Gipfel des guten Geschmacks: Sternekoch Alain Senderens und Top-Parfümeur Jean-Claude Ellena im Gespräch.

Foto: Dominik von Schulthess / www.schulthessphoto.com

Der legendäre Hermès-Parfümeur Jean-Claude Ellena und der Pariser Starkoch Alain Senderens über die schwarze Kraft der Lakritze, den Fluch des Spinats und die Suche der Köche nach Liebe

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DER STANDARD: Kann gutes Essen, kann ein großes Parfum Menschen in Euphorie versetzen? Macht Schmecken und Riechen glücklich - oder ist es nur eine Marketing-Illusion?

Alain Senderens: Ja natürlich macht es glücklich, was meinen Sie, warum die Leute sonst in mein Restaurant kommen! Es gibt ein französisches Sprichwort, das sagt: "De la nappe aux draps" - von der Tischdecke ist es nicht weit bis unter die Bettdecke! Ja, ein gutes Essen hilft ganz ungemein! Für mich ist es ein Vergnügen, die Leute glücklich zu machen, sie strahlen zu sehen - das hat einen einfachen Grund: Man will geliebt werden. Der Koch sucht die Liebe, so trivial ist das.

Jean-Claude Ellena: Auch die Kreation von Parfums ist ein Weg auf der Suche nach Glück. Ich will Vergnügen bei anderen schaffen, Begierden wecken! Wenn man bei diesem Prozess selbst keine Freude empfunden hat, kann man sie auch nicht vermitteln. Meine ganze Arbeit ist eigentlich ein Prozess der Verführung. Geliebt werden, natürlich, darum geht es!

DER STANDARD: Welches Gericht macht Sie glücklich, Jean-Claude Ellena?

Ellena: Crème brûlée. Und mich interessieren Fische besonders. Man kann sie unterschiedlich grillen, kochen oder dämpfen, sie besitzen Vielfalt und Subtilitäten im Geschmack, wie es sie beim Fleisch nicht gibt. Außerdem liebe ich Trüffeln sehr, dabei aber vor allem das Ritual, sie mit meinen Freunden zu teilen.

DER STANDARD: Welches Parfum macht Sie glücklich, Alain Senderens?

Senderens: Seit ich Poivre Samarcande von Jean-Claude entdeckt habe, trage ich nur das. Auch beim Kochen! Seit ich diesen Pfefferduft trage, fragen mich viele Leute danach. Aber ich sage es nur meinen besten Freunden. Neulich stand im Restaurant eine Dame auf, kam zu mir und sagte: "Monsieur Senderens, sie sind der am besten riechende Mann, den ich je getroffen habe." Wenn das kein Kompliment ist! Ein Koch, der nach Pfeffer riecht, gefällt den Frauen!

Ellena: In einem meiner letzten Parfums spielte ich mit Lavendel und Lakritze.

Senderens: Warum Lakritze?

Ellena: Ich wollte weg von der verstaubten, alten Lavendelidee und den Geruch dem heutigen Geschmack anpassen, ohne berühmte Vorbilder zu zitieren. Ich habe einen ungewöhnlichen Träger für den Lavendel gesucht und bin auf Lakritze gekommen! Dieser leichte schwarze Duft, mysteriös, matt - der hat gewirkt!

Senderens: Da geht es dir bei der Arbeit wie mir: Ich muss in der Küche auch immer überlegen, welchen Träger ich für einen Geschmack nehme! Einen Hummer, einen Fisch, ein Fleisch? Dabei darf es nicht zu einfach sein, es soll überraschen! Auf der aktuellen Karte habe ich eine gegrillte Foie Gras mit Feigensalat und Lakritzpuder stehen! Das Aroma von Lakritze findet man übrigens auch ganz wunderbar in Porto, Muscat oder Vin Santo!

Ellena: Viele meiner Inhaltsstoffe kann man essen wie Paprika, Pfeffer und Rhabarber. Auch ganz deutlich Mango und Feige. Ich benutze gerne Brennnesseln und das Konzentrat von Artischocken und Karotten.

DER STANDARD: Was ist für Sie ein perfektes Parfum?

