Kanzler Faymann "redet und moderiert nur, durchgesetzt hat er bisher nichts", findet ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka.

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Wien – In der rot-schwarzen Koalition will sich auch in der Weihnachtszeit kein Friede einstellen. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka warf dem Regierungspartner im APA-Interview vor, bei den entscheidenden Fragen zu "bremsen". Lopatka griff auch explizit SPÖ-Chef Werner Faymann an. Der Kanzler würde in der Flüchtlingskrise bisher bloß reden und moderieren, aber in der EU nichts durchsetzen.

"Äußerst ungut"

Der Klubchef ist der Meinung, dass die europäischen Regierungschefs in der Migrationsproblematik viel zu wenig tun. "Der Zustand in Europa ist ein äußerst unguter." Es könne nicht sein, dass drei von 28 Ländern diese Herausforderung allein schultern. "Das Entscheidende ist, dass die Regierungschefs vom Reden endlich einmal zum Handeln kommen." Denn die rechtlichen Instrumente dazu hätten nur sie. Auch Österreichs Regierungschef "redet und moderiert nur, durchgesetzt hat er bisher nichts".

Lopatka bekräftigte die Aussagen von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner, wonach es eine Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme gebe. Diese Grenze würde sich durch die Kapazitäten ergeben: "Man stößt an Obergrenzen." Der Kritik, dass sich Europa in dieser Frage der Türkei ausliefere, schloss sich Lopatka dagegen nicht an. "Ich kann mir die Nachbarn nicht aussuchen, und ich brauche zur Lösung dieser Frage die Nachbarn." Lopatka mahnte auch, sich hier "keiner Illusion hinzugeben". Die Kriege in Syrien und Afghanistan würden noch mindestens zehn Jahre dauern: "Die Region bleibt ein Unruheherd, weil dort Menschenrechte und Demokratie Fremdwörter sind."

Schwarze Definition von Integrationsunwilligkeit

Menschenrechte und Demokratie in Österreich will der Klubobmann notfalls auch mit finanziellen Sanktionen gegen integrationsunwillige Zuwanderer verteidigen. "Wenn jemand nach mehrmaliger Aufforderung integrationsunwillig ist, bin ich absolut für Sanktionen." Integrationsunwilligkeit äußere sich etwa dadurch, dass jemand Sprachkurse für sich und seine Kinder verweigert oder sich weigert, "unseren Wertekanon und unsere Rechtsstaatlichkeit anzuerkennen". Hier sind für Lopatka Kürzungen bei der Mindestsicherung vorstellbar.

ÖVP als "Antiintolerante"

Dass die ÖVP auf einen "Antiislamkurs" eingeschwenkt sei, stellte er in Abrede. "Wir sind pro offene Gesellschaft, pro Rechtsstaatlichkeit unterwegs." Man sei gegen jene, die sich darin nicht wiederfinden. "Wir sind 'Antiintolerante' – das heißt, gegen jene, die andere Kulturen nicht akzeptieren."

Auch in diesem Zusammenhang kritisierte Lopatka den Koalitionspartner. Dieser würde ÖVP-Integrationsminister Sebastian Kurz "oft behindern". Kurz' Vorschläge "werden oft verzögert". Den Vorwurf, dass Kurz etwa in der Debatte um islamische Kindergärten populistisch agiere, wies der Klubchef zurück. Kurz habe "Gott sei Dank Bewusstsein geschaffen. Gott sei Dank hat er die rot-grüne Wiener Politik aufgeweckt." Denn "zuzulassen, dass Kleinkinder isoliert in islamischen Kindergärten ihre Zeit verbringen, ist kein Beitrag zu Integration, sondern das Gegenteil davon".

Rote Bremser

Lopatka sah überhaupt die Schuld für alle Streitereien in der Koalition bei der SPÖ. "Bei den entscheidenden Fragen wird von der SPÖ zu viel gebremst." Als Beispiel nannte er das Durchgriffsrecht bei der Schaffung von Asylquartieren, das Staatsschutzgesetz, "Asyl auf Zeit" und auch die Pensionsreform.

