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Seinen Kritikern gilt er als harter Machtmensch, Weggefährten als weltoffener Feingeist: "Meine Physiognomie macht mich nicht zum Sympathieträger", sagt Wolfgang Sobotka. "Dabei mag ich die Leut'."

Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Zusammengekniffene Augen, nach unten gezogene Mundwinkel und die Marotte, den bulligen Schädel in den Nacken zu werfen: Tritt Wolfgang Sobotka vor die Kameras, rechnet er nicht damit, dass ihm die Herzen zufliegen. Er könne verstehen, wenn ihn Menschen vor dem Fernseher für unnahbar, ja sogar überheblich hielten: "Meine Physiognomie macht mich nicht zum Sympathieträger. Dabei mag ich die Leut'."

Vermeintliche Missverständnisse hat Sobotka dieser Tage zuhauf auszuräumen. Nichts liege ihm ferner, als Keile in Regierung und Gesellschaft zu treiben, beteuert er – und bekommt in der Nachred' doch den Titel des Provokateurs umgehängt. Das gilt immer mehr auch für die eigenen Reihen: Der Innenminister strapaziert die Nerven von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner stärker als jeder Oppositionspolitiker.

In Gang gesetzt hat er die Eskalationsspirale bei den Koalitionsverhandlungen vor zwei Wochen. Mit seiner Weigerung, den fertigen Pakt zu unterschreiben, zerstörte Sobotka die von der Regierungsspitze ersonnene Inszenierung der neuen Gemeinsamkeit – und den persönlichen Erfolg gleich mit. Anstatt den Trotzkopf zu spielen, hätte er auch elegant auskosten können, der SPÖ einen Kanon an schwarzen Law-&-Order-Ideen angedreht zu haben.

Reform des Demonstrationsrechts

Der drohende Rauswurf aus der Regierung mag Sobotka letztlich zum Nachgeben motiviert haben, kleinlaut wurde er deshalb nicht. Als hätten SPÖ und ÖVP nicht eben nächtelang um Kompromisse gerungen, zauberte der Minister ohne jegliche Absprache einen Entwurf zur Reform – Kritiker sagen: Demontage – des Demonstrationsrechts aus dem Hut. So nicht, maßregelte selbst Mitterlehner: Ein sensibles Thema bedürfe einer ebensolchen Vorgangsweise.

Was treibt den 61-jährigen mit dem "Image eines Bulldozers" (Selbsteinschätzung)? Ein Leserbriefschreiber bot im STANDARD unlängst eine schonungslose Antwort an, ohne sich hinter Anonymität zu verschanzen. "Einfalt gepaart mit Macht", urteilte dieser, "ist eine explosive Mischung."

Klingt bestechend – wenn da nicht ein anderes Kapitel der Sobotka-Story wäre. "Nicht schrecken jetzt!", sagt ein langjähriger Beamter des Innenministeriums, "aber Sobotka ist der intellektuellste und belesenste Kopf im Haus seit 20 Jahren." Als "musisch und humanistisch" fundierten Partner für spannende Gespräche kennt ihn der liberale Ex-Vizekanzler Erhard Busek seit gemeinsamen Tagen bei der katholischen Hochschuljugend, und der bekennende Sozialdemokrat Dennis Beck, Chef der Wiener Gesundheitsförderung, sagt: "Sobotka ist ein blitzg'scheiter, weltoffener Mensch. Sein Amt spiegelt nur einen Teil von ihm wider."

"Wilder Hund"

Einen "wilden Hund" hat Beck aus der Schulzeit in Waidhofen an der Ybbs in Erinnerung. Geradezu "revolutionär" für Mostviertler Verhältnisse sei der "Sowerl", einst noch mit langen Haaren statt Glatze, aufgetreten – wobei dieser im Rückblick da schon eine Grenze zieht. Schmökern in der Mao-Bibel ja, "aber ein Linker war ich nie", sagt Sobotka und zitiert John F. Kennedy: "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt." Nicht das Kollektiv sei für ihn das Maß der Dinge, sondern das leistungswillige Individuum: "Das verstehe ich unter bürgerlich."

