Theaters, seine Mittel auszustellen. Es ist karg, weil es sich reich an Einsicht wähnt. Es hängt die berühmte flatternde "Gardine" halb hoch. Das Theater zeigt, dass es etwas zeigen will.

Im Fall der Mutter Courage entfaltet sich die Handlung vor einem schmucklosen weißen Rundhorizont. Die Bühne ist fast leer. Wichtig sind die Details: Die Schauspieler haben in wochenlanger Arbeit jeden einzelnen Vorgang geprobt. Sie lernen die Vorgänge kennen, indem sie sie darstellen. Indem sie sie darstellen, beurteilen sie sie auch. Bei Brecht verändern alle ihr Bewusstsein: die einen, indem sie etwas darstellen; die anderen, indem sie die Darstellung als Aufforderung verstehen, selbst etwas herzustellen. Im günstigsten Fall organisieren sie ihr Zusammenleben neu. Auf eine Weise, die jede Ausbeutung von Menschen durch Menschen unmöglich macht.

Das Zugtier und der Wagen

Mit Brechts Rückkehr aus dem Exil wurde das letzte Kapitel einer der bedeutsamsten Theaterreformen der Moderne aufgeschlagen. Das Bild der Weigel als "Zugtier", das sich selbst vor den Planwagen spannt, hat Geschichte gemacht. Die Weigel übernahm die Leitung des Berliner Ensembles. Der Dichter legte die Courage -Inszenierung als verbindliches Vorbild für sein Theater fest. Wer die Abenteuer der Kriegsgewinnlerin inszenieren wollte, hatte den Vorgaben der Berliner "Modell"-Aufführung Folge zu leisten. Bei Zuwiderhandlung wurde die Absetzung der Neuinszenierung erwirkt.

Die am 7. Oktober 1949 gegründete DDR betrachtete ihren prominentesten Dichter mit Übelwollen. Nach der Berliner Aufführung - Uraufführung war 1941 in Zürich - schrieb ein Funktionär von "volksfremder Dekadenz". Brecht, der 1956 starb, ließ es sich nicht verdrießen. Sein Gebiet war eindeutig die Vernunft, nicht die Politik. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 8.11.2013)