Protest aus den eigenen Reihen beeindruckt ÖVP-Sozialpolitiker August Wöginger nicht: Der Zwölfstundentag werde zur "Win-win-Situation", prophezeit er.

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Als ÖAAB-Chef sind Sie auf dem Papier oberster Arbeitnehmervertreter der ÖVP. Aber spielen Sie als Klubchef und Sozialsprecher nicht viel mehr den Wunscherfüller der Industriebosse?

Wöginger: Keineswegs. Wir haben den Familienbonus beschlossen, ebenso ein Lehrlingspaket und die Entlastung der Einkommen zwischen 1.350 und 1.950 Euro im Monat – alles ÖAAB-Forderungen.

STANDARD: Der Zwölfstundentag jedoch ist ein Herzensanliegen der Großunternehmen.

Wöginger: Das neue Gesetz schreibt auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Rechte fest, wie es sie in dieser Form noch nicht gab. So können sich Bedienstete künftig aussuchen, ob sie als Kompensation für Überstunden mehr Geld oder Freizeit wollen. Außerdem gibt es die Garantie, dass nur dann zwölf Stunden am Tag gearbeitet wird, wenn dies freiwillig geschieht.

STANDARD: Es ist fraglich, ob sich eine kleine Angestellte traut, Nein zu sagen. Sitzt der Arbeitgeber da nicht auf dem längeren Ast?

Wöginger: Das glaube ich nicht, denn der Arbeitnehmer muss keinerlei Gründe für sein Nein angeben und kann im Falle des Falles wegen einer Benachteiligung oder Kündigung vor Gericht klagen.

STANDARD: Wer am Job hängt, wird es darauf nicht ankommen lassen.

Wöginger: Die Praxis zeigt aber, dass die Arbeitgeber jetzt schon auf die Belegschaft Rücksicht nehmen – das Zusammenspiel funktioniert. Bestehende Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen, in denen beide Seiten spezielle Regelungen der Arbeitszeit ausgehandelt haben, werden durch das Gesetz ja nicht abgeschafft.

STANDARD: Diese können aber auslaufen oder aufgekündigt werden.

Wöginger: Das ist immer so, doch es können wieder neue abgeschlossen werden. Warum sollte das nun nicht mehr passieren?

STANDARD: Weil das Gesetz das nicht mehr vorschreibt. Schon bisher konnte unter bestimmten Umständen bis zu zwölf Stunden gearbeitet werden, nur bedurfte es dafür der Zustimmung der Betriebsräte, die gute Konditionen – etwa höhere Zuschläge, größere Freizeitblocks – aushandeln konnten. Warum hebelt die Regierung das aus?

Wöginger: Weil das Modell sehr komplex war: Wollte ein Betrieb länger arbeiten lassen, musste er den drohenden wirtschaftlichen Nachteil nachweisen – und das ist sehr schwierig. Sollte es aber so sein, dass ein Arbeitgeber künftig keine Vereinbarungen mehr abschließen will, können Betriebsräte solche bei der zuständigen Schlichtungsstelle erzwingen.

STANDARD: Im Wahlprogramm hat Sebastian Kurz noch versprochen, dass die Arbeitszeit nur bei betrieblichem Einvernehmen flexibilisiert werde. Warum hat die ÖVP da nicht reinen Wein eingeschenkt?

Wöginger: Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass es weiterhin Betriebsvereinbarungen über die Arbeitszeit geben wird. Schauen wir es uns an: Um den Wahrheitsbeweis antreten zu können, haben wir uns entschieden, die neue Regelung statt mit neuem Jahr bereits mit September einzuführen.

STANDARD: Ziehen Sie das Gesetz nicht vielmehr deshalb vor, um eine unliebsame Debatte abzuschneiden? Auch Christgewerkschafter aus der ÖVP kritisieren, dass die Koalition das Gesetz durchpeitsche, statt ordentlich mit den Sozialpartnern zu verhandeln.

Wöginger: Die Verhandlungen der Sozialpartner waren sogar Grundlage für die Arbeitszeitflexibilisierung. Wir wollen beweisen, dass das Gesetz im Sinne von Arbeitnehmern und Arbeitgebern eine Win-win-Situation sein wird.

