Sebastian Kurz wiederholt die Phrase bei jeder möglichen Gelegenheit. Die von ihm geführte türkis-blaue Regierung sei eine "proeuropäische", meint der Kanzler. So etwas macht sich gut, wenn man beim Bundespräsidenten ist, der nur eine proeuropäische Regierung angeloben wollte. So etwas macht sich gut, wenn man im heimischen Parlament schöne Reden schwingt. Und so etwas macht sich natürlich auch gut, wenn man sich auf dem internationalen Parkett als Staatsmann präsentieren will.

Durch das ständige Wiederholen wird der Satz aber nicht richtig. Der Beschluss der indexierten Familienbeihilfe am Mittwoch durch die Regierung mag vieles sein, aber proeuropäisch ist er definitiv nicht. So ziemlich jeder Experte im In- und Ausland hat die Koalition darauf hingewiesen, dass es mit Europarecht nicht vereinbar ist, für Kinder, die im Ausland leben, eine an die dortige Kaufkraft angepasste Familienbeihilfe zu zahlen.

Eins zu hundert

Die EU-Kommission vertritt diese Rechtsansicht, die Europa-Fachabteilung des deutschen Bundestags vertritt diese Rechtsansicht, und auch der Verfassungsdienst des Justizministeriums hat bereits vor einem Jahr deponiert, dass Österreich mit seinem Vorhaben kaum eine Chance hat, beim Europäischen Gerichtshof durchzukommen.

Lediglich der Kurz-Berater Wolfgang Mazal ist der Meinung, dass die Indexierung, die für viele in Österreich tätige osteuropäische Arbeitskräfte zu einer Kürzung führen wird, hält. Einer von hundert Experten unterstützt also den türkis-blauen Plan – und genau auf diesen einen Experten beruft man sich. So sieht seriöse Politik der Marke neuer Stil aus.

Putziger Briten-Vergleich

Fast schon putzig ist das Argument, die EU habe doch auch den Briten eine indexierte Familienbeihilfe zugesagt, um sie vom Brexit abzuhalten. Das stimmt natürlich. Nur, und der Teil wird offenbar bewusst ausgeblendet: Da man wusste, dass eine Indexierung mit dem derzeitigen EU-Recht unvereinbar ist, hatte man den Briten eine Änderung des europäischen Rechts zugesagt.

Diesen Weg könnte natürlich auch Österreich einschlagen. Also langwierige Verhandlungen mit den anderen EU-Staaten führen, um sie davon zu überzeugen, dass ein Land, dessen Unternehmen zig Milliarden Euro in Osteuropa verdient haben, sich ein paar hundert Millionen für die Familienbeihilfe nicht leisten kann. Dieser Weg wird aber aus guten Gründen nicht eingeschlagen. Allen ist bewusst: Man müsste den Osteuropäern etwas anbieten, damit diese eine Schlechterstellung "ihrer" Leute in Kauf nehmen.

Der einfache Weg

Da geht man lieber den einfachen Weg. Man beschließt eine Regelung, die dann wahrscheinlich irgendwann aufgehoben wird. Dann werden die bösen europäischen Gerichte schuld sein. Jetzt geht es um etwas anderes. Um das Signal: Wir tun etwas gegen die Ausländer. Kleine Probleme werden dafür zu großen aufgeblasen.

Dieses Schema setzt sich bei anderen Themen fort: Auch beim Familienbonus werden – trotz ähnlicher Bedenken wir bei der Familienbeihilfe – EU-Zuwanderer schlechtergestellt. Die Grenzkontrollen sollen auch Jahre nach den größeren Flüchtlingsströmen immer weiter verlängert werden. Türkis-Blau vermittelt den Eindruck, dass Österreich der große Verlierer der europäischen Idee sei. So weit das Handeln. Pünktlich zum Beginn der EU-Ratspräsidentschaft mit 1. Juli werden wir dann wieder täglich hören: Diese Regierung ist eine proeuropäische. (Günther Oswald, 2.5.2018)