Jetzt bin ich der Chef: ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner sieht derzeit keine Veranlassung, über die Parteiführung zu diskutieren. Sebastian Kurz äußert ebenfalls wenig Lust, schon jetzt diesen Job zu übernehmen. Früher oder später wird er wohl auf ihn zukommen.

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Wien – Mittlerweile ist es fast ein Ritual, mit dem ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner recht gelassen umgeht: Wenn die Volkspartei einen Parteivorstand ansetzt, bricht rund um ihn eine Debatte aus, dass es Zeit wäre für eine Amtsübergabe an seinen jungen Parteikollegen Sebastian Kurz. "Sehr beflügelnd ist es zwar nicht, wenn nach dem immergleichen Muster die immergleiche Rochade gefordert wird", sagte der Vizekanzler am Sonntagnachmittag im STANDARD-Gespräch: "Aber wir werden heute eine ganz normale Vorstandssitzung haben."

Kurz als Minister "mehr als ausgelastet"

Der Parteichef ging auch deshalb gelassen in die abendliche Sitzung, weil, wie Mitterlehner sagte, "die Obmanndiskussion nicht von Sebastian Kurz ausgegangen ist". In der Tat hatte der Außenminister am Samstag via TV und in mehreren Medien etwas genervt wissen lassen, dass er die ganze Debatte nicht verstehe: "Derzeit stehen keine Wahlen bevor, und ich bin als OSZE-Vorsitzender und Außenminister mehr als ausgelastet." ÖVP-Chef muss da – derzeit noch – nicht unbedingt dazukommen.

Für eine "Aussprache" zwischen Mitterlehner und Kurz zur parteiinternen Führungsfrage, wie sie Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl im STANDARD gefordert hatte, gebe es überhaupt keine Veranlassung, sagt Mitterlehner: "Wir werden jetzt ganz sicher nicht derartige Gespräche ankündigen oder führen.

Aussprache gut gemeint, aber nicht zweckdienlich

Der einzige Effekt wäre, dass es so interpretiert würde, dass wir Neuwahlen planen – was wir nicht tun. Solche Vorschläge sind vielleicht gut gemeint, aber in der derzeitigen Situation nicht wirklich zweckdienlich oder weiterführend."

Gleichwohl ist allen Beteiligten bewusst, dass früher oder später die Zeit für Sebastian Kurz ganz oben an der schwarzen Parteihierarchie kommen wird. "Er ist ein Asset für uns beide", sagt Mitterlehner dazu: "Wir sind froh, dass wir solche Führungspersönlichkeiten für die Zukunft haben."

Relaunch der rot-schwarzen Regierung

Vor der Zukunft gilt es aber die Gegenwart zu bestreiten, und die stellt sich in Form einer etwas zerrütteten rot-schwarzen Koalition, die sich für 2017 einen Neustart verordnet hat. Dementsprechend ging es laut Mitterlehner bei dem Treffen am Sonntag darum, "die ÖVP-Positionen für das angekündigte adaptierte Regierungsprogramm beziehungsweise den Relaunch der Regierung zu besprechen". Man wolle "unsere Prioritäten für ein akzentuierteres Regierungsprogramm", aber auch das Thema der Abgrenzung zur FPÖ debattieren.

Raus zu den Bürgermeistern im Land

Generalsekretär Werner Amon nannte im STANDARD-Gespräch drei inhaltliche Schwerpunkte, auf die sich die ÖVP konzentrieren will: Arbeit und Wirtschaft (z. B. attraktive Standortpolitik für Brexit-abtrünnige britische Firmen), Sicherheit und Nachhaltigkeit ("Renaissance der ökosozialen Marktwirtschaft"). Zusätzlich will die ÖVP im ersten Quartal in allen Bundesländern Bürgermeisterkonferenzen mit Mitterlehner, Amon und Finanzminister Hans Jörg Schelling abhalten – und den "Basisvertretern" ein offenes Ohr für ihre Leiden an der Regierung und/oder der Partei leihen.

Die Vorstandssitzung endete am späten Sonntagabend ohne Überraschungen und auch ohne personelle Entscheidungen. "Die Sitzung ist abgelaufen, wie von uns geplant. Es gab eine umfassende inhaltliche Diskussion bei guter und konstruktiver Stimmung", sagte Amon. (Lisa Nimmervoll, 8.1.2017)