Michael Köhlmeier (Mitte) der Veranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am Freitag.

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Wien – Der scheidende Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) verteidigte am Sonntag Kanzler Sebastian Kurz: Er halte die Rede Michael Köhlmeiers bei einem Gedenkakt des Parlaments zwar für "zu 99 Prozent positiv", doch mit Schoah-Vergleichen müsse man "immer vorsichtig sein", erklärte er in der ORF-"Pressestunde".

Pressestunde mit Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ): Meinung zur Rede von Michael Köhlmeier beim Gedenktag am 4. Mai
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Die Rede sei grundsätzlich "würdig, in Ordnung und begrüßenswert", findet Häupl. Natürlich habe der Autor das Recht, überzogen und zugespitzt zu formulieren, lediglich ein Vergleich sei "in die Hose gegangen". Köhlmeier hatte in Anspielung auf die "Schließung der Balkan-Route", mit der Kurz sich regelmäßig rühmt, gesagt: "Es hat auch damals (in der NS-Zeit, Anm.) schon Menschen gegeben, die sich damit brüsteten, Fluchtrouten geschlossen zu haben."

ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer gab sich am Wochenende empört: "Der Vergleich der Balkanrouten-Schließung mit der Judenverfolgung ist entschieden zurückzuweisen." Er respektiere die freie Meinungsäußerung und die Ansichten Köhlmeiers, er wolle dennoch klar stellen, dass "eine Gleichstellung der Politik gegen illegale Migration mit der Ermordung von sechs Millionen Juden völlig inakzeptabel ist".

Rede bei Gedenkveranstaltung

Köhlmeiers Rede sorgt seit Freitag für Diskussionen. Er habe sich vorgestellt, wie ihm die Ermordeten des Naziregimes gegenüberstehen und fragen: Was sagst du auf einer Bühne, auf einer Gedenkveranstaltung, wenn im Publikum Mitglieder einer Partei sitzen, die "nahezu im Wochenrhythmus naziverharmlosende oder antisemitische oder rassistische Meldungen abgeben". Köhlmeier entschied sich dann für deutliche Worte und watschte allen voran die Freiheitlichen ab – obwohl er in erster Linie Fragen stellte.

"Gehörst du auch zu denen, höre ich fragen, die sich abstumpfen haben lassen, die durch das gespenstische Immer-Wieder dieser 'Einzelfälle' nicht mehr alarmiert sind, sondern im Gegenteil, das häufige Auftreten solcher Fälle als Symptom der Landläufigkeit abtun, des Normalen, des 'Kenn-ma-eh-Schon', des einschläfernden 'Ist-nix-Neues'?", rief Köhlmeier bei dem Gedenken am Freitag.

Und weiter: "Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan."

Freiheitliche sind empört

Am Ende bekam der Literat stürmischen Applaus und erhielt stehende Ovationen. In ÖVP und FPÖ kam die Rede allerdings nicht so gut an. Die Freiheitlichen, an vorderster Front der blaue Klubobmann Walter Rosenkranz, setzten zu einem Gegenangriff an: "Köhlmeier ist seit Jahren dafür bekannt, dass er seine persönlichen und politischen Aversionen gegen die FPÖ bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von sich gibt. Daher darf es auch nicht verwundern, dass er diese heutige Bühne hochmütig missbraucht hat", ließ Rosenkranz in einer Aussendung wissen. "Dem heutigen Gedenktag hat Köhlmeier einen Bärendienst erwiesen, auch wenn ihn seine Claqueure dafür abfeiern. Vielen Ehrengästen war die Empörung sichtlich anzusehen und sie applaudierten demonstrativ nicht." Der FPÖ-Abgeordnete David Lasar bezeichneten Köhlmeier als selbstgerecht.

In einem Interview mit der Zeitung "Österreich" kontert Köhlmeier Kritikern, die ihm nun eine Verharmlosung des Holocausts unterstellen: "Das ist Chuzpe. Aber ich möchte diesen Vorwurf ernst nehmen: Man möge mir die Stelle in meiner Rede zeigen, wo ich das getan habe. Denn nichts liegt mir ferner." Beim ihm läute seither den ganzen Tag das Telefon: "Nur positive Reaktionen. Die mir nicht Wohlgesonnenen haben die Nummer nicht." (Katharina Mittelstaedt, 6.5.2018)