Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek und der Generalsekretär ihres Ressorts, Andreas Thaller, bei der Regierungsklausur. In Bildungsfragen gibt es, wie üblich, höchst unterschiedliche Interpretationen jener Zeilen, auf die man sich angeblich geeinigt hat.

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Krems - Das Wort "Ghettoklassen" gefalle ihm nicht, sagt Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner. Dennoch einigte sich die Bundesregierung auf ihrer Klausur in Krems auf die Einführung von Vorbereitungskursen, die von Kritikern als solche bezeichnet werden: Kinder mit "Sprachdefiziten", so heißt es im Regierungspapier, sollen erst dann ins Regelschul-System wechseln können, wenn sie eine "vorbereitende Klasse" besucht haben.

Kritik

Sprachwissenschafter hatten diese Form des Deutschlernens in der Vergangenheit immer wieder scharf kritisiert: Kinder lernten am besten von anderen Kindern, es sei daher nicht zielführend, Schüler mit schwach ausgeprägten Deutschkenntnissen zusammenzustecken, so die Argumentation - darüber hinaus wirke es stigmatisierend, die Kinder von Gleichaltrigen zu trennen.

Anders sieht das Wissenschafts-Staatssekretär Harald Mahrer im Gespräch mit derStandard.at. "Endlich sind wir uns einig, dass frühe Sprachförderung wichtig ist", so Mahrer.

Das eigentlich ressortzuständige Regierungsmitglied, die rote Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek, fehlte bei der Pressekonferenz der Regierung am Dienstag, auch Integrationsminister Sebastian Kurz war nicht zugegen: Dessen Expertenbeirat für Integration hatte ja stets betont, dass man zwar individuelle Unterstützung für Kinder mit schwach ausgeprägten Deutschkenntnissen befürworte, separate Vorbereitungsklassen vor Übertritt in die Schule jedoch ablehne.

Unterschiedliche Auslegung

Trotz gemeinsamer Formulierungen wird das Positionspapier, das die Bundesregierung am Dienstag verteilte, von Rot und Schwarz unterschiedlich interpretiert: ÖVP-Integrationsminister Sebastian Kurz geht im Gespräch mit dem Standard davon aus, dass es eigene Klassen für Kinder mit fehlenden oder mangelnden Deutschkenntnissen geben wird – und zwar sowohl beim Eintritt in die Volksschule als auch für Quereinsteiger jeglichen Alters, die während des Schuljahres nach Österreich kommen und schulpflichtig sind. Er bezieht sich auf jene Passage im Papier, in der es heißt: "Ziel ist, dass die Schülerinnen und Schüler über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, erst dann kann der Übertritt in das Regelschulsystem erfolgen."

Bildungsministerin: "Gegen separate Klassen"

Also ein Umfaller der Bildungsministerin? "Nein", sagt Heinisch-Hosek im Gespräch mit derStandard.at: Der Satz drücke nur etwas aus, was "schon jetzt möglich" sei - nämlich Kinder in Sprachkursen zu fördern und sie so lange als außerordentliche Schüler zu führen. Die Passage "Überritt ins Regelschulsystem" bedeutet aus Sicht der SP-Ministerin also nur, dass Schüler, die vorher "außerordentlich" waren, nach der Sprachförderung "ordentlichen" Schülern werden. "Wir sind gegen separate Klassen", betont Heinisch-Hosek. Aus ihrer Sicht gehe es jetzt nur noch darum, mehr Geld für Sprachförderung locker zu machen - und das sei das eigentlich Neue an der heute präsentierten Reform.

Mehr Geld

In diesem Zusammenhang wird nämlich auch der Bund-Länder-Vertrag über die sprachliche Frühförderung in Kinderbetreuungseinrichtungen beschlossen. Wie berichtet stehen für die kommenden drei Jahre in Summe 90 Millionen Euro zur Verfügung (60 vom Bund, 30 von den Ländern). Damit können Sprachförderprogramme für Kinder zwischen drei und sechs Jahren finanziert werden.

