Ferrero-Waldner mit Finanzminister Schelling (beide ÖVP) bei der Angelobung von Van der Bellen als Bundespräsident: Bei ihrem eigenen Hofburg-Wahlkampf im Jahr 2004 sah sie sich mit mangelndem Rückhalt in der eigenen Partei konfrontiert.

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Wien – "Benita – Wo ein Wille, da ein Weg" – Unter dieses Motto stellt Benita Ferrero-Waldner die Bilanz ihres beruflichen und privaten Lebens. Spitzenfunktionen in der Bundesregierung, in der UNO und der EU-Kommission haben sie in die ganze Welt geführt. Ihre Erfahrungen hat die überzeugte Europäerin und Kosmopolitin gemeinsam mit dem Journalisten Ewald König in einem Buch zusammengefasst, das am Montagabend in Wien präsentiert wird.

Übersichtlich ist das Buch strukturiert, das den privaten Werdegang "Benitas" ebenso beleuchtet wie ihre berufliche Karriere. Es ist eine gelungene Mischung von persönlichen Eindrücken und Gefühlen auf der einen, professionellen Begegnungen, Erlebnissen und Entscheidungen auf der anderen Seite. Geschrieben in einer Sprache, die Kennern der Polit-Szene "zwischenmenschliche" Details vermittelt, und die interessierte Menschen in eine Welt komplexer Zusammenhänge blicken lässt.

Blick hinter die Kulissen

Gleich zu Beginn hält Ferrero-Waldner fest: Sie habe erlebt, "wie Entscheidungen hinter den Kulissen zustande kommen und Außenpolitik nicht nur auf Wahrung von Interessen, sondern oft auf persönlicher Chemie beruht". Sie äußert Sorge um die EU, die an Bedeutung verloren hat, auch als Modell für regionale Integration. Mit der EU-Osterweiterung habe sie einen Höhepunkt erlebt. Aber jetzt "schwächelt Europa", keiner der vielen eingefrorenen Konflikte sei gelöst. Ihr Ratschlag an Österreich: "Ein kleines Land braucht Allianzen."

Ferrero-Waldner sieht sich – zu Recht – als Vorkämpferin der Frauen in einer Männerwelt: erste UNO-Protokollchefin, erste Außenministerin Österreichs, EU-Kommissarin und fast erste Bundespräsidentin. Übrigens merkt sie an: Vorbehalte als Frau habe sie nicht im arabischen Raum, sondern in Europa und speziell in Österreich erfahren. Die gebürtige Salzburgerin schreibt über die Menschen, die sie prägten, ihre Eltern, ihre Lehrer ("Du bist doch die geborene Diplomatin!") und ihren Ehemann, den spanischen Literaturwissenschafter Francisco "Paco" Ferrero Campos, der seine Karriere stets hinanstellte. Sie schreibt über ihren Umstieg mit 35 von der Exportwirtschaft in ihren Traumberuf Diplomatie. Sie schildert den Start im Außenamt, wo damals junge Diplomatinnen nicht ernst genommen wurden – dabei hat sie keine Scheu, kritisch Namen zu nennen.

Als lehrreiche Stationen in Sachen Außenpolitik ("das Andere faszinierte mich") nennt die Autorin die Bewährungsprobe der Wiener UNO-Menschenrechtskonferenz 1993 und die "Feuertaufe" an der Spitze des UNO-Protokolls in New York unter Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali. Ihre globale Erfahrung und persönliche Kenntnis von Polit-Akteuren in aller Welt empfand sie für ihre späteren Posten in Wien und Brüssel als großes Plus. 1995 holte sie Wolfgang Schüssel als Staatssekretärin in die Rot-Schwarz-Regierung. 2000 wurde sie Außenministerin in Bundeskanzler Schüssels schwarz-blauer Regierung.

Ausführliches zu Sanktionen

Den EU-Sanktionen widmet Ferrero-Waldner ein langes Kapitel. Interessantes berichtet die Autorin von Schauplätzen in aller Welt. Ihre Tour d'Horizon gliedert sie in "Süden" (mit Mittelmeer-Region und Nahost), "Osten" (EU-Russland, Zentralasien, Fernost), "Westen" (USA, Kanada und Lateinamerika) und "Europa". An kritischen Anmerkungen mangelt es nicht. Im Nahost-Quartett hätten die USA immer "die erste Geige gespielt", die Briten ordneten sich unter.

