"Der europäische Grüne Deal ist unsere neue Wachstumsstrategie – für ein Wachstum, das uns mehr bringt, als es uns kostet." Mit diesen Worten hat die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am vergangenen Mittwoch den europäischen Grünen Deal präsentiert. Doch was von der EU-Kommission als großer Wurf verkauft wird und Europa bis 2050 (und damit deutlich zu spät) zu einem klimaneutralen Kontinent machen soll, kann nicht die gewünschten Ergebnisse bringen. Das liegt vor allem an einer Blindstelle: dem Wirtschaftswachstum.

Mit ihren Worten gesteht es von der Leyen indirekt bereits ein: Wachstum ist ein entscheidender Treiber von Umweltzerstörung. Trotzdem soll Europas Wirtschaft weiter wachsen, vor allem "klimafreundliche" Industrien und "saubere" Technologien. Das will die Kommission mit einem Paket verschiedener Maßnahmen erreichen. So soll unter anderem das Emissionshandelssystem überprüft, reformiert und auf weitere Bereiche ausgeweitet werden, neue innovative Technologien gefördert und grüne Finanzinstrumente entwickelt werden. Der Kommissions-Deal soll also zugleich Wirtschaft und Umweltschutz fördern und steht damit im Zeichen eines "grünen Wachstums".

Green Growth als Sackgasse

Das ökologische Potenzial einer Politik, die den Wachstumszwang nicht infrage stellt, ist beschränkt. Vielfach verschieben "Green Growth"-Strategien Probleme nur in andere Länder oder Bereiche, und reduzieren Emissionen kaum oder viel zu langsam. Das beweist etwa das Beispiel Schweden. Das Land hat die höchsten CO2-Steuern weltweit und in den letzten Jahrzehnten