Traut Sebastian Kurz einen ökosozialen Kurs in Türkis-Grün zu: Ex-Parteichef Josef Riegler.

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Wien – In den 1970er-Jahren wurde Österreich von einer Alleinregierung der SPÖ, die sich damals noch stolz "Sozialistische Partei Österreichs" nannte, regiert. Die FPÖ war eine Kleinstpartei ohne viel Relevanz, die ÖVP eine Großpartei (Nationalratswahl 1975: 42,9 Prozent) mit erheblichen Schwierigkeiten, sich ideologisch zu orientieren.

Zwar hatte das Salzburger Programm von 1972 die Idee einer "sozialen Integrationspartei" geboren. Aber man war sich in der Volkspartei keineswegs sicher, was das heißt – wie ein Blick in die dem bürgerlichen Lager zugerechneten Österreichischen Monatshefte jener Jahre beweist.

Der erste Anstoß kam von Josef Taus

Es wurde sehr viel Papier produziert (allein die "Pläne zur Lebensqualität" umfassten vier Bände mit insgesamt über 800 Seiten) und viele Ideen gewälzt und wieder verworfen. Eine stand ganz unscheinbar im Heft Neue Wege für Österreich aus dem Jahr 1977: Parteichef Josef Taus schlug ganz pragmatisch vor, Arbeit steuerlich zu entlasten und stattdessen Energie zu besteuern.

Das war zu einer Zeit, als noch niemand auch nur eine Ahnung vom Klimawandel hatte. Man hatte andere Sorgen: Die von den Golfstaaten als Vergeltung nach dem von arabischer Seite 1973 verlorenen Yom-Kippur-Krieg bewirkte Ölknappheit hatte eine Schockwirkung erzielt, auch die Lektüre von Dennis Meadows' The Limits to Growth aus dem Jahr 1972 hatte die konservative Weltsicht stark beeinflusst.

Erdöl sollte der Chemie vorbehalten bleiben

Und zwar so sehr, dass der Physiker, Philosoph und spätere Leiter der Abteilung Politik der ÖVP, Ernst Streeruwitz, im Österreichischen Jahrbuch für Politik 1979 eine weitgehende Abkehr von der Verbrennung fossiler Energieträger in der damals absehbaren Zukunft forderte: "Wegen der Verteuerung und Verknappung des Erdöls wird dieser Rohstoff nur mehr in jenen Bereichen eingesetzt werden können, in denen er sich nicht durch andere Energieformen substituieren lässt, wie etwa im Bereich der Chemie." Kurzfristig werde man Erdöl wohl auch noch im Verkehrswesen einsetzen müssen, meinte der ÖVP-Vordenker damals.

Diese als "kurz" gedachte Frist läuft nun seit genau 40 Jahren.

Die Lektüre der alten Theoriepapiere belegt jedenfalls, dass es in der ÖVP in den 1970er-Jahren eine ganze Reihe von ökologischen Ansätzen gegeben hat. In der politischen Praxis wirkte sich das dann 1978 in der mehrheitlichen Ablehnung des AKWs Zwentendorf (und zweier weiterer Projekte) durch die ÖVP aus.

Als Grün Parteifarbe wurde

Und im Politikmarketing hatte die Farbe Grün ohnehin schon damals Konjunktur. Das begann mit der Nationalratswahl 1962, als der Markenartikel-Designer Otto Stefferl die Spitzen der Volkspartei vom Grafiker Paul Aigner (dieser hatte schon erfolgreich für Palmers und weniger erfolgreich für die KPÖ geworben) vor grünem Hintergrund malen ließ.

Mit der grünen Farbe wollte sich die Volkspartei von dem ihr vom politischen Gegner zugeschriebenen "Schwarz" (die Farbe des Priestergewands sollte die christlichsoziale Politik diffamieren) emanzipieren – gelungen ist ihr das freilich nicht. Bis Mitte der 1970er-Jahre wurde zwar der Slogan "Green is beautiful" in der schwarzen Werbung verwendet – doch ausgerechnet als die heute als "grün" geltenden Umweltthemen politische Relevanz bekamen, kehrte sich die Volkspartei von der ihr nicht mehr erfolgversprechend scheinenden Farbe ab.

Schwarze Skeptiker

Aber immerhin inhaltlich wurden Impulse der Grün-Bewegung aufgegriffen – allerdings nicht in voller Breite, denn nicht nur der Wirtschaftsflügel, sondern auch viele Landespolitiker sahen in der Umweltpolitik einen Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung.

Dennoch begründeten die Generalsekretäre der drei großen ÖVP-Bünde (Wolfgang Schüssel für den Wirtschaftsbund, Walter Heinzinger für den ÖAAB und Josef Riegler für den Bauernbund) zu Beginn der 1980er-Jahre eine öffentlichkeitswirksame Tradition, die das Jahrzehnt allerdings nicht überlebt hat: Gemeinsam mit Journalisten gingen sie in jenen Gebieten wandern, die von wirtschaftlicher Übernutzung (besonders durch Staudämme, aber auch durch Trockenlegung oder Hotelbauten) bedroht waren – in den Hohen Tauern war dies etwa der entscheidende Impuls zur Verwirklichung des Nationalparks.

