Die Parlamentscontainer auf dem Heldenplatz, in denen die Klubs während des großen Umbaus des Hohen Hauses weilen, sind nicht besonders schick. Teppichboden, Plastikwände, es riecht nach Mittagessen. Das Büro der SPÖ-Vorsitzenden, in das sie den STANDARD für das Interview lädt, ist spartanisch eingerichtet. Die Wand ziert ein einziges Bild. Toyo Puzzle von Oliver Dorfer hing bereits über dem Schreibtisch von Pamela Rendi-Wagner, als sie noch als Spitzenbeamtin im Gesundheitsministerium arbeitete – und kein Parteibuch besaß. Zwei Jahre nach ihrem Eintritt übernahm sie die SPÖ bereits.

Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Haben Sie sich in Ihrem Leben eigentlich schon einmal ein Ziel gesteckt, das Sie nicht erreicht haben?

Rendi-Wagner: Ich habe mir schon vor langer Zeit vorgenommen, irgendwann singen zu lernen. Das habe ich bis jetzt nicht, und ich befürchte, ich werde dieses Ziel auch nicht erreichen. Angeblich kann ja jeder singen, aber irgendwie traue ich mich nicht darüber.

STANDARD: Ich frage, weil Sie im Wahlkampf laufend betonen, Erste werden zu wollen. Auch das wird schwierig.

Rendi-Wagner: Ich habe auch nie gesagt, dass es einfach wird. Ich sage, es ist möglich. In den letzten Tagen und Wochen spüre ich eine wachsende Zustimmung.

Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Sie sagen auch, dass Opposition Mist ist. Das wird als Ansage in Richtung Türkis-Rot gedeutet. Meinen Sie das so?

Rendi-Wagner: Ich kämpfe um den ersten Platz. Ich bin der festen Überzeugung, dass Österreich es besser kann als in den letzten 18 Monaten, und dazu braucht es ein starkes Österreich im sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Bereich. Die einzige Partei, die diesen Mix mitbringt, ist die Sozialdemokratie. Deshalb gehören wir wieder auf die Regierungsbank.

STANDARD: In einer Koalition mit der ÖVP?

Rendi-Wagner: Ich schließe nur die FPÖ als Partner aus. Bei allen anderen Parteien kommt es auf Inhalte und Programm an, wenn beides passt, warum nicht? Ich bin da pragmatisch. Befindlichkeiten sind für mich kein Thema, und das erwarte ich auch von allen anderen. Klar ist auch, dass die Sozialdemokratie verhindern muss, dass die Rechten noch einmal an den Hebeln der Macht sitzen. Ich schließe die FPÖ als Partner nicht nur für uns kategorisch aus, ich sehe es auch als meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Freiheitlichen nicht noch einmal mitregieren. Auch deshalb muss die SPÖ bei der Wahl gestärkt werden und in der nächsten Regierung sitzen.

STANDARD: Eine Koalition ohne FPÖ wäre auch mit ÖVP, Grünen und Neos denkbar.

Rendi-Wagner: In dieser Konstellation würde aber die soziale Frage zu kurz kommen. Die Grünen beschweren sich ja beim Klimathema immer, dass wir den sozialen Aspekt zu stark in den Vordergrund rücken. Die Neos sind in Wahrheit eine junge, urbane ÖVP. Machen wir uns nichts vor, in dieser Koalition würden die Themen des Alltags der meisten Menschen in Österreich wenig Beachtung finden. Österreich war immer dann am stärksten, wenn wir für sozialen Ausgleich gesorgt haben.

Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Würden Sie die SPÖ-Basis über einen Koalitionsvertrag abstimmen lassen?

Rendi-Wagner: Das werden wir noch diskutieren. Derzeit ist es so vorgesehen, dass die Gremien solche Entscheidungen treffen, aber natürlich ist es auch eine Möglichkeit, die Basis stärker einzubinden.

STANDARD: Die Wahlforschung zeigt, dass die SPÖ Wechselwähler im großen Ausmaß nur von den Grünen locken kann. Warum sollten Grünen-Sympathisanten Sie und Ihre Klimapolitik wählen?

Rendi-Wagner: Ich will nicht eine bestimmte Wählergruppe ansprechen, sondern alle Österreicher. Klimapolitik ist wichtig und könnte dringlicher nicht sein, aber es gibt auch viele andere Politikbereiche, die man nicht übersehen darf. Ich stehe für einen offensiven Ausbau von ganztägiger Betreuung in Kindergärten und Schulen. Die Lohnschere muss durch konsequente Einkommenstransparenz endlich geschlossen werden. Ich stehe für eine sichere Gesundheitsversorgung für alle, unabhängig davon, wie groß die Brieftasche ist. Ich will Arbeitnehmer mit einem Mindestlohn von 1700 Euro stärken.

