Zwei Männer auf der Terrasse eines Businesshotels. Beide ganz casual in Polos und Jeans. Sie sind in ein Gespräch vertieft, lassen sich vom Geschehen in ihrer Umgebung nicht ablenken. Als Geschäftspartner, Kunde und Coach oder Freund der Tochter und künftiger Schwiegervater könnten sie durchgehen.

Der Schein trügt. Die beiden kannten sich bis vor wenigen Minuten nur via Mail. Otto Kazil (72), pensionierter Textilunternehmer, und David Niederer (31), International Business Development Manager, trafen sich am 13. Oktober um 15 Uhr in Bregenz, um ihre konträren politischen Ansichten auszutauschen und abzuwägen. Wenig Gemeinsames hatte der STANDARD-Fragebogen zutage gefördert: Alter Grünen-Sympathisant trifft jungen Konservativen, das war die Erwartungshaltung.

Doch Überraschung: Die beiden unterscheiden sich in der Einschätzung der gegenwärtigen politischen Situation nur in Nuancen. Beide Männer kommen aus der Textilbranche, sind oder waren beruflich viel auf Reisen, kennen Europa, die USA, Asien. Beide sind ehrenamtlich engagiert. Der ältere in NGOs und als Betreuer Geflüchteter, der junge Mann bei der Freiwilligen Feuerwehr seiner Heimatgemeinde, wo er die Feuerwehrjugend unter seine Fittiche nimmt und ihr versucht zu vermitteln, was die Schule aus seiner Sicht nicht vermag: politische Bildung.

In der Kritik des gegenwärtigen Bildungssystems, das weder Rechtschreibung noch Herzensbildung vermitteln könne, sind sich die beiden einig. Was Niederer Angst macht: "Die jungen Leute haben keine Ahnung von Demokratie. Wenn da einer daherkommt, der der Falsche ist, dann wählen sie den."

David Niederer (31), International Business Development Manager, und Otto Kazil (72), pensionierter Unternehmer, diskutierten in einem Hotel in Bregenz miteinander.
Foto: Stiplovsek Dietmar für DER STANDARD

Lieber mehr als weniger Europa

Beide sind bekennende Europäer, "auch wenn man skeptisch sein darf und muss" (Kazil). Niederers wesentliche Kritik an der EU: "Sie ist zu wirtschaftsorientiert, schafft es nicht, den Menschen so etwas wie ein europäisches Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln. Das könnte bei kleinen Dingen beginnen, einer gemeinsamen Autobahnvignette zum Beispiel." Und vor großen Dingen wie einer europäischen Sozialgesetzgebung solle man sich nicht scheuen, sagt Kazil.

Grenzen schließen geht gar nicht, meinen beide. "Aber kontrollieren", sagt Niederer. Die Identität von Flüchtlingen müsse bei Einreise feststehen. Otto Kazil wünscht sich von den Behörden menschlichen Umgang mit Geflüchteten. Die Abschiebung von Lehrlingen sei ein wirtschaftlicher Unsinn, da pflichtet auch der junge Manager bei.

Die Angst vor dem Islam können beide Männer nicht teilen. Religion sei Privatsache und solle es auch bleiben. "Klare Trennung von Staat und Religion" wollen sie. Missionierung, egal von welcher Religionsgemeinschaft, würde Niederer am liebsten verbieten.

"Dass es die Blauen zerreibt, da bin ich mir nicht so sicher. Die haben ja auch schon einiges durchgesetzt", so Kazil.
Foto: Stiplovsek Dietmar für DER STANDARD

Eine kleine Provokation

Otto Kazil erinnert sich an den STANDARD-Fragebogen: "Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Habe ich das falsch gelesen, dass du den Kurz gern magst?" Er habe die Frage, ob er mit der Arbeit der österreichischen Regierung zufrieden sei, zwar mit Ja beantwortet, so ganz wahrheitsgetreu sei das nicht, räumt Niederer ein. "Rot-Schwarz ist mir so auf den Wecker gegangen, die haben ja provoziert, dass man sie abwählt", schimpft er.

Kazil stimmt zu, hätte aber in Kern/Mitterlehner noch ein zukunftsträchtiges Team gesehen. Niederer lässt die Katze aus dem Sack: "Von den Schwarzen halte ich nichts." Wer mit der ÖVP koaliere, werde zerrieben.

Niederer: "Jeder, der mit den Schwarzen koaliert, wird zerrieben. Ich sag immer den Gegnern der Blauen: Seid froh, die Blauen werden das nicht überleben."

Kazil: "Dass es die Blauen zerreibt, da bin ich mir nicht so sicher. Die haben ja auch schon einiges durchgesetzt."

Niederer: "Die Schwarzen sind ja überall drinnen – wie eine schwarze Witwe. Ihre Programme die gefährlichsten, weil sie die Mächtigsten sind. Den Zwölfstundentag, so was drücken die einfach durch."

Kazil: "Man muss in Österreich sehr vorsichtig sein, wen man wählt. Da sitzen dann plötzlich rechte Burschenschafter und so Personen wie Kickl in einer Regierung."

"Rot-Schwarz ist mir so auf den Wecker gegangen, die haben ja provoziert, dass man sie abwählt", sagt Niederer.
Foto: Stiplovsek Dietmar für DER STANDARD

Das Problem der Grünen

Das Problem der Blauen würden auch die Vorarlberger Grünen erleben, da ist sich Niederer sicher. In diesem Punkt gibt es Übereinstimmung. Otto Kazil, früher für die Grünen in der Wirtschaftskammer, sieht im Mitregieren mehr Gefahren als Vorteile: "Was schiefgeht, wird dem kleinen Koalitionspartner zugeschrieben." Denn Mächtigen fehle es an der Bereitschaft, gute Vorschläge anderer Parteien anzunehmen und umzusetzen. Hardliner und Fundamentalisten brauche man weder in der Politik noch im Privaten.

Das Gespräch dauerte eineinhalb Stunden und endete in einer gemeinsamen Umbauaktion der Hotelterrasse. Denn David Niederers Ehering war während des Gesprächs in einer Spalte des Bretterbodens verschwunden. Gemeinsam mit dem Hausmeister und Gästen vom Nachbartisch wurde erfolgreich an dicken Brettern gebohrt.

Resümee der beiden Herren: Super Aktion vom STANDARD, denn mehr Gesprächsbereitschaft täte unserer Gesellschaft gut. (Stille Zuhörerin: Jutta Berger, 21.10.2018)