Es ist ein vielfältiges Ringen an der Wiener Staatsoper. Das Ringen um das optimale Klingen, den schönsten, berückendsten, zauberhaftesten Ton, um "höchste Qualität" findet allabendlich vor den Kulissen der renommierten Opernbühne statt. Hinter den Kulissen wird seit einigen Wochen aber ebenfalls heftig gerungen: Bei der kleinen Keppelei zwischen Direktion und Staatsopernorchester geht es um Dienstlimits, Ersatzkräfte und ungeschriebene Rechte. Weshalb die Unstimmigkeiten?

Zur Beantwortung dieser Frage scheint ein kleiner Exkurs zum Thema "Das Dilemma des philharmonischen Musikers" unumgänglich. Die Mitglieder des Wiener Staatsopernorchesters führen meist ein berufliches Doppelleben: Sie sind auch Mitglieder der Wiener Philharmoniker und als solche weltberühmt: Nicht nur das hiesige Konzertpublikum giert danach, von den samtig-weichen Tonfabrikaten des musikalischen Spitzenvereins beklungen zu werden.

Darf man sich verweigern, wenn Fernost und Wild West nach einem verlangen? Das hieße ein schlechter Botschafter des Landes zu sein! Des Weiteren wird der Wiener philharmonische Musiker von allen Seiten bestürmt, die Pflege der kammermusikalischem Musiziertradition des Landes fortzuführen. Kann er sich dieser Aufgabe entziehen?

Die philharmonische Spitzenkraft wiederum ereilt des Weiteren auch gern der universitäre Ruf zur Heranbildung des Nachwuchses. Soll man diesen erwiderungslos verschallen lassen? Es geschähe zum musikkulturellen Schaden des Landes! Wir sehen also das Dilemma des philharmonischen Musikers klar: Er ist zu gut. Wien, die Welt, die Kammermusik, die Pädagogik - alle begehren ihn. Kann er sich dem verweigern? Er ringt mit sich, es fällt ihm schwer.

Die Wiener Staatsoper, wissend, dass die begehrtesten Kräfte des Landes allabendlich in den Tiefen ihres Orchestergrabens geknechtet werden, versuchten diesen entgegenzukommen: Es wurde geduldet, dass die Musiker - so anderweitige Verpflichtungen überhand zu nehmen drohten - in eigener Regie Ersatzkräfte für ihre Dienste im Düstern organisierten.

Ein äußerst generöses Entgegenkommen: Dem Arbeitsverhältnis als solchem würde einiges an Härte und Unerbittlichkeit genommen, wenn dies auch der werktätigen Allgemeinheit erlaubt sein würde.

Nun sollen einige Spitzenkräfte des Vereins die Ausnahme zur Regel und also die Ersatzkraft zum Dauermusiker gemacht haben. Und so kündigte Direktor Ioan Holender das ungeschriebene Übereinkommen auf: Ein Staatsopernmitglied darf nur substituiert werden, wenn es sich als Mitglied der Wiener Philharmoniker auf Tournee befindet; die Ersatzkraft wird dann von der Orchesterinspektion bestellt.

Pardauz: Mit dieser Klarstellung hatte Holender das Verhältnis zum Orchester erheblich eingetrübt. Forderten radikalere Stimmen innerhalb des Vereins gar die Abkoppelung desselben vom Haus am Ring (wozu eine Statutenänderung notwendig wäre), so riefen gemäßigtere Kräfte zur Besonnenheit auf: Nur ruhig Blut, der Rappelkopf da oben wird sich wieder einkriegen, so ihre Botschaft sinngemäß.

In der Tat ist es ja so, dass beiden Konfliktparteien mehr Freud als Leid aus ihrem engen Kooperationsverhältnis erwächst: Profitiert das erste Opernhaus des Landes vom Glanz eines der führenden Orchester der Welt, so kommt dem philharmonischen Wiener in seinen späten Jahren die staatliche Pension zugute, die er sich durch das (möglichst) regelmäßige Spiel in der Oper erworben hat.

Wird man sich also gütlich einigen? Das ist zu erwarten. Vielleicht muss die philharmonische Spitzenkraft die eine oder andere an sie gerichtete Begehrlichkeit zurückzuweisen lernen; vielleicht muss die Wiener Staatsoper ihren Topleuten größere vertragliche Freiheiten zugestehen. Man wird sehen, man wird hören. Und bis dahin wird man ringen. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.9.2004)