Ein Jahr nach seinem für viele überraschenden Ausscheiden aus der Politik war er wieder da. Dass man zu so einem Jahrestag Interviews gibt, wird für den Polit-Profi Reinhold Mitterlehner Routine gewesen sein – und es wird Zustimmung von etlichen alten Fans gebracht haben, die die ÖVP unter "Django" als gar nicht so schlecht aufgestellt erlebt haben. Da war man halt ein "Schwarzer".

Man trug das vor Jahrzehnten vom "roten" politischen Gegner angeheftete Etikett – schwarz ist die Farbe der seinerzeit bei den Christlichsozialen sehr einflussreichen Kirche – mit gewissem Stolz.

Wer Schwarz als seine Parteifarbe angenommen hatte, wunderte sich im vergangenen Frühsommer, als Sebastian Kurz die Partei innerhalb weniger Wochen umbaute und auf Türkis umfärbte. Das war durchaus erfolgreich, es brachte der ÖVP die Mehrheit und Kurz den Posten des Bundeskanzlers. Aber was auf Bundesebene funktioniert hat, funktioniert eben nicht unbedingt auch in anderen Bereichen. Und in den Bundesländern hat die Volkspartei ohnehin schon immer ein gewisses Eigenleben entwickelt.

Einfaches Parteimitglied Reinhold Mitterlehner.
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So setzte das einfache, aber unter alten Schwarzen immer noch hoch respektierte oberösterreichische Parteimitglied Mitterlehner seine Unterschrift unter die von seinem grünen Landsmann Rudi Anschober gestartete Petition gegen die Abschiebung von abgelehnten Asylwerbern, die derzeit eine Lehre absolvieren.

Womit Mitterlehner wieder in den Schlagzeilen war – ein kleiner schwarzer Fleck auf der türkisen Einheitsfarbe.

Farbenspiel auf Landesebene

Die Einheitlichkeit der Marke ÖVP ist ohnehin Fiktion: Die Salzburger ÖVP tritt auf ihrer Website mit türkiser und blauer Farbe auf, die Oberösterreicher halten sich an die Landesfarben Weiß-Rot und Gelb und haben ihr Parteikürzel altbewährt weiß auf schwarzen Grund gesetzt. In der Steiermark ist die ÖVP-Selbstdarstellung ebenfalls in den Landesfarben Grün-Weiß. Die Tiroler Volkspartei tritt mit den Farben Weiß, Rot und Schwarz auf – das gemeinsam mit den Grünen beschlossene Regierungsprogramm hat allerdings ein türkis-grünes Deckblatt.

Allen Ländern gemeinsam ist, dass die jeweilige Landes-ÖVP zwar gerne die Geschlossenheit der Kanzlerpartei betont, aber die eigenen Landesinteressen gegen die Bundesinteressen in den Vordergrund stellt. Der durch die Landtagswahl im Februar massiv gestärkte Tiroler Landeshauptmann Günther Platter hat anlässlich der in dieser Woche angekündigten Sozialversicherungsreform klargestellt, dass er die Budget hoheit der geplanten Österreichischen Gesundheitskasse in den Bundesländern belassen will: "Die Beiträge, die die Tiroler einzahlen, müssen im Land bleiben."

Was ein massiver Widerspruch zur türkis-blauen Politik auf Bundesebene ist.

Getrennt marschieren ...

Solche im Föderalismus begründete Meinungsverschiedenheiten sind an sich nichts Neues – auffallend ist aber, dass offenbar ganze Landesparteien mit ihrem jeweiligen Chef einen anderen Weg gehen. Im Fall der Krankenkassenneuordnung betrifft das gleichzeitig bündische Interessen: Während der Obmann der ÖVP-Arbeitnehmerorganisation ÖAAB August Wöginger als ÖVP-Sozialsprecher die türkis-blauen Pläne bejubelt, stellt sich nicht nur der ÖAAB ler Platter, sondern auch die ebenfalls vom ÖAAB gestellte Führung der Tiroler Arbeiterkammer gegen die Wiener Reformkonzepte.

Der Vorarlberger AK-Präsident Hubert Hämmerle, ebenfalls aus dem ÖAAB, wäre zwar für Reformen (er hat vor Jahren sogar ein eigenes Reformkonzept entwickelt), legt sich aber gegen die Entmachtung der Arbeitnehmer quer. Ohne ÖAAB-Obmann Wöginger persönlich anzusprechen, sagt er, das Paket sei für ihn "persönlich sehr enttäuschend und entlarvt die handelnden Personen".