"Qualitative" Marktwirtschaft

Die 1980er-Jahre brachten dann auch eine Weiterentwicklung in Grundsatzfragen: Hatte Erhard Busek als ÖVP-Generalsekretär 1975/76 noch eine Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft zur "Qualitativen Marktwirtschaft" angeregt, so setzte er als Wiener Landesparteichef 1976 bis 1989 deutlich auf Umweltthemen und plakatierte "Grün heißt in Wien Busek – ÖVP".

Die beiden steirischen Politiker Heinzinger und Riegler machten derweil ihre eigenen Erfahrungen mit praktischer Umweltpolitik: Heinzinger, nun ÖVP-Umweltsprecher, prägte als erster ÖVP-Politiker 1984 den Begriff "öko-sozial" für den angestrebten Umbau des marktwirtschaftlichen Systems – bald darauf wurde er allerdings aus der Funktion des Arbeitnehmer-Generalsekretärs der ÖVP verdrängt. Riegler wiederum stieg zum steirischen Umweltlandesrat (1983–1987) auf und erlebte, dass die dortigen Industrieunternehmen behördliche Auflagen konsequent ignoriert haben.

Preise für Umweltgüter

"Die haben lieber Strafe gezahlt", das sei billiger gewesen, erinnert sich Riegler im Gespräch mit dem STANDARD an seine Gegenüber von damals. Da habe er verstanden, dass man Umweltgüter mit Preisen versehen müsse, um deren Verbrauch (oder eben Schonung) zu steuern.

Als Riegler 1987 Landwirtschaftsminister wurde, übernahm er das Konzept von Lenkungsabgaben und gezielten ökologischen Förderungen zunächst in die Agrarpolitik. Zwei Jahre später wurde Riegler ÖVP-Chef und Vizekanzler. Er trimmte seine Partei innerhalb weniger Monate auf einen ökosozialen Kurs.

Zögerlich, als es konkret wurde

Dass Lenkungsabgaben auf Treibstoffe deren Preis erhöhen würden, war eine Binsenweisheit. Dass der Statistiker und ÖVP-Politiker Gerhart Bruckmann im Wahlkampf 1990 einen Benzinpreis von 20 Schilling – umgerechnet in heutige Kaufkraft 2,57 Euro – als realistisch einschätzte, verschreckte viele Wähler und ließ die ÖVP-Spitze zurückrudern: Gar so konkret, gar so ernst sei das nicht gemeint mit der Bepreisung des Umweltverbrauchs und der Belohnung der Ressourcenschonung, lautete die Botschaft.

Die ÖVP verlor die Wahl, die ökosozialen Konzepte wurden unter Rieglers Nachfolger Busek dann auch recht rasch verräumt, obwohl das Parteiprogramm von 1995 die ÖVP nicht nur erstmals als "christdemokratisch" definierte, sondern auch festhielt: "Wir sind die Partei der ökosozialen Marktwirtschaft."

Globalisierung überrollte Ökologisierung

In der praktischen Politik spielte das schon in den Jahren von 1990 bis 1995 keine Rolle mehr: "Für die Steuerreform-Etappe 1992 hatten wir ganz klar eine Ökologisierung des Steuersystems angekündigt. Aber die exportorientierte Industrie hat sich quergelegt, ebenso die Phalanx der Sozialpartner", erinnert sich Riegler, "da haben sich die Umwelt- und Landwirtschaftsminister redlich, aber vergeblich abgestrampelt, das war die Phase der brutalen Globalisierung."

In diese Phase fielen auch die Koalitionsgespräche, die der 1995 zum Parteiobmann und 2000 zum Bundeskanzler aufgestiegene Wolfgang Schüssel 2002 mit den Grünen geführt hat. Sie sind letztlich gescheitert.

Impuls durch Fridays for Future

Jetzt aber sei alles anders, sagt Riegler, der mit dem "Ökosozialen Forum" die Grundidee seiner Politik in Teilen der ÖVP und darüber hinaus über die Zeiten gerettet hat: "Durch die Dramatik der Klimaveränderung haben wir heute eine Situation, wie sie seit 1990 nicht mehr bestanden hat. Sebastian Kurz hat zurecht gesagt, dass Klimaschutz zur Chefsache werden muss – er ist ein hochsensibler und intelligenter Mensch, der den Trend erkennt, den es mit Fridays for Future gibt."

Riegler ist daher optimistisch, dass die türkise ÖVP bei den ökologischen Inhalten mit den Grünen zusammenfinden kann. Bei den gesellschaftspolitischen ist er skeptischer, aber da ist die ÖVP-Ideologie inzwischen weiter als vor vier Jahrzehnten. (Conrad Seidl, 8.10.2019)