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Geht es nach der ÖVP, sollen Flüchtlinge zur Beschäftigung verpflichtet werden und dann beispielsweise Wege pflegen, Straßen kehren oder in Sozialeinrichtungen der Gemeinde aushelfen.

Foto: dpa / Marijan Murat

Frage: Über eine Reform der Mindestsicherung wird seit Monaten verhandelt. Wie ist der aktuelle Stand?

Antwort: Vertreter von SPÖ und ÖVP sehen aktuell wieder die "Möglichkeit zum Kompromiss". Wortwörtlich hat das ÖVP-Generalsekretär Werner Amon so formuliert. Anlass für Zuversicht gaben ihm die Aussagen von Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) in der ORF-Pressestunde am Sonntag. Der hatte sich dort bezüglich einer Deckelung der Geldleistung der Mindestsicherung offen gezeigt, darüber hinaus outete er sich als "Anhänger" des sogenannten Vorarlberger Modells. Sein Koalitionspartner zeigt sich erfreut. Stöger selbst nun auch: Dieser rote Kompromissvorschlag liege seit Wochen vor, bisher habe ihn die ÖVP allerdings abgelehnt, heißt es aus seinem Ressort.

Frage: Worüber sind sich beide Parteien bereits einig?

Antwort: Bei der Frage nach einer Deckelung für Familien gibt es zumindest Fortschritte. Die SPÖ wollte zuerst keine Geldgrenze einziehen. Stöger kann sich vorstellen, dass die Geldleistung der bedarfsorientierten Mindestsicherung mit 1500 Euro limitiert wird, sprich niemand bekommt mehr ausgezahlt. Darüber hinaus fordert der Sozialminister jedoch, dass Wohnkosten ersetzt werden. Hier gibt es nun auch eine Annäherung vonseiten der Volkspartei.

Frage: Wie sieht diese Annäherung aus?

Antwort: Der ÖVP-Vorschlag sieht vor, dass die Miete von Mindestsicherungsbeziehern "in Ausnahmefällen" – etwa bei Familien mit sehr vielen Kindern – gänzlich getragen wird, erklärt ÖVP-Sozialsprecher und ÖAAB-Obmann August Wöginger im Gespräch mit dem STANDARD. Allerdings: 25 Prozent der Wohnkosten müssten dafür von der Geldleistung abgezogen werden. Die Abwicklung des Wohnzuschusses würde über die zuständige Behörde im jeweiligen Bundesland erfolgen. "Wir haben uns beim Deckel ordentlich bewegt, jetzt muss sich die SPÖ bei der 'Mindestsicherung light' bewegen", sagt Wöginger.

Frage: Was ist eine "Mindestsicherung light"?

Antwort: Vorerst ein Wunsch der ÖVP. Die Volkspartei möchte die Mindestsicherung an eine Mindestaufenthaltsdauer knüpfen. Anspruch auf vollen Bezug hätten Menschen dann erst, wenn sie sich innerhalb der vergangenen sechs Jahre mindestens fünf Jahre lang rechtmäßig in Österreich aufgehalten haben. Faktisch richtet sich diese Einschränkung also in erster Linie an Flüchtlinge. In der Zwischenzeit sieht der Vorschlag einen niedrigeren Mindestsicherungsbezug vor. Und zwar: 365 Euro Grundversorgung plus 155 Euro Integrationsbonus sowie 40 Euro Taschengeld – insgesamt also 560 Euro für eine Einzelperson. Wobei die Auszahlung des Integrationsbonus an das "nachgewiesene Erreichen genau definierter Integrationsziele" geknüpft sei.

Frage: Was beinhaltet das Vorarlberger Modell, das ja für Sozialminister Stöger auch infrage käme?

Antwort: Das Vorarlberger Mindestsicherungsmodell sieht vor, dass Flüchtlingen, die sich nicht ausreichend um ihre Integration kümmern, die Leistungen gekürzt werden. Anerkannte Flüchtlinge müssen im westlichsten Bundesland deshalb eine sogenannte "Integrationsvereinbarung" unterzeichnen. Eine Verweigerung gab es bisher nicht. Die zu erbringenden Integrationsleistungen sind Spracherwerb, die Aneignung von Kenntnissen über die Grundwerte der österreichischen Gesellschaft sowie die Bereitschaft zur Arbeit. Sollten diese Leistungen – unter anderem ein Deutschkurs im ersten Jahr – nicht erbracht werden, zieht das Sanktionen nach sich. "Diese reichen von Strafen über Leistungskürzungen bis hin zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen", heißt es in dem Papier.

