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Michael Spindelegger argumentiert seinen Standpunkt.

Foto: APA/Pfarrhofer

Wien - Immerhin: Andreas Khol, der Obmann des ÖVP-Seniorenbundes, steht in der parteiinternen Debatte über die Gesamtschule "zu 100 Prozent hinter der Linie der Bundespartei", ließ er am Freitag wissen. Die Linie der meisten Landesparteien scheint hingegen eine andere zu sein, mittlerweile hat sich eine Mehrheit gegen den Glaubensgrundsatz von Parteichef Michael Spindelegger gestellt, der die Gesamtschule ablehnt und auch flächendeckende Schulversuche in dieser Richtung nicht akzeptieren will.

Andreas Khol hält die Kritik an Spindelegger für einen "Ausbruch der Irrationalität", er kann die Forderungen aus verschiedenen Ländern nach Modellregionen nicht verstehen. Es gebe genügend Möglichkeiten, diese Frage intern zu diskutieren. Auf die Frage, ob er nun eine Obmann-Debatte in der ÖVP für denkbar halte, sagte Khol: "Dieses Wort nehme ich nicht in den Mund."

In den vergangenen Tagen haben die schwarzen Landesorganisationen bis auf Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich und das Burgenland gegen die von Spindelegger vorgegebene Linie aufbegehrt, zum Teil auch sehr heftig.

  • Vorarlberg: Landeshauptmann Markus Wallner wirft der Bundespolitik vor, eine innovative Weiterentwicklung der Schulreform zu blockieren. Wallner spricht sich für die Einrichtung einer Modellregion zur Erprobung einer gemeinsamen Schule in ganz Vorarlberg aus. Er kann sich vorstellen, dass die Vorarlberger Landtagsparteien eine gemeinsame Position zur Schulpolitik formulieren und so Druck machen. Ziel wäre eine Novellierung des Schulorganisationsgesetzes, um die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen zur Regel zu machen.
  • Tirol: Landeshauptmann Günther Platter will ebenfalls die gemeinsame Schule umsetzen. "Es geht ja nicht darum, ein funktionierendes Schulsystem auszulöschen, sondern bloß darum, einen Versuch zuzulassen", sagt die zuständige Landesrätin Beate Palfrader. Eine Modellregion Gesamtschule ist in Tirol längst geplant und wird im Zillertal im Herbst starten. Sechs Neue Mittelschulen in diesem Sprengel werden teilnehmen.
  • Salzburg: Landeshauptmann Wielfried Haslauer musste das Thema Schule mit dem Koalitionspartner verhandeln, durfte inhaltlich aber nicht, wie er wollte. Haslauer kritisierte im Standard den "Glaubenskrieg", der aus dem Schulthema gemacht werde. Es sei "nicht verboten, Dinge zu entwickeln und zu lösen, die nicht im Abkommen stehen".
  • Steiermark: Ungewöhnlich heftig rieben zuletzt die steirischen Parteifreunde auf, Landesrätin Kristina Edlinger-Ploder kritisierte den "Starrsinn" der Bundespartei als "unerträglich", sie plädiert seit Jahren für die Einführung einer Gesamtschule. Die Steirer gelten als Vorreiter einer Schulreform.
  • Kärnten: Landesobmann Gabriel Obernosterer steht in dieser Frage hinter Spindelegger, die Kärntner sind strikt gegen die Einführung einer Gesamtschule, die ÖVP macht sich in Kärnten darüber hinaus für Aufnahmsprüfungen an den Gymnasien stark.
  • Wien Landesobmann Manfred Juraczka kann sich Modellregionen zur Gesamtschule vorstellen. "Jeder hat das Recht, gescheiter zu werden", sagt er. Ein entsprechender Schulversuch solle aber nicht in einem ganzen Bundesland stattfinden. "Was vorstellbar ist, ist, dass man in einem Bezirk einmal testet, ob man mit einer gemeinsamen Schule etwas weiterbrächte." Alles andere wäre eine Gefährdung des Schulsystems.
  • Oberösterreich Eine klare Absage zur gemeinsamen Schule kommt aus Linz. Bildungslandesrätin Doris Hummer hat den Vorschlag, Modellregionen zu schaffen, abgelehnt, Landeshauptmann Josef Pühringer steht voll hinter Parteichef Spindelegger.
  • Niederösterreich: Landeshauptmann Erwin Pröll ist gegen die Gesamtschule als flächendeckendes Projekt. Pröll selbst hat eine sechsjährige Volksschule vorgeschlagen, was das System auf den Kopf gestellt und eine Neuordnung notwendig gemacht hätte.
  • Burgenland: Die burgenländische ÖVP ist auf Linie der Bundespartei. "Wir stehen hinter dem Koalitionspapier", sagt Landesgeschäftsführer Christian Sagartz zum Standard. "Wenn jemand Ideen einbringen will, soll er das nicht über die Medien tun."

Antrag der Grünen

Harald Walser, Bildungssprecher der Grünen, freut sich über ungeahnt rege Bewegung in der Volkspartei. Die Diskussion über die gemeinsame Schule stimmt ihn optimistisch: "Es könnte sich ein gesellschaftlicher Konsens entwickeln." Da die rechtlichen Voraussetzungen für die gemeinsame Schule aber noch fehlten, bewege man sich auf dünnem Eis. Mit einem Entschließungsantrag, für den er Mitunterzeichner aus allen Fraktionen sucht, will er sicheren Boden für Modellregionen schaffen. Das Schulorganisationsgesetz soll abgeändert, Ressourcen, auch personelle, sollen bereitgestellt werden. Vorarlbergs Landeshauptmann Wallner will sich Walsers Antrag "genau anschauen". Wallner warnt davor, der Bevölkerung vorzugaukeln, die gemeinsame Schule sei "über Nacht" zu erreichen. Walser fühlt sich missverstanden: "Als Direktor eines Gymnasiums weiß ich genau, dass eine Reform Zeit braucht, ich rechne mit zehn Jahren."

Für Bildungsexperten sind die angedachten Modellregionen zur Gesamtschule nicht unbedingt sinnvoll. Einerseits werde so nur der Status quo überprüft, ein einzelner Standort sei zudem für eine Modellregion viel zu klein. "Die Gesamtschule mit einer Ho-ruck-Aktion einzuführen, ist gefährlich", sagt Christiane Spiel, Bildungspsychologin an der Uni Wien. Auch die ehemalige Direktorin Heidi Schrodt hält eine Modellregion, die nur eine Schule betrifft, für viel zu klein. (Lisa Aigner, Jutta Berger, Michael Völker, DER STANDARD, 11.1.2014)