Bregenz/Innsbruck/Salzburg – Im äußersten Westen gibt es traditionell Kritik an vermeintlichem oder tatsächlichem Wiener Zentralismus – wenn es aber um die konkrete Politik der türkis-blauen Bundesregierung geht, "dann ist das, soweit ich sehe, akzeptiert", sagt Veronika Marte. Sie ist Stadträtin in Bregenz und eine der Stellvertreterinnen von Sebastian Kurz an der Parteispitze.

Unzufriedenheit Vorarlberger Arbeitnehmer

Dass "kontroversiell diskutiert" werde, räumt sie allerdings ein – besonders der Zwölfstundentag habe für Aufregung gesorgt, "denn da hat die Opposition Angstmache betrieben".

Hat sich aus der "kontroversiellen Diskussion" herausgehalten: Kurz-Stellvertreterin Veronika Marte.
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Auf die Frage des Standard, ob sie sich selber in diese kontroversiellen Diskussionen eingebracht habe, verneint die lokal verwurzelte Bundespolitikerin: Sie habe für den Arbeitnehmerflügel ÖAAB, der vor einem Monat seinen Landestag abgehalten hat, am Leitantrag mitgearbeitet, sich dabei jedoch auf die Familienfragen konzentriert. Sie habe aber "eine klare Mehrheit für die Arbeitszeitflexibilisierung gefühlt".

Diese sei sehr sinnvoll, weil ja auch derzeit schon viele Arbeitnehmer mehr als zehn Stunden pro Tag arbeiten und ihre Ansprüche nur mit trickreich geführten doppelten Arbeitszeitaufzeichnungen überhaupt belegen könnten.

Dem widerspricht auch ihr Parteifreund, der Vorarlberger AK-Präsident Hubert Hämmerle, nicht: Der ÖAAB sei sehr wohl für Flexibilisierung der Arbeitszeit – aber nur zu Bedingungen, die die Arbeitnehmer vorgeben – etwa dass sie jederzeit und ohne Angabe von Gründen ihre gesammelten Freizeitansprüche wahrnehmen könnten.

Und genau das zu regeln sei bei der nun auf Bundesebene beschlossenen Regelung versäumt worden: "Das Gesetz, das vorliegt, war eine Bestellung der Wirtschaft." Durchgesetzt wurde es von August Wöginger, der sowohl ÖAAB-Bundesobmann als auch Klubchef im Parlament ist – was Hämmerle äußerst kritisch sieht: "Dass Wöginger Klubobmann ist, ist derzeit klar spürbar." Aus dieser Position könne er nur schwer für Arbeitnehmerinteressen kämpfen – das hätte aber im Vorfeld mit einer klaren Positionierung passieren müssen.

Die Arbeitnehmer würden sicher "noch Zeichen setzen", sagt Hämmerle und erinnert daran, dass Gesetze auch nach deren Beschluss geändert werden können – "siehe Rauchverbot". Dass der Unmut über die Wiener Politik von der ganzen Landespartei geteilt wird, bezweifelt Hämmerle.

Bittet um "Abrüstung der Worte": Vorarlbergs Landeshauptmann Wallner.
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Denn schon am Sonntag hat sich Landeshauptmann Markus Wallner für ein "gutes Miteinander" und ein "Abrüsten der Worte" ausgesprochen. Wer Klassenkampf spielen wolle, setze die hohe Leistungsfähigkeit des Wirtschafts- und Produktionsstandorts Vorarlberg aufs Spiel. Allerdings sieht er bei der Bundesregierung in der Art und Weise ihrer Arbeit Verbesserungspotenzial. Es sollte "auf die Sorgfalt der Ausführung und die Einbindung verschiedener Partner" geachtet werden, erklärte Wallner im Interview mit den "Vorarlberger Nachrichten".

Zwar sei Bundeskanzler Kurz auch deshalb gewählt worden, um Stillstand zu überwinden. Für ein Mehr an Sorgfalt würde Wallner aber auch weniger Tempo in Kauf nehmen. Da könnte die Bundesregierung "die eine oder andere Woche ins Land ziehen lassen", sagte Wallner. Als Beispiel führte er die Mindestsicherung an.

Tirol als schwarze Trutzburg im türkisen Österreich

Der Tiroler Arbeitnehmerbund (AAB) ist alles andere als ein Sebastian-Kurz-Fanklub. Zuletzt sorgte aus diesem Dunstkreis Arbeiterkammer-Präsident Erwin Zangerl für Unfrieden in der Volkspartei. Er nannte Kurz und sein Team "türkise Putschisten", verglich sie mit einer Sekte und attestierte dem Bundeskanzler diktatorische Züge. Zuletzt unterstellte Zangerl der Regierung Sozialabbau unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung.