Ellena: Ein Duft, in dem man Spuren sieht. Parfum braucht Strukturen, starke Linien, damit es ein Relief bekommt und unsichtbare Realität entsteht. Um diese Struktur kämpfe ich manchmal monatelang. Deshalb sitze ich jeden Morgen um 8.30 Uhr an meinem Schreibtisch, mit oder ohne Idee. 95 Prozent der Rezepte schmeiße ich in den Mülleimer!

Senderens: Ich sehe die Küche gerne wie ein Maler: Ich stelle Primär- und Komplementärfarben zusammen, damit die Gerichte Ausstrahlungskraft haben. Ein weißer Seeteufel mit leuchtenden Bouchot-Muscheln in einer grünlichen Currysauce, dazu schön geschnittene grüne Avocados auf einem Teller daneben. Es muss kultiviert sein.

DER STANDARD: Wie kultivieren Sie denn Ihre jungen Köche, die erst Anfang 20 sind?

Senderens: Ich finde, dass man Gerichten anmerkt, ob sie von einer kultivierten Person zusammengestellt wurden oder ob da jemand etwas hinklatscht. Jemand, der keinen klaren Geist hat, versteht nicht, dass man keinen Daumenabdruck auf dem Teller sehen darf, dass alle Zutaten perfekt aufeinander abgestimmt sein müssen. Wenn meine Köche hier mit MP3-Playern in den Ohren ankommen und diese Techno-Musik hören, sage ich Ihnen: Nimm diesen Schrott raus! Hör doch lieber Jazz- oder Klassikmusik! Streng dich an, geh ins Museum!

DER STANDARD: Gibt es Zutaten, die für Sie unmöglich zu kombinieren sind?

Senderens: Ich scheitere immer wieder am Spinat! Er ist schwer mit Wein zu kombinieren. Wenn man ihn nicht entsprechend präpariert, zerstört der adstringierende Gemüsesaft jeden Wein! Das Tannin und der Spinat sind wie zwei Farben, die sich nicht mischen lassen. Auch Schnittlauch ist furchtbar! Dieser Zwiebelgeruch zu feinen Gerichten! Und Estragon! Alle Rotweine haben es mit Estragon schwer. Und seit Jahrhunderten haben die Franzosen millionenfach Rotwein, Entrecôte und Sauce Bearnaise gegessen! Schlechter Geschmack!

Ellena: Ich finde es am schwierigsten, Säure in einen Duft einzubauen. Dabei ist sie wichtig, weil sie Frische vermittelt. Denken Sie nur an den wunderbaren Geruch der Transpiration. Ich gehe generell immer mehr weg von komplexen Rezepten mit vielen Zutaten und konzentriere mich. So wie in der japanischen Kunst. Ein Strich, eine gute Struktur. Und dann: die Überraschung.

DER STANDARD: Ist gute Küche heute ein Luxus?

Senderens: Die Hochküche ist ein Luxus geworden, weil die Produkte so teuer sind und die Handarbeit viel Geld kostet. Wenn Sie ins Bistrot gehen, wo die Karte einfacher ist, zahlen sie eben weniger. Ein gutes Rindfleisch, das lange genug gelagert worden ist, Trüffel oder Krustentiere kosten eben im Einkauf viel Geld, dann kommt die Marge dazu. Es ist aber vor allem Luxus, weil die außergewöhnlichen Produkte viele Stunden mit der Hand weiterverarbeitet werden!

DER STANDARD: Schlechte Ernährung im Alltag und Übergewicht sind zwei immer größere Probleme in Europa. Würden die Menschen sich besser fühlen, wenn sie nur in Sternerestaurants essen könnten?

Senderens: Sie müssen nicht immer teuer essen. Wir sprechen von gutem Essen. Natürlich ist in Spitzenrestaurants alles gut und gesund. Die Küche hat sich im 20. Jahrhundert so geändert, dass nichts aggressiv für den Körper ist. Sie werden in einem guten Restaurant kein Menü bekommen, nach dem Sie sich krank fühlen, weil Ihr Magen streikt! Die Hochküche bringt den Kunden bei, langsam zu genießen, sich zu beherrschen, ein Glas Wein langsam zu jedem Gang zu trinken und nicht zwei Flaschen runterzuschütten. Man stopft sich ja nicht mit Petits Fours oder Schokoladen voll! (Stefanie von Wietersheim/Der Standard/rondo/18/09/2009)

Zur Ansichtssache: Geheimsache