STANDARD: Wohin mit den Kindern an Zwölfstundentagen? Außerhalb Wiens sperren 80 Prozent der Kindergärten vor 17 Uhr zu, fast die Hälfte vor 15.30 Uhr. Trotzdem bremst die Regierung beim Ausbau.

Wöginger: Wie viel Geld letztlich in die Kinderbetreuungseinrichtungen investiert wird, ist noch nicht ausverhandelt – dem greife ich nicht vor. Weil ich selbst lange Vizebürgermeister in einem Dorf war, weiß ich aber: Die Gemeinden tun, was sie tun können – etwa indem sie als Alternative Tagesmütter anbieten.

STANDARD: Wird auf dem Land nicht eher vorausgesetzt, dass die Frau halt nicht Vollzeit arbeitet?

Wöginger: Nein, es herrscht das Prinzip der Wahlfreiheit. Es gibt viele Partnerschaften, in denen es sich eine von beiden richten kann, zum Beispiel zwei Tage pro Woche für die Kinder da zu sein.

STANDARD: Die ÖVP nennt sich gerne Familienpartei ...

Wöginger: ... deshalb auch die große Steuerentlastung durch den Familienbonus plus.

STANDARD: Davon haben jene Familien nichts, denen Sie die Mindestsicherung massiv kürzen.

Wöginger: Für Alleinerzieherinnen gilt das nicht, die bekommen einen Bonus dazu.

STANDARD: Alle anderen Familien steigen aber schlechter aus, weil es für Menschen in Partnerschaften prinzipiell weniger Geld gibt.

Wöginger: Da geht es um eine neue soziale Gerechtigkeit: Es braucht eine größere Differenz zwischen der Höhe des Verdienstes und der Sozialleistung. Wenn größere Familien aus der Mindestsicherung mancherorts 3.000 bis 4.000 Euro bekommen, verstehen das die Menschen nicht, die in der Früh aufstehen und arbeiten gehen. Das untergräbt die Arbeitswilligkeit: Es kann keine Dauerunterstützung für jene geben, die sich helfen könnten, aber nicht wollen.

STANDARD: Wer Arbeit verweigert, dem droht doch längst schon die Kürzung der Mindestsicherung.

Wöginger: Das greift zu wenig. Wir wollen die Leute aus der sozialen Hängematte holen und die Mindestsicherung zu einem Sprungbrett in die Arbeit machen.

STANDARD: Ihre Parteifreunde in Tirol und Vorarlberg sagen, dass die Mindestsicherung in der von der Koalition diktierten Höhe – 863 Euro für Einzelpersonen – wegen der horrenden Wohnkosten nicht zum Leben reicht. Sind die geplante Obergrenzen also obsolet?

Wöginger: Das verhandeln wir gerade aus, im Sommer kommt das Gesetz in parlamentarische Begutachtung. Wir werden einen Spielraum einräumen: Die Länder können sich ein Stück weit nach oben bewegen, aber nicht ins Unendliche.

STANDARD: Flüchtlinge sollen um 300 Euro weniger bekommen, solange sie nicht ein mittleres Deutschniveau erreichen. Wie soll man in einer teuren Stadt mit 563 Euro im Monat vernünftig leben?

Wöginger: So, wie es schon in Niederösterreich, Oberösterreich und dem Burgenland funktioniert hat.

STANDARD: Da sind möglicherweise viele nach Wien gezogen.

Wöginger: Was wir nicht mehr wollen: dass jeden Monat 300 Euro über die Western Union nach Afghanistan geschickt werden.

STANDARD: Woher wissen Sie das?

Wöginger: Das wurde uns zugetragen.

STANDARD: Produzieren Sie mit solchen harten Kürzungen nicht Armut, die Leute in Kriminalität und Radikalisierung treibt?

Wöginger: Wir zählen auch mit der neuen Mindestsicherung zu jenen Ländern mit den höchsten Sozialleistungen.

STANDARD: Überrascht Sie, dass die Sozialreformen mit so wenig Widerstand aus der selbsterklärten Arbeiterpartei FPÖ durchgehen?

Wöginger: Nein, weil es sich eben um sinnvolle Lösungen handelt. Die Zusammenarbeit in der Koalition funktioniert einfach gut – ganz im Gegensatz zu früher. (Gerald John, 9.7.2018)