Die Nominierung der Kandidatin für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als Präsident der EU-Kommission war eine schwere Geburt. Drei EU-Gipfel verbrauchten die Staats- und Regierungschefs. Beim letzten – erfolgreichen – Anlauf ging es über drei Tage und Nächte, bevor es hieß: Habemus Ursula von der Leyen. Neben der deutschen Verteidigungsministerin gab es ein vollständiges Tableau klingender Namen für alle EU-Spitzenposten im Jahr 2019.

Blickt man auf die Kür praktisch aller Kommissionschefs seit dem legendären Jacques Delors 1984 zurück, ist das damit verbundene Gezerre gar nicht so überraschend. Mit Ausnahme von Juncker 2014 war die Auswahl der Chefs der EU-Zentralbehörde fast immer mit viel Streit und dem Sterben der Favoriten verbunden. Vor allem britische Premierminister gefielen sich als Rammböcke.

David Sassoli ist neuer EU-Parlamentspräsident.
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Am Ende kamen dann Kandidaten heraus, die die Regierungschefs ohne Zutun des Europäischen Parlaments unter sich ausmachten. That's life, könnte man sagen, auch heute.

In einer Gemeinschaft mit inzwischen 28 Mitgliedern ist es eben nicht möglich, alle verschiedenen Interessen auf dem Kontinent unter einen Hut zu bringen, sondern nur die wichtigsten: regionale im Osten, Westen, Norden und Süden, eine Balance von großen und kleinen Ländern, Gleichberechtigung der Geschlechter und – seit dem EU-Vertrag 2009 vorgeschrieben – die Berücksichtigung der Ergebnisse der Europawahlen, also der Fraktionsstärken im EU-Parlament.

Die Hauptsache sei doch, dass tadellose, erfahrene Politiker zum Zug kämen, die ihr Handwerk gelernt hätten. So argumentierten das die Regierungschefs in der Vergangenheit immer, wenn sie Hinterzimmerdeals zu rechtfertigen suchten.

Das am Dienstag in Brüssel vorgelegte Personalpaket hat einen Nachteil: Es entspricht nicht einmal den minimalen Anforderungen eines einigermaßen gerechten Ausgleichs der Interessen in der Europäischen Union.

Was als Erstes ins Auge sticht: Der Vorschlag hat eine schwere geografische Schlagseite. Mit Frankreich, Deutschland, Belgien und Italien schicken gleich vier Gründungsstaaten ihre Leute in die fünf Toppositionen der EU-Institutionen. Die mächtigsten haben Berlin (Kommissionspräsidentin) und Paris (EZB-Chefin) beansprucht. Dazu kommt Spanien mit dem Außenbeauftragten.

Die Osteuropäer gehen ganz leer aus, ebenso die Nordländer. Es gibt in der Länderrepräsentanz auch ein starkes Übergewicht der großen EU-Staaten gegenüber den vielen kleinen Ländern. Wie man so die oft beschworene Spaltung des Kontinents lindern will, ist ein Rätsel.

Die zweite Auffälligkeit des neuen Teams ist das Alter der Protagonisten: Mit einer Ausnahme sind alle über 60. Ein Signal an die Jugend ist das nicht. Die Grünen, obwohl in den Wahlen gestärkt, und deren Themen wie Klimaschutz wurden übergangen. Die Bürger werden auch nicht begeistert sein, dass man die Spitzenkandidaten der Parteien nur mit "Trostpreisen" versorgte.

Bleibt der letzte Aspekt, der dieses Personalpaket angreifbar macht: Es wurde im Hinterzimmer von Präsident Emmanuel Macron, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Ungarns Premier Viktor Orbán geschnürt, mit Matteo Salvini als Paten. Das riecht danach, dass Verächter von Rechtsstaatlichkeit und EU-Werten bei der Abwertung des Parlamentarismus mehr Einfluss nehmen, als uns lieb sein kann. (Thomas Mayer, 3.7.2019)