Sorgen über die Umfragehöhenflüge der FPÖ macht sich Lopatka dagegen nicht. "Dass wir drei Parteien haben, die bei der Nationalratswahl 2018 Erster werden können – das ist so neu nicht." Er freut sich lieber darüber, dass die ÖVP in Umfragen vor der SPÖ sei.

Sehr zufrieden zeigte sich Lopatka mit den neuen Regeln des Untersuchungsausschusses, habe er doch "massiv darauf gedrängt", dass das gesamte Verfahren nach stärkeren rechtsstaatlichen Prinzipien abläuft. Der U-Ausschuss neu habe sich demnach "sehr bewährt". Auch der "üble Beigeschmack", dass die Bundesregierung die Arbeit des Ausschusses erschwere, sei nun nicht mehr gegeben. Unmittelbaren Änderungsbedarf sieht der ÖVP-Klubchef daher nicht, zeigt sich für etwaige Verbesserungsvorschläge aber offen.

Gegen Sanktionen für Frauenquote

Einem Vorschlag von Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) für eine Frauenquote auf allen politischen Ebenen kann er hingegen nichts abgewinnen. Dies sei laut Lopatka nicht notwendig: "Ich bin dafür, dass den Parteien hier die Freiheit gelassen wird und die Wähler dann die Partei beurteilen." Der soziale Druck sei ausreichend, es brauche keine Sanktionen, findet Lopatka.

Die Klubklausur, mit der die ÖVP Mitte Jänner in das neue Jahr startet, steht unter dem Motto "Wie wir leben wollen". Schwerpunkt dabei werden die Themen Integration, soziale Sicherheit, Bildung und Arbeitsmarkt sein. 2016 steht dann im Parlament die Umsetzung des Staatsschutzgesetzes an – hier rechnet Lopatka mit einem Beschluss im Jänner – sowie die schärfere Regelung zum Mandatsverlust. Bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung drängt der Klubobmann auf die Eindämmung der "Kostenexplosion": "Ich hoffe sehr, dass es zu keiner Verzögerung seitens des Sozialressorts kommt." Er geht auch davon aus, dass die ÖVP-Vorschläge berücksichtigt werden.

"Überfälliges" Gesetz, verzögern tut immer der andere

Beschäftigen werden die Fraktionen auch die Pensionsreform und die Bildungsreform. Im Gesundheitsbereich erwartet er "endlich" eine gesetzliche Regelung zur Primary-Health-Care (PHC). Diese sei zur Einführung der Primärversorgungszentren "überfällig", so Lopatka in Richtung Ressortchefin Sabine Oberhauser (SPÖ). Für die Gesundheitsministerin liegt der Grund, warum das Gesetz so lange auf sich warten lässt, vielmehr bei der ÖVP. Oberhauser kündigt im APA-Gespräch an, das Gesetz erst im April in Begutachtung zu schicken. Warum es zu Verzögerungen gekommen sei, wisse der Koalitionspartner am besten. Dass die Volkspartei selbst dafür verantwortlich sei, "das würde ich so sagen, ja", sagte Oberhauser.

"Oppositionspolitiker des Jahres"

Und noch eine Nettigkeit hatte die SPÖ am Montag für den Koalitionspartner im Gepäck: Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid verlieh Lopatka den Titel "Oppositionspolitiker des Jahres". Laut Jury habe sich Lopatka durch ein besonders hohes Maß an Destruktivität innerhalb der Bundesregierung ausgezeichnet und habe damit auf den letzten Metern seinen größten Konkurrenten FPÖ-Generalsekretär Kickl abhängen können. Für die weitere Zusammenarbeit mit der SPÖ wäre als Neujahrsvorsatz Konstruktivität angebracht, findet Schmid. (APA, 28.12.2015)