Es hätte auch schlecht ausgehen können – wenn mich der Algorithmus zum Beispiel mit meiner eigenen Ehefrau zusammengespannt hätte. Mit der verstehe ich mich sehr gut, wenn es um Musik und Literatur oder auch um Essen und Trinken geht. Wenn es aber um Politik geht, dann ticken wir völlig verschieden. Deshalb hat sich meine Frau auch nicht bei "Österreich spricht" angemeldet. Zu hoch wäre die Wahrscheinlichkeit gewesen, dass das System aufgrund unserer unterschiedlichen Ansichten und derselben Wohnadresse ein ideales Match angenommen und uns zusammengespannt hätte. Auf Streit mit mir hätte sie aber keine Lust.

Und zumindest ein bisserl Streit, genauer: eine gepflegte Meinungsverschiedenheit, sollte ja Grundlage von "Österreich spricht" sein. Anfang Oktober kam dann eine Mail von mycountrytalks.org, die mir einen Gesprächspartner vorgeschlagen hat: Bernhard – immerhin "Rechtsanwalt in einer Wiener Großkanzlei mit dem Schwerpunkt Verfahrensführung (Zivilrecht und Wirtschaftsstrafrecht)", 33 Jahre alt und mit mir in vielen Punkten (oder waren es alle?) anderer Meinung.

Politiker, hat er geschrieben, mag er gar nicht.

Aber er mag Bier, so wie ich. Also: Gehen wir auf ein Bier!

Unterschiede herausgearbeitet und Gemeinsamkeiten entdeckt: Anwalt Bernhard Kopeinig und Redakteur Conrad Seidl.
Foto: DER STANDARD / Regine Hendrich

Ich schlage mein Stammlokal, die 1516 Brewing Company, vor, er den Termin – "nachdem ich das Gespräch nicht überhastet verlassen will, können wir uns auch gerne früher treffen".

Drei Tage vor dem Treffen noch eine leicht verunsicherte SMS: "Noch eine Frage, die mir durch den Kopf gegangen ist: Ich hoffe, wir sind von den Ansichten unterschiedlich genug. Nachdem Du für den STANDARD schreibst, der ja eher links angesiedelt ist, gibt es wohl viele Gemeinsamkeiten."

Ja, eh auch.

Aber ich versichere, dass ich durchaus den konservativen Teil des Spektrums in der Redaktion abdecke, wir werden schon die Unterschiede herausarbeiten.

Los geht es mit der Regierung

Machen wir auch. Das Bier ist auf dem Tisch, DER STANDARD auf der Seite aufgeschlagen, die noch einmal die Streitpunkte auflistet. Also geht es mit der Frage los, ob die Bundesregierung gute Arbeit für die Zukunft des Landes leiste. Ich gehöre zu den 15,5 Prozent der Diskussionswilligen, die zugestimmt haben. Bernhard hat mich aufgrund meiner Vorliebe für Bier und meiner positiven Einstellung zur Regierungsarbeit bei der ersten Durchsicht meines Profils für einen typischen Freiheitlichen gehalten, der jeden Abend mit denselben fünf Leuten Bier säuft und sich seine alternativen Meinungen über die Welt bildet. Bin ich nicht.

Und ich bin auch nicht Pflichtverteidiger der Regierung.

Meine Befürchtung, dass ich hier nun zu 100 Prozent als Verteidiger der Regierung Kurz auftreten müsste, bewahrheitet sich glücklicherweise nicht – wir wissen ja beide, dass man da differenzieren muss. Ich führe den Familienbonus als Positivum ins Treffen, weil dieser dafür sorgt, dass Steuerzahler ihren familiären Verpflichtungen entsprechend besteuert werden. Bernhard dagegen ist die Umverteilungswirkung zu gering.

"Kern hätte machen müssen, was dann der Kurz gemacht hat: alles neu aufstellen und das alte Personal rauskicken", meint Bernhard Kopeinig.
Foto: DER STANDARD / Regine Hendrich

Rasch kommen wir ins Grundsätzliche, rasch zu dem, was uns politisch geprägt hat. Bernhards Vater war Eisenbahner, die Mutter leitet ein Heim – aufgrund der Werte, die ihm die Eltern vermittelt haben, verorte er sich "Mitte-links". Aber er habe "auch in vielen linken Kreisen viel Intoleranz gespürt".

Christian Kern habe er als große Hoffnung gesehen, der wäre eben nicht von vornherein einer der von ihm als "generell unglaubwürdig" kritisierten Politiker gewesen. Inzwischen sei er aber wie die anderen geworden. Überraschend meint Bernhard: "Kern hätte machen müssen, was dann der Kurz gemacht hat: alles neu aufstellen und das alte Personal rauskicken."

Was keinerlei Zustimmung zu Kurz bedeute, den halte er "für gefährlicher als Strache und Haider zusammen" – aber um nicht in einer Blase hängenzubleiben, habe er die Facebook-Seite von Strache immer wieder besucht; Facebook liefert ihm seither immer wieder die Postings des Vizekanzlers. Überzeugt hat ihn noch keines davon.

Von Strache springen wir zum Thema, ob der Islam zu Europa gehöre.

"Meine Befürchtung, dass ich hier nun zu 100 Prozent als Verteidiger der Regierung Kurz auftreten müsste, bewahrheitet sich glücklicherweise nicht", schreibt Conrad Seidl.
Foto: DER STANDARD / Regine Hendrich

Wir müssen einander wieder treffen

Bernhard verficht seine Zustimmung mit Vehemenz – seine Frau ist seinerzeit als Kind einer bosnischen Familie nach Österreich geflohen. Aus der familiären Erfahrung heraus weiß er, wie moderater Islam gelebt wird – viele Bosnier trinken Alkohol und feiern die religiösen Feste vor allem als familiäres Event; vergeblich versuche seine Frau, ihn für den Islam zu gewinnen. Er habe kein Problem damit gehabt, aus der Kirche auszutreten, auch nicht damit, dass gemeinsame Kinder nicht getauft würden. Der Glaube an Gott, den ich selber nie aufgegeben habe, ist bei Bernhard einfach nicht verwurzelt.

Das ist auch nach drei Stunden und ebenso vielen Bieren nicht ausdiskutiert. Wir müssen einander wieder treffen. Vielleicht nehmen wir unsere Frauen mit. (Conrad Seidl, 23.10.2018)