Scharfe Kritik an dem Modell der separaten Vorbereitungsklassen übt der Sprachlernforscher Hans-Jürgen Krumm vom Institut für Germanistik der Uni Wien. "Das ist purer Aktonismus, und zwar schlechter", meint Krumm: "Kein Mensch hat je evaluiert, wie das derzeitige System funktioniert - sonst wäre man nämlich draufgekommen, dass das genau das Richtige ist." Die Sprachförderung scheitere im Moment nur daran, dass die Klassen oft zu groß, die Lehrer zu wenig für Sprachförderung ausgebildet und Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache in ihrer Erstsprache nicht sattelfest seien. Würde man in diesen "Dreiklang" jenes Mittel investieren, die man "für separate Klassen aus dem Fenster schmeißt", so Krumm, dann hätte man optimale Lernbedingungen. Kinder zu separieren bedeute hingegen "das Gegenteil von Integration".

Schulverwaltung: Reform im Herbst

Davon, beschlussreif zu sein, ist das Thema Vorbereitungsklassen aber ohnehin weit entfernt. Es wird gemeinsam mit anderen Bildungsthemen an drei Arbeitsgruppen ausgelagert, die den Auftrag haben, bis zum Sommer eine große Bildungsreform auszutüfteln. Spätestens am 17. November soll sie präsentationsreif sein. Im Zentrum der Reform steht eine neue Organisation des Schulwesens. "Verwaltung in den Ländern, Steuerung und Kontrolle durch den Bund" – so beschreibt Bundeskanzler Werner Faymann das Leitmotiv der Reform, deren Herzstück eine stärkere Autonomie der Schulen sein soll.

Das war zu erwarten: Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte ja Anfang März empfohlen, den einzelnen Schulen mehr Freiraum zu geben, auch die Einrichtung von Bildungsdirektionen in den Ländern war vereinbarte Sache. Neu ist jedoch der Zeitplan. Dieser werde "bei uns noch viel Schweiß verursachen", sagt Kulturminister Josef Ostermayer, der dennoch an einen fristgerechten Abschluss glaubt.

Geht es nach Bildungsministerin Heinisch-Hosek, könnte auch die Gesamtschule Teil der Reform sein. Aus Sicht von ÖVP-Chef Mitterlehner ist dieses ideologisch punzierte Thema jedoch "nicht die entscheidende Frage", an die Reform zu scheitern droht. Warum die Frist ausgerechnet bis 17. November läuft, begründet Faymann mit Verweis auf die Steuerreform: Auch diese sei an einem 17. beschlossen worden, das sei also "ein Glückstag".

Früher Strafen

Ein weiteres umstrittenes Thema findet sich ebenfalls im Positionspapier der Regierung: Nachgeschärft wird auch bei den Mitwirkungspflichten der Eltern. Derzeit gibt es ein fünfstufiges Verfahren, das bei Schulpflichtverletzungen (oder auch versäumten Elternsprechtagen) eingeleitet werden kann (Gespräch mit Eltern, Einschaltung Direktor, Schulpsychologe, Schulaufsicht und schließlich Jugendwohlfahrt). Künftig soll die Jugendwohlfahrt rascher eingeschaltet werden können. An der maximalen Strafhöhe (440 Euro) soll sich aber nichts ändern.

Politische Bildung soll laut dem Regierungsplan künftig als Pflichtmodul ab der 6. Schulstufe im Rahmen des Geschichts- und Sozialkundeunterrichts verankert werden. Ein eigenes Fach ist nicht geplant (das hätte 100 Millionen Euro gekostet, wofür das Geld fehlt). Die Schulen haben aber die Möglichkeit, im Rahmen der Schulautonomie einen Schwerpunkt auf politische Bildung zu legen.

Und schließlich soll – nach jahrelangen Debatten – ein einheitliches Verfahren zur Anerkennung von ausländischen Berufs- und Bildungsabschlüssen geschaffen werden. Experten hatten wiederholt beklagt, dass Zuwanderer oft unter ihren Fähigkeiten beschäftigt werden, was sich natürlich auch in entsprechend niedrigerer Bezahlung widerspiegelt. (go, sterk, völ, derStandard.at, 24.3.2015)