Kanzler Sebastian Kurz (li.) holt zum Erklärungsversuch für seine rote Linie aus. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (re.) reagiert allergisch.

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Von der Kranzniederlegung in Gedenken an die Wiedererrichtung der Republik ging es direkt zur Ministerratsbesprechung. Eben erinnerte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) noch daran, dass Friede, Freiheit und Rechtsstaat "keine Selbstverständlichkeit" seien. Sein Vize, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache würdigte den 24. April als "klare Absage an den Nationalsozialismus". Dann galt es, die schönen Worte mit Leben zu füllen.

Denn über das Osterwochenende hatten sich eine Reihe weniger staatstragender Dinge ereignet – die Regierungsspitze fand das erst auf Nachfrage, wenn überhaupt, kommentierungswert.

Immerhin: Bezüglich jenen "Gedichts", in dem der mittlerweile zurückgetretene blaue Vizebürgermeister von Braunau Vergleiche zwischen Menschen und Ratten gezogen hatte, folgten Kurz und Strache einem Wording und einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie, die da lautete: verurteilen, mahnen, angreifen.

Was den Kanzler stört ...

Der Kanzler legt es zunächst eher grundsätzlich an. Er lehne Rassismus "zutiefst ab", ließ er wissen. Und so melde er sich eben "zu Wort, wenn es etwas gibt, das mich stört und wo ich glaube, dass rote Linien überschritten worden sind". In der eigenen Partei habe er – etwa als der einst grüne, dann türkise Mandatar Efgani Dönmez im Vorjahr seinen Knie-Tweet abgesetzt hat – Konsequenzen gezogen und den Betreffenden ausgeschlossen. Beim Koalitionspartner müsse er sich aufs Mahnen beschränken. Das habe er getan.

Dann wieder grundsätzlich: Auch "jede Form von Extremismus, von Untergriffigkeit" lehnt Sebastian Kurz ab. So wird schnell die Kurve zur SPÖ gekratzt. Immerhin arbeite dort seit geraumer Zeit genau jener Mitarbeiter, der dem damaligen Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer (FPÖ) das sogenannte "Krüppellied" widmete und der federführend für das Dirty Campaigning der Roten im vergangenen Nationalratswahlkampf verantwortlich zeichne. Das sei "niederträchtig" und zwar mindestens "genauso, wie das Rattengedicht grauslich war", erklärt der Kanzler.

Auftritt Strache, dem Kurz heute wieder ostentativ wohlwollend zuhört. Er geht gleich vom Allgemeinplatz ("nicht tolerierbar", "immer klare Linie bei Extremismus und Antisemitismus") zum Angriff über. Zunächst in Richtung SPÖ, der – Stichwort Mitarbeiter – "jegliche moralische Legitimation" fehle. Dann in Richtung nimmermüde Kritiker: Er lasse sich nichts "in die Schuhe schieben" – Vereine etwa, gemeint sind wohl die Identitären und deren Verbindungen zur FPÖ oder auch die Skandalisierung seines mittlerweile gelöschten Facebook-Postings, in dem er einen Beitrag einer extrem rechten Website verbreitet hatte. Strache: "Da reagier ich allergisch!"

... und was vorbeizieht

Der Kanzler reagiert darauf gar nicht. Kurz will lieber grundsätzlich diskutieren, "was richtig und was falsch ist", aber leider seien die Debatten so "total parteipolitisch" geworden. Ob er die "Folgen", die FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky dem ZiB 2-Moderator am Vorabend angedroht hatte, für richtig oder falsch hält, bleibt da leider offen.

Auch Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) befand, er wolle hier nicht als "Medienkommentator" agieren.

Und während Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zum "Ratten"-Gedicht erklärte, er sähe in seiner Partei "einzelne Funktionäre, die sich in der Tonart vergreifen, die etwas tun, das nicht geschickt ist", beschlich den Bildungsminister bereits ein mulmiges Gefühl. Er sei "über die intellektuellen und moralischen Abgründe" entsetzt, erklärte der von der ÖVP nominierte Heinz Faßmann. Er nehme aber "zur Kenntnis", dass FPÖ-Chef Strache "hier konsequent vorgeht". Und solange das so ist, habe er "noch ein einigermaßen sicheres Gefühl".

Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der Strache bereits am Dienstag zur Unterredung in die Hofburg bestellte, wollte am Mittwoch jedenfalls auch öffentlich festhalten: "Hetze gegen Mitmenschen werden wir in Österreich niemals akzeptieren." Außerdem ließ er via Facebook wissen, dass Aussagen, wie im jüngsten blauen "Einzelfall" getätigt, das gesellschaftliche Klima vergiften und zur Spaltung beitragen würden.

In der ZiB2 des ORF bezeichnete es der SPÖ-Spitzenkandidat zur Europawahl, Andreas Schieder, als "schweren Fehler" von Kanzler Kurz, aus "persönlichen Machtgelüsten" eine Koalition mit der FPÖ eingegangen zu sein. (Karin Riss, 24.4.2019)