Erinnerung an die Opfer des Konzentrationslagers Melk.

Foto: Stefanie Sargnagel
DER STANDARD
Foto: Stefanie Sargnagel

ARON ROSENFELD: Steffi zwingt mich zum Besuch der Pfingstmesse, in der Hoffnung, ich möge Jesus endlich als meinen Erlöser anerkennen. Schon seit Beginn unserer Reise registriere ich mit wachsendem Missmut ihre unterschwelligen Versuche, mich zum Christentum zu bekehren. Während der Predigt, in der es hauptsächlich um die Angst der Apostel vor den Juden geht (was mich mit Stolz erfüllt), werde ich zunehmend unrund und frage sie, wie lange denn katholische Gottesdienste in der Regel so dauern...? – "Ewig."

Der eigentümliche Retrofeudalismus Melk´scher Prägung äußert sich vor allem in der ungebrochen starken Bindung der Bürger an das Stift, wo sich die Stadtprominenz zum sonntäglichen Stelldichein verabredet. Am frühen Nachmittag treffen wir Mitglieder des Gedenkvereins MERKwürdig, der es sich zur Aufgabe gesetzt hat, das Konzentrationslager Melk als Erinnerungsort im Bewusstsein einer breiteren Bevölkerung zu verankern. In diesem immerhin drittgrößten Außenlager Mauthausens wurden im Zuge seines einjährigen Bestehens rund fünftausend Häftlinge unterschiedlicher Nationalität zu Tode geschunden, von deren Einsatz im Quarzabbau zahlreiche Firmen der näheren Umgebung einträglich profitierten.

Der kenntnisreiche Zeithistoriker Christian Rabl führt uns durch die Ausstellung im ehemaligen Krematorium, wo die verschiedenen Opferverbände an den Wänden des zentral gelegenen "Pietätsraumes" mehrsprachige Gedenktafeln in Deutsch, Französisch, Ungarisch, Polnisch und Hebräisch anbringen ließen. Zum Schluss werden wir freundlicherweise noch am nächstgelegenen Kreisverkehr abgesetzt.

Dort halten wir aus Entscheidungsschwäche ein Schild in die Höhe, auf dem ausnahmsweise anstelle der Ortsangabe ein unmotiviertes "EGAL" zu lesen ist, und ernten dafür vonseiten der Fahrer zwar viele Lacher, aber keinerlei Mitfahrgelegenheit. Als wären wir bloß zwei gemeindebeauftragte Autobahnclowns zur Unterhaltung der Fernreisenden?

Schließlich erbarmen sich zwei Denkmalschützer auf Dienstreise und ich bin überglücklich, eine ganze Stunde lang über eines meiner Lieblingsthemen – herrliche Altbauten und Österreichs zerstörerischen Umgang mit seinem architektonischen Erbe – fachzusimpeln, während Steffi vor Langeweile im Facebook-Rausch abstürzt.


Foto: Aron Rosenfeld

STEFANIE SARGNAGEL: Nach einer eiskalten Nacht in meinem viel zu dünnen Schlafsack wache ich in unserem illegalen Waldversteck auf. Beim Morgenlulu finde ich neben Brennesselquaddeln zahlreiche Spuren klerikaler Cruisingaktivitäten. Ich wasche mich notdürftig in der Melk und wecke Aron für die Messe. Bepackt mit unseren Rucksäcken besteigen wir den Hügel zum Stift, der Anblick fühlt sich an, als würde einen jemand gewaltvoll mit dem Gesicht in eine Torte stoßen.

Schnappatmend schleppen wir uns in die Kirche, wo wir neben den sonntagstrachttragenden Melkern eher negativ auffallen. Als ich ergeben das "Vater unser" bete, höre ich Aron stattdessen hebräische Flüche murmeln und beim "Friede sei mit dir" sagt er tatsächlich "Schalom", es ist zum Genieren.

Ich bin ganz betrunken vom barocken Prunk, er überreizt einen mit der Perversion des Katholizismus: Abbildungen von Heiligen mit vor Lust und Qual verdrehten Augen umgeben von nackten dicken, sich lasziv um sie räkelnden Kleinkindern. Ich liebe kirchliche Riten und wäre am liebsten Bischof. Später führt uns ein Historiker durch das beinah vergessene Melker KZ.

Bei Dämmerung landen wir per Autostopp in Lunz. Wir möchten gerne ein Zimmer mieten, aber die ganze Stadt ist ausgebucht. Beim Spazieren zum Campingplatz stoßen wir auf die kleine, von einem Tschechen geführte Unterkunft "Penzion Sunny", die auf keiner Internetseite aufscheint. Die Zimmer sind sehr günstig, offenbar handelt es sich um einen Geheimtipp der tschechischen Parallelgesellschaft Lunz.

Wir realisieren, dass wir auf unserer Tour durchs gelobte, gesegnete Vaterland seit fünf Tagen nicht aus Niederösterreich raus gekommen sind. In der Nacht schreckt Aron immer wieder von Alpträumen hoch und schreit: "Ich will raus!" (Aron Rosenfeld, Stefanie Sargnagel, 22.5.2018)