Kanzler Sebastian Kurz und sein Vize Heinz-Christian Strache konkretisierten am Dienstag im Bundeskanzleramt die Fahrpläne bekannter Reformvorhaben.

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Wien – Zwei Tage nach der letzten Landtagswahl für heuer luden Kanzler und Vizekanzler die Presse zu sich und gaben den Landesfürsten das neue Tempo vor: Man wolle ihre Vorschläge für eine Reform der Mindestsicherung nicht abwarten, erklärten Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) am Dienstag. Anfang Juni werde die Koalition einen Gesetzesentwurf in Begutachtung schicken und die Sozialleistung damit endgültig einheitlich regeln. Die Länder? Die können sich in der Begutachtungsphase dann ja noch einbringen, beschwichtigten die beiden.

Sozialministerin übergangen

Vereinbart war eigentlich etwas anderes. Die Steirerin Doris Kampus, Vorsitzende der Sozialreferentenkonferenz, ist deshalb "entsetzt", wie sie im Gespräch mit dem STANDARD sagt: "Elf Tage hat das Wort der Sozialministerin gegenüber den Bundesländern gehalten", erinnert die Sozialdemokratin an das Versprechen von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) vom 13. April.

Damals hieß es, dass die Vorschläge der Bundesländer die Basis für eine Reform der Mindestsicherung bilden sollen. Bis Ende Juni wollten die Länder ein entsprechendes Papier vorlegen. "Jetzt wissen wir, was von solchen Zusagen zu halten ist." Hartinger-Klein sei entmachtet und "öffentlich bloßgestellt", die Bundesländer "sind brüskiert", sagt Kampus.

Die Regierung möchte in den nächsten Monaten in drei konkreten Bereichen Ergebnisse liefern. Reformen soll es bei der Mindestsicherung, der Verwaltung und bei den Krankenkassen geben.
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"Eine starke Desavouierung der Länder", sieht Wiens designierter Bürgermeister Michael Ludwig. Die Akteure in der Republik sollten miteinander, nicht gegeneinander arbeiten, forderte der SP-Politiker im Ö1-"Morgenjournal": Das sei nur möglich, wenn man mit den Ländern spreche – "und nicht ihnen etwas vorschreibt".

Auch Wiens Sozialstadträtin Sandra Frauenberger (ebenfalls SPÖ) kritisiert das "Durchpeitschen" der Reform durch die türkis-blaue Regierung. Für die Vorarlberger Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) ist die Ankündigung ein Affront gegen die Länder. Sie möchte Kurz außerdem daran erinnern, dass die Mindestsicherung keine Versicherungsleistung sei, es gehe um Existenzsicherung.

Anders sehen das die schwarzen Landeschefs: Es sei gut, dass der Bund das Thema angehe, findet Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter will "nicht sofort wieder eine Gegenposition beziehen".

Keine Reformen auf Kosten der Länder

Salzburgs frisch wiedergewählter Landeschef Wilfried Haslauer (ÖVP) hatte am Montag noch erklärt, dass die Regierung keine Reformen "auf Kosten der Länder" durchführen könne. Am Dienstag stellte er klar: Eine einheitliche Lösung der Mindestsicherung sei zu begrüßen. Allerdings: "Die Situation ist ja nicht überall gleich. Salzburg hat eine andere Situation als andere Bundesländer, bei uns ist das Leben insgesamt teurer." Man müsse sich im Juni dann anschauen, inwieweit es von Länderseite noch Verhandlungsbedarf gebe.

Kurz hielt beim Pressetermin auf Nachfrage jedenfalls fest: "Konflikt ist manchmal notwendig, wenn man etwas umsetzen möchte, das man für richtig hält."

Verfassungswidrige Vorhaben

Was die Koalition nun konkret plant, ist derzeit noch unklar. Details wurden am Dienstag keine bekanntgegeben. In ihrem Regierungsprogramm hatten ÖVP und FPÖ eine österreichweite Deckelung der Mindestsicherung bei 1.500 Euro angekündigt. Genau das hat der Verfassungsgerichtshof in Niederösterreich aber aufgehoben. Vorbild könnte nun das Mindestsicherungsmodell aus Oberösterreich sein, wo Flüchtlinge gezielt weniger Geld bekommen – Experten halten jedoch auch das für rechtswidrig. Eine andere Möglichkeit wäre, dass sich Türkis-Blau an Vorarlberg orientiert. Dort wird auf Sachleistungen gesetzt, was auch verfassungsrechtlich möglich ist.

Fest steht: Eigentlich ist die Ausgestaltung der Mindestsicherung Ländersache. Die Regierung kann also lediglich ein sogenanntes Grundsatzgesetz erlassen, das die Länder dann theoretisch ausführen müssen – gezwungen werden können sie aber nicht. Sollte sich ein Bundesland weigern, müsste der Verfassungsgerichtshof prüfen, ob ein Verstoß gegen das Bundesgesetz vorliegt.

Kürzeres Warten im Amt

Tempo macht die Regierung auch bei der Reform der Sozialversicherung. Wie seit längerem bekannt, will Türkis-Blau, dass die 21 Krankenkassen auf maximal fünf reduziert werden. Es könne schließlich aber durchaus auch weniger als fünf Kassen geben, betont der Vizekanzler. Einen entsprechenden Gesetzesvorschlag will die Regierung in der ersten Mai-Hälfte vorlegen.

Dritter Schwerpunkt der Koalition bis zum Sommer sind Verwaltungsreform und Deregulierung. Unter anderem sollen die Berichts- und Meldepflichten reduziert werden. Verwaltungsübertretungen dürften nicht mehr zu existenzbedrohenden Strafen führen, findet Kurz. Auch die Wartezeiten bei Amtswegen sollen kürzer werden. (Katharina Mittelstaedt, Walter Müller, Jutta Berger, 24.4.2018)