Ähnlich schwierig wird es, wenn es nicht um sachliche Details, sondern um grundsätzliche Richtungsfragen geht. Um Europa zum Beispiel.

Ein Jahr noch ist es hin bis zur Wahl des Europaparlaments – und die ÖVP, die sich einst in ihrer Liebe zu Europa von niemandem übertreffen lassen wollte, ist in einer Koalition mit einer national ausgerichteten, jeder Stärkung des europäischen Zusammenhalts widersprechenden Partei gefangen. Dass der Koalitionspartner FPÖ schuld wäre an der Zurückhaltung der ÖVP in Fragen eines Vorantreibens der europäischen Integration, ist die freundliche Lesart dieses Befundes. Die weniger freundliche ist, dass die (seinerzeit von Wolfgang Schüssel formulierte) Europaliebe seiner Partei erkaltet wäre.

Othmar Karas, der seit 19 Jahren für die Volkspartei im EU-Parlament sitzt, mag denn auch keinen Mangel an Europabewusstsein bei seinem Parteichef Kurz erkennen. Sicherheitshalber macht der Ur-Schwarze (er kam 1976 über die Union Höherer Schüler in die Politik und bekam unter Alois Mock 1983 sein erstes Nationalratsmandat) nicht gegen laue Wiener Parteifreunde, sondern lieber ganz allgemein gegen "Populisten" mobil.

EU-Abgeordneter Othmar Karas.
Foto: APA

"Nationalismus, Protektionismus und Schuldzuweisungen zerstören Europa. Das Anwachsen des Rechts- und Linkspopulismus, die Entwicklungen in Ungarn, Polen, Italien, Malta und der Slowakei sind Alarmsignale" – dass der türkise Parteichef Kurz gut mit Ungarns Viktor Orbán auskommt, lässt Karas gern unerwähnt. Umso lieber hackt er darauf herum, dass die FPÖ gern Allianzen mit den EU-Gegnern in der deutschen AfD_und dem französischen Front National schmiedet. Ob sich ein schwarz-türkiser Konflikt um die EU-Kandidatur ergeben wird, ist offen. Denn Karas hat noch nicht entschieden, ob er 2019 neuerlich antreten will.

Wenn er aber antritt, so wird er inhaltliche Bedingungen stellen – und da ist nicht so sicher, ob diese Bedingungen der Wiener Parteispitze auch gefallen. Andererseits weiß man aus dem EU-Wahlkampf 2009, dass Karas im konservativen Lager viele Anhänger hat, die ihm einen beachtlichen Vorzugsstimmenerfolg über den damals von der Parteispitze präferierten Spitzenkandidaten Ernst Strasser beschert haben.

Und aus dem Wahlkampf 2014 weiß man, dass Karas auch Wähler jenseits der engeren VP-Wählerschaft ansprechen kann – etwas, das er mit Kurz gemeinsam hat, auch wenn es sich bei solchen zusätzlichen Wählern nicht unbedingt um dieselben Personen handeln dürfte.

... vereint schlagen?

Vielleicht ist aber das das Erfolgsrezept der Volkspartei auch in künftigen Wahlkämpfen: Einerseits die moderne, auf den Spitzenkandidaten zugeschnittene Kampagne und andererseits die traditionelle Parteiorganisation, wie sie in den Bundesländern (aber eben nicht in den Großstädten) verankert ist. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat das in ihrem Landtagswahlkampf im Jänner durchgezogen – die einstige Paradeschwarze hat ihre Partei ganz in die Landesfarben Blau-Gelb eingefärbt. Ihr Erfolg war ein eigenständiger, aber sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie Kurz aus voller Überzeugung unterstützt, schließlich war er Staatssekretär in ihrer Zeit als Innenministerin und ist damit ihr politischer Ziehsohn.

Kein Vater-Sohn-Verhältnis gibt es dagegen mit einem anderen Paradeschwarzen: Fritz Neugebauer ist zwar Politikpensionist, als Chefredakteur der Beamtengewerkschaftszeitung "Der öffentliche Dienst" jedoch einflussreich wie eh und je. Und wenn sich Türkis-Blau an Reformen bei Beamten und Vertragsbediensteten macht, könnte es einen tiefschwarzen Widerstand geben. (Conrad Seidl, 26.5.2018)