Michael Drmota lobt die Zentralmatura, weil sie auf das Verständnis mathematischer Zusammenhänge abzielt.

Foto: TU Wien

Standard: Was halten Sie als Universitätsprofessor für Mathematik von der Mathe-Zentralmatura?

Drmota: Grundsätzlich begrüße ich Konzeption und Einführung der Mathematik-Zentralmatura, da sie einerseits eine Vergleichbarkeit sicherstellt und, viel wesentlicher noch, neben – absolut notwendigen – Rechenfertigkeiten und dem textuellen Erfassen auf grundsätzliches Verständnis mathematischer Zusammenhänge und Begriffsbildungen abzielt. Ich empfinde das als wesentlichen Fortschritt, der Chancen eröffnet für eine weitere Entwicklung in die richtige Richtung – damit meine ich eine insgesamt verbesserte mathematische Schulausbildung.

Standard: Wo gibt es aus Ihrer Sicht Verbesserungsbedarf?

Drmota: Berechtigte Kritik gibt es an der hinterfragenswerten Kompetenzorientierung, der teilweise überbordenden Textlastigkeit der Typ-2-Beispiele oder daran, dass manche Prüfungsbeispiele nicht genau oder korrekt genug formuliert sind. Es wäre meiner Meinung nach auch falsch, wenn der Mathematikunterricht nur noch auf die Bewältigung der Matura ausgerichtet ist.

Standard: Worauf kommt es an?

Drmota: Wesentlich ist, wie schon gesagt, sowohl auf das grundlegende Verständnis als auch auf rechnerische Fähigkeiten abzuzielen. Nur so können etwa Computeralgebraprogramme sinnvoll eingesetzt werden. Und die Zentralmatura wird dann auch kein Problem mehr sein. Selbstverständlich soll und muss es auch Raum für eine individuelle Ausgestaltung des Unterrichts geben.

Standard: Werden im Mathematikunterricht individuelle Begabungen ausreichend gefördert?

Drmota: Das ist ein eigenes Thema. In dem Zusammenhang leistet die Mathematik-Olympiade sehr gute Dienste, indem sie besonders begabte Schüler in geeigneter Weise fördert. Auf allgemeinerer Ebene hat sich der internationale Känguru-Test in Mathematik sehr bewährt. Das ist quasi der mathematische Breitensport, während die Mathematik-Olympiade gleichsam den Spitzensport darstellt.

Standard: Ist der Oberstufenstoff ausreichend für das weitere Studium eines Mint-Fachs?

Drmota: Es geht meiner Meinung nach nicht vorrangig um den Stoff. Hier wurde eine durchaus sinnvolle Auswahl getroffen, die selbstverständlich weiterentwickelt werden muss. Es geht neben dem Vermitteln von grundlegenden mathematischen Begriffen und Fertigkeiten vor allem um das mehrfach erwähnte Verständnis mathematischer Zusammenhänge. Wenn dieses vorhanden ist, können wir an den Universitäten dann darauf aufbauen und müssen nicht immer größere Lücken am Anfang des Studiums schließen.

Standard: Müssen Sie das tatsächlich?

Drmota: Tatsächlich beobachten wir an den technischen Universitäten ein stetes Absinken der mathematischen Kenntnisse und Fähigkeiten von Studienanfängern. Die Zentralmatura ist sicher nicht Ursache dieser Entwicklung, aber sie zeigt recht deutlich auf, wo es an den Schulen Defizite in der Ausbildung gibt.

Standard: Wie gleichen Sie diese Defizite an der Uni konkret aus?

Drmota: Wir begegnen diesem Trend mit verschiedenen Auffrischungskursen am Beginn des ersten Semesters, mit Onlinetests sowie mit deutlich intensiveren Mathematikübungen in den Mathematikgrundvorlesungen unserer technischen Fächer. Man muss auch sehen, dass es jetzt deutlich mehr Studierende technischer Fächer gibt als vor zehn oder 20 Jahren, was das Absinken des durchschnittlichen Niveaus mitbedingt. Diese Bemühungen tragen Früchte: Die Absolventenzahlen steigen in dem Ausmaß wie die Anfängerzahlen. (Klaus Taschwer, 11.5.2018)