Musik, Geschichte und Violoncello hat der Sohn einer Schneiderin und eines Pädagogen ebenso studiert wie Dirigieren am Brucknerkonservatorium in Linz. In Waidhofen, als alte Handelsstadt seit jeher schwarz, arbeitete er als Lehrer, Stadtarchivar und Musikschulleiter, das örtliche Kammerorchester dirigiert er bis heute. Bürgermeister war der Patchworkvater von sechs Kindern nur gute zwei Jahre – und hat dennoch eine Fama wie ein Langzeitregent.

Dornröschen wachgeküsst

"Er hat die Stadt aus dem Dornröschenschlaf geholt", sagt der heutige Vizebürgermeister Martin Reifecker, wohlgemerkt ein Sozialdemokrat, den als jungen Menschen das "straffe Kommando" Sobotkas begeisterte: "Er hat Gas gegeben und die alte Partie abgestaubt. Um sieben Uhr in der Früh ist er auf den Bauhof gefahren, um zu schauen, ob die Arbeiter eh nicht mehr beim Kaffee sitzen."

Wer sich bei anderen Lokalpolitikern umhört, dem kommt nicht nur Lob für Stadterneuerungsprojekte und Handschlagqualität zu Ohren, sondern auch Hinweise auf Ellbogentechnik und überbordendenden Ehrgeiz. Doch auffällig ist: Fällt nur ein kritischer Halbsatz, bitten Gesprächspartner, selbst aus gegnerischen Parteien, um Anonymität. Mit dem "Oberguru" lege man sich nicht an – und wer wisse schon, wie weit der Arm eines Innenministers reiche.

Sobotka verkörpere eben archetypisch die niederösterreichische Schule der ÖVP, so eine unter Parteifreunden verbreitete Interpretation: Dazu gehöre auf der einen Seite unerschöpflicher Einsatz, um möglichst jeden Wähler mitsamt seinen Sorgen persönlich im Wirtshaus abzuholen; für Sobotka gilt eine Sechs-Stunden-Nachtruhe bereits als erholsames Ausschlafen. Auf der anderen stehe aber der Machtanspruch, eigene Interessen bis in jede Verästelung des Systems durchzusetzen – notfalls auch in einem rüderen Ton.

Dass Akteure jenseits der Landesgrenzen weniger servil agieren, stoße da auf Unverständnis, erzählt man in bundespolitischen Kreisen. Im Finanzministerium soll Sobotka zu seiner Zeit als Landesrat etwa mit deftigen Worten ein Veto gefordert haben, als die Finanzmarktaufsicht (FMA) über die Hypo Niederösterreich eine Strafe verhängt hatte. Dass die Behörde per Verfassung weisungsfrei gestellt ist, habe er als lächerlichen Vorwand abgetan.

Sobotka bestreitet das. Beschwert habe er sich schon über die Ungerechtigkeit, und zwar direkt bei der FMA, aber eine Intervention hinterrücks? Niemals: Er kämpfe stets mit offenem Visier.

Kronprinz abgeschoben

Daran gibt es aber gerade jetzt, wo Sobotka Minister ist, Zweifel. Nicht nur die Mir-san-mir-Mentalität habe er aus seiner Heimat mitgebracht, sondern auch eine versteckte Agenda, argwöhnen Koalitionäre beider Farben: Obwohl ihn Landeshauptmann Erwin Pröll nach Wien abgeschoben hat, um die bisherige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zur Nachfolgerin zu machen, exekutiere der verhinderte Kronprinz als Störenfried Interessen der Niederösterreicher.

Diese wollten die unbeliebte Bundesregierung vor ihrer Landtagswahl im Frühjahr 2018 fallen sehen – und Außenminister Sebastian Kurz als ÖVP-Chef.