Foto: Matthias Cremer

STANDARD: In Klimafragen wird Ihnen vorgeworfen, dass Sie nur populäre Halblösungen anbieten. Warum trauen Sie sich nicht über eine nationale CO2-Steuer?

Rendi-Wagner: Ich bin für eine flächendeckende Lkw-Maut auf allen Straßen Österreichs. Darüber hinaus fordere ich eine CO2-Steuer auf internationaler Ebene für die großen Klimaverschmutzer der Schwerindustrie und der Energiewirtschaft, die mehr als 50 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes produzieren. Klimapolitik auf dem Rücken derer zu machen, die auf ihr Auto angewiesen sind, um in die Arbeit zu kommen, wäre eindimensional.

STANDARD: Verfolgen die Grünen eine eindimensionale Klimapolitik?

Rendi-Wagner: Es liegt in Wahrheit kein Detailkonzept der Grünen vor.

STANDARD: Ihre Forderung, dass Schnitzel nicht zum Luxus werden dürfen, klingt nach einem Versuch, in blaue Wählersegmente vorzudringen.

Rendi-Wagner: Das sage ich, weil es nicht mutig wäre, nur die Konsumenten in die Pflicht zu nehmen, die ohnehin schon wenig haben. Alle, die es sich leisten können, würden weiterhin ihr Steak essen.

Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Sie sind Medizinerin: Wie oft pro Monat ist Schnitzel gesund?

Rendi-Wagner: Es kommt bei gesunder Ernährung immer auf das Maß an. Man braucht bestimmt nicht viel Fleisch, aber in Maßen muss es für jeden leistbar sein.

STANDARD: Sollten Sie sich als Ärztin und Sozialdemokratin nicht eher dafür einsetzen, dass sich alle gesundes Essen leisten können, anstatt fettes Fleisch zu verteidigen?

Rendi-Wagner: Dafür muss ich aber bei der Bildung ansetzen, bei Kochkursen in Kindergärten und bei der Ernährungserziehung in Schulen. Der richtige Hebel ist da auch eine tägliche Turnstunde. Oder dass man sich für Parkflächen in der Stadt einsetzt und dafür, dass Menschen genug Geld für gesunde Ernährung haben. Der falsche Hebel sind Steuern auf gewisse Lebensmittel und dann zu glauben, das Thema sei erledigt.

STANDARD: Bildung ist ein gutes Stichwort. Diesen sozialdemokratischen Kernbereich sprechen Sie im Wahlkampf kaum an. Überlässt die SPÖ das Thema jetzt den Neos?

Rendi-Wagner: Ich wünschte, der Wahlkampf ließe mehr Zeit, um auch dieses wichtige Thema noch vordergründiger zu beleuchten. Bildung ist zweifelsfrei die Schutzimpfung gegen soziale Ausgrenzung, gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit.

STANDARD: Sie stehen für die Abschaffung des Gymnasiums?

Rendi-Wagner: Ich denke, es gibt Schritte, die man davor setzen muss. Etwa ein zweites Gratiskindergartenjahr. Aber ja, als Ziel im Sinne einer besseren Chancengleichheit stehen wir auch für die Gesamtschule.

Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Anderes Thema: Glauben Sie, alle in der SPÖ haben sich nun an eine Frau und Quereinsteigerin an der Spitze gewöhnt?

Rendi-Wagner: Es ist eine Beobachtung, die ich beruflich schon oft gemacht habe: Wenn Frauen in Führungspositionen kommen, dauert die Gewöhnungsphase länger als bei Männern. Entscheidungen von Frauen werden anfangs lieber viermal hinterfragt, bevor man sie akzeptiert. In der Politik ist das nicht anders – innerhalb wie außerhalb der SPÖ. Besonders ausgeprägt ist in der Politik aber das Phänomen, dass Männer einem die Welt erklären wollen.

STANDARD: Aktuell wirbt Ihr Vorvorvorgänger Alfred Gusenbauer in einem Video für Sie. Der wollte schon in der Sandkiste Kanzler werden. Was war Ihr Berufswunsch?

Rendi-Wagner: Definitiv nicht Politikerin (lacht). Ich hatte früh den Wunsch, Ärztin zu werden. (Katharina Mittelstaedt, 11.9.2019)