Frage: Das erinnert an das rote "Integrationsjahr". Was sieht dieser Vorschlag vor?

Antwort: Das "Integrationsjahr" ist quasi die rote Antwort auf die schwarze Forderung nach Ein-Euro-Jobs. Das Konzept: Nach drei Monaten Deutschkurs (mit mindestens 15 Stunden pro Woche), drei Monaten Orientierungskurs – wofür die derzeitigen Wertekurse aufgewertet werden sollen – und einem Monat "Kompetenzcheck" würden die Flüchtlinge ein dreimonatiges Arbeitstraining absolvieren. Das wäre beispielsweise in sozialökonomischen Betrieben, bei Gemeinden, in Organisationen oder in Form eines Besuchs von Lehrwerkstätten möglich. Eine Entlohnung ist nicht vorgesehen. Den Flüchtlingen bliebe bloß die Grundversorgung beziehungsweise Mindestsicherung. Dieses Konzept habe im Gegensatz zu Minijobmodellen keine rechtlichen Auswirkungen auf Österreicher und EU-Bürger und sei tatsächlich arbeitsmarktneutral, argumentieren die Sozialdemokraten.

Frage: Welche Ideen hat die ÖVP im Bereich Beschäftigung?

Antwort: Die ÖVP fordert eine "Beschäftigungsverpflichtung". Betroffene müssten demnach sogenannte gemeinnützige "Ein-Euro-Jobs" annehmen als Ergänzung zur "Mindestsicherung light". Ziel sei es, den Menschen eine Tagesstruktur zu geben und sie an "gesellschaftlichen und sozialen Aktivitäten" teilhaben zu lassen, heißt es vonseiten der ÖVP. Vorgesehen sind Tätigkeiten im kommunalen Bereich – zum Beispiel Rasenmähen, Straßenkehren oder Mitarbeit in Sozialeinrichtungen der Gemeinde, erläutert Wöginger. Jedenfalls dürften es keine Arbeitsplätze sein, die den Wettbewerb verzerren.

Frage: Was sind denn aktuell die Voraussetzungen, um Mindestsicherung zu beziehen?

Antwort: Anspruch haben hilfsbedürftige Menschen, deren Haushaltseinkommen unter den Mindeststandards liegt, die ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben und ihren Bedarf nicht durch eigene Mittel decken können, insofern sie Arbeitsbereitschaft zeigen. Bevor man Mindestsicherung bekommt, muss das eigene Vermögen aufgebraucht werden, bis nur noch 4189 Euro übrig bleiben. Ausnahmen sind eine Eigentumswohnung, solange man darin wohnt, Einrichtung und ein Auto, wenn es der Betroffene berufsbedingt braucht.

Frage: Wie hoch ist die Mindestsicherung derzeit?

Antwort: Eine Einzelperson bekommt bis zu 837,76 Euro, Personen in Lebensgemeinschaften erhalten höchstens den eineinhalbfachen Betrag, also 1256,64 Euro. Pro Kind gibt es 150,80 Euro zusätzlich. Je nach Bundesland können höhere Beiträge und auch schon jetzt Ergänzungsleistungen ausgezahlt werden. Wer Mindestsicherung bezieht, ist krankenversichert.

Frage: Wie viele Menschen beziehen Mindestsicherung?

Antwort: Im Jahr 2015 haben insgesamt 284.374 Personen Mindestsicherung bezogen, der Staat hat ihnen 765 Millionen Euro ausgezahlt. Für das aktuelle Jahr wird mit einem Anstieg gerechnet. Hochrechnungen zufolge sind drei Viertel der Mindestsicherungsbezieher "Aufstocker" – sie erhalten also nicht die volle Höhe, sondern nur eine Zuzahlung. Eine Einzelperson erhält pro Monat durchschnittlich 331 Euro. Rund 27 Prozent der Bezieher sind Kinder. (Katharina Mittelstaedt, 26.9.2016)