Andere vermuten hinter den Eigenmächtigkeiten eher das Ego statt den Masterplan – das gelte gerade für die Unterschriftsaffäre. Spätestens seit Kanzler Christian Kern den streitbaren Kollegen öffentlich als SMS-ferngesteuerten Befehlsempfänger des "Paten" Pröll bloßgestellt hat, tragen die beiden Alphatiere eine Fehde aus. Kern löchere seinen Lieblingsfeind in Regierungssitzungen mit betont pingeligen Fragen, heißt es, und Sobotka gehe nun einmal "rasch über wie ein Häferl".

Quantität der Medienauftritte

Eine gewisse Aggressivität sei ihm eigen, sagt Busek, stößt sich aber mehr an einer anderen Schwäche. Bei allem geistigen Potenzial hänge Sobotka jener Schule an, die "Auffälligkeit über alles stellt". Diese "Politik mit ständig hohem Puls" sei auf dem Terrain eines Innenministers besonders heikel: Wer in der Flüchtlings- und Sicherheitsdebatte permanent Aufregung generiere, "erzeugt damit auch Angst".

Die Quantität der Medienauftritte sei für Sobotka ein entscheidendes Kriterium, hört man aus dem Innenministerium: Weil der Hausherr gerne überall gleichzeitig wäre, sei er schwer davon zu überzeugen, dass das Budget nicht ständig das Chartern eines Privatjets erlaube – was der Angesprochene freilich als Gerücht abtut.

Nicht nehmen ließ sich Sobotka den Auftritt vor Kameras, als die Polizei unlängst einen 17-jährigen Terrorverdächtigen festnahm: Er brach extra einen Besuch in Deutschland ab – und setzte sich dem Verdacht aus, die Sache aufzubauschen. Als derart unmittelbar, wie Sobotka suggeriert hatte, stellte sich die Gefahr eines Sprengstoffanschlags in der Folge nicht heraus; einwenden lässt sich allerdings, dass es schwer abschätzbar ist, ob ein zweifellos radikalisierter Bursche nicht einen Laster in die nächste Menschenmenge steuert.

Klar sei aber, sagt ein mit der Sache vertrauter Beamter: Indem Sobotka wenig von vorbereiteten Wordings halte und mitunter ins Spekulative abgleite, öffne er der Debatte über das politische Ausschlachten den Raum.

Neigung zum lauten Nachdenken

Auch das Stakkato immer neuer, oft unausgegorener Forderungen in den Medien könnte man mit der Neigung zum lauten Nachdenken erklären – oder mit Kalkül. Sobotka ziele gar nicht darauf ab, all die Vorschläge, von denen viele auf eine "Verkrüppelung des Rechtsstaates" hinausliefen, umzusetzen, glaubt Heinz Patzelt, Chef von Amnesty International. Vielmehr gehe es um das altbekannte Ziel heimischer Innenminister: "Abdichten nach rechts".

Für bezeichnend hält Patzelt den Streit um die Demos. Tatsächlich sei die Sorge wegen ausufernder Kundgebungen berechtigt, und Ministeriumsbeamte hätten einen durchaus "vernünftigen" Reformvorschlag ausgearbeitet. Doch Sobotka habe die Differenzierungen einfach weggelassen – nur um Härte zu demonstrieren.

Der Vielkritisierte dreht den Spieß um: Bescheiden sei die politische Kultur, wenn ein Minister mit neuen Ideen reflexartig als faschistoider Verfassungsfeind abgestempelt werde. Er versuche nichts anderes, als über den Weg offener Debatten Konsens zu finden, sagt Sobotka – doch dabei müssten auch Stimmen von unten zu Wort kommen: "Andere machen Politik vom grünen Tisch aus, ich nehme auf, was die Leute denken. Das ist der Unterschied." (Gerald John, 11.2.2017)