Einen Erfolg des Arabischen Frühlings bezweifelte sie von Anfang an. Hinsichtlich der postsowjetischen Staaten bestehe ein Wettstreit zwischen dem europäischen und dem russischen Integrationsmodell. Im Ukraine-Konflikt erinnert sie an die US-Avancen in puncto NATO gegenüber Kiew und sieht die EU wegen der Moskau-Sanktionen im Dilemma. Einige Reisen in arabische Staaten in der Vita Ferrero-Waldners lesen sich, als wären sie einem Abenteurerroman entnommen. 1998 flog sie im Rahmen einer EU-Troika in Sachen Geiselbefreiung nach Algerien, in einer Zeit von Unruhen. "Ich hatte Höllenangst", beschreibt sie die Situation. Im Irak war sie als EU-Kommissarin nach der US-Invasion, als es Attentate am laufenden Band gab. Flug nach Amman, von dort im Hubschrauber nach Bagdad, Landung "im Sturzflug". Sie geht auch auf die Irak-Reisen Jörg Haiders ein, der nie das Außenamt über seine Aktionen informierte.

Listiger Gaddafi

Berührend schildert sie ihre EU-Mission in Libyen zur Freilassung der inhaftierten bulgarischen Krankenschwestern und eines palästinensischen Arztes ("abgemagert, ein Nervenbündel"), die wegen HIV-infizierter Kinder zum Tode verurteilt wurden. Samt Querschüssen des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der sich in der Causa unbedingt die Lorbeeren holen wollte und seine Noch-Ehefrau Cecilia nach Tripolis schickte. Den libyschen Diktator Muammar Gaddafi schildert Ferrero als "unglaublich listigen Mann". Bei dem Treffen mit ihm "ging es zu wie auf einem Bazar"; für die Freilassungen, die schließlich gelangen, wollte Libyen viel Geld.

Die strategische Partnerschaft EU-USA hält Ferrero-Waldner trotz aller Ups and Downs angesichts globaler Herausforderungen wie Massenvernichtungswaffen, Terrorismus und Klimawandel für unverzichtbar. Sie schildert ihre Begegnungen mit US-Amtskollegen wie Madeleine Albright, Colin Powell und Condoleezza Rice. Vom Protektionismus unter US-Präsident Donald Trump befürchtet sie langfristig negative Folgen. Ein Plädoyer hält die hispanophile Ex-Politikerin für Lateinamerika, "das europäisch ausgerichtet ist". Europa vernachlässige diese Region, bedauert die frühere Präsidentin der EU-LAK-Stiftung, die nun ihren Sitz in Hamburg hat.

EU im Krisenmodus

Im Kapitel "EU im Krisenmodus" äußert sich die Autorin kritisch zu "Bürokratie und Überkontrolle". Sie ortet "eine Sinnkrise" und sorgt sich nach dem Brexit über den "Virus des Austritts" im Zuge von Nationalismus und Populismus. Freilich, die Briten hätten in der EU immer das Kalkül verfolgt, "eine große Freihandelszone" und keine politische Union zu schaffen. Das Buch ging offenbar in Druck, bevor das Katalonien-Referendum virulent wurde. Ferrero-Waldner hätte dazu sicher einiges gesagt.

In der Flüchtlingsfrage beklagt sie die mangelnde Solidarität bei der Aufteilung. Vor allem aber kritisiert sie die UNO, die "moralische Verantwortung hat", aber nicht global aktiv werde. In einem Kapitel befasst sich Ferrero-Waldner mit ihren Kandidaturen bei der Bundespräsidentenwahl 2004 und bei der Wahl des UNESCO-Generalsekretärs 2009. In beiden Fällen lässt sie viel Persönliches einfließen.

Im ersten Fall beklagt sie mangelnden Rückhalt in Teilen der eigenen Partei ÖVP und persönliche Angriffe gegen sie und ihren Mann. Ernste Morddrohungen bescherten ihr einen massiven Cobra-Schutz beim Opernball und im restlichen Wahlkampf, den sie detailliert beschreibt. Aus dem politischen Hickhack um den UNESCO-Chefposten zog sie sich vorzeitig zurück; auch dort war aus ihrer Sicht Österreichs Lobbying schwach. Grußworte von Wegbegleitern runden die Rückschau Ferrero-Waldners ab. Unter ihnen sind Ehemann "Paco", der Fotograf Bernhard Holzner (Hopi), Altbundeskanzler Schüssel ("weltoffene Kämpferin, hartnäckige Optimistin") und der heutige deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ("Außenpolitikerin mit Vision").

Übrigens: Der Buchumschlag ist ganz in Türkis. Dies ist aber nicht als Tribut an die neue ÖVP von Sebastian Kurz aufzufassen. "Benita" nennt ihre Lieblingsfarbe türkis neben schwarz und weiß, wie auch aus Fotos im Buch ersichtlich ist. (APA, 30.10.2017)