Auch weitere AAB-Landtagsabgeordnete stimmten kürzlich gegenüber dem STANDARD in die Kritik ein. Prominentester Tadler ist jedoch Landeshauptmann Günther Platter, der ebenfalls aus dem AAB kommt. Immer wieder ließ er mit deutlicher Abgrenzung zur türkisen Bundes-ÖVP aufhorchen. Jüngst am vergangenen Wochenende in Landeck, wo Platter bei einer Veranstaltung der "Tiroler Tageszeitung" betonte: "Ich bin ein Schwarzer und werde ein Schwarzer bleiben."

Schon im Landtagswahlkampf zu Jahresbeginn verzichtete er auf eine neue Parteifarbe und auf die Unterstützung der Bundespartei. Mit Erfolg – er führte die Tiroler Volkspartei wieder über die 40-Prozent-Marke.

Ein "Schwarzer", der ein "Schwarzer" bleiben will: Tirols Landeshauptmann Günther Platter.
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Der Bundesregierung attestierte Platter am Samstag: "Manchmal kommen sie mir ein bisschen übermütig vor." Er meinte damit den Beschluss zum Zwölfstundentag, der laut Platter "überfallsartig" kam, was "zu Verunsicherungen führt". Das rief umgehend den Tiroler FPÖ-Chef Markus Abwerzger auf den Plan, der Platter und die Tiroler VP wegen ihrer Regierungskritik wiederholt rügte. Abwerzger nennt Platters Kritik "sachlich nicht gerechtfertigt" und vermutet dahinter einen "internen Machtkampf" der VP: "Platter stärkt dadurch nur den linken Parteiflügel."

Namentlich ordnet der FPÖ-Chef neben Zangerl vor allem Tirols Bildungslandesrätin Beate Palfrader diesem Flügel zu. Palfrader hatte im Vorfeld der Nationalratswahl gegen das türkise Team Kurz aufbegehrt, weil bei der Listenerstellung in Tirol der AAB übergangen worden war.

Im Herbst sind aus der Trutzburg Tirol wieder Querschüsse zu erwarten. Etwa beim Thema Mindestsicherung, wo man zusammen mit dem grünen Koalitionspartner gegen Verschärfungen eintritt. Auch bei der Bildung sind die Ideen der Schwarzen progressiver als die der Türkisen.

Haslauers "bürgerliche Mitte" in Salzburg

Wollte man das Verhältnis der Salzburger ÖVP zur Bundespartei in einem Satz beschreiben, so könnte dieser lauten: Wilfried Haslauer unterstützt Parteichef Kurz uneingeschränkt, solange dessen Politik nicht den Interessen der Salzburger Schwarzen entgegensteht.

Dieses Prinzip wurde bei der Bildung der Landesregierung nach der Landtagswahl im April besonders deutlich. Haslauer ging mit Neos und Grünen einen Pakt ein. Der Wunsch von Kurz, auch in Salzburg Schwarz-Blau zu installieren, blieb ungehört. Man gehe den Weg der "bürgerlichen Mitte", grenzte sich Haslauer damals von der Bundeslinie ab. Dahinter steht freilich weniger eine Oppositionshaltung gegenüber der Bundespartei, als vielmehr die Erkenntnis, dass mit der besonders weit rechts angesiedelten Salzburger FPÖ einfach kein Staat zu machen sei. Haslauer bekrittelte wiederholt "die Kampfrhetorik" der Blauen. Und dazu kommt wohl auch noch Haslauers Persönlichkeit: Für ein Bündnis mit Rechts-außen ist er sich einfach zu nobel; vor allem angesichts eines bequem steuerbaren bürgerlichen Bündnisses als Alternative.

Sicherte sich die Loyalität der Jungen ÖVP: Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer.
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Ähnlich verhält es sich bei anderen kontroversen Themen: Wenn sich die Salzburger ÖVP wiederholt gegen die Zentralisierungspläne bei der Krankenkasse ausgesprochen hat, ging es dabei in erster Linie um Geld und den Einflussbereich der eigenen Funktionäre im Gesundheitsbereich. Und wenn sich Haslauer gegen die Abschiebung von Lehrlingen ausspricht, folgt er einfach den ökonomischen Interessen vieler Salzburger Gastronomiebetriebe, die verzweifelt Koch- oder Kellnerlehrlinge suchen.

Dass Haslauer ein gewiefter Taktiker ist, musste Kurz auch erfahren, als dieser ihm Stefan Schnöll, seinen Nachfolger als JVP-Chef, für die Landespolitik abgeworben hat. Dieser hat in der Landesregierung das für Salzburg besonders wichtige Verkehrsressort über. Schnöll gilt zwar als Kurz-Intimus, wer aber das landespolitische Getriebe kennt, weiß, dass einem Landesrat schnell das sprichwörtliche Hemd näher ist als der bundespolitische Rock. Und so wird wohl Schnöll eher für Salzburger Interessen in Wien vorsprechen; einen Aufpasser aus Wien ließe sich ein Wilfried Haslauer nie vorsetzen. (Conrad Seidl, Steffen Arora, Thomas Neuhold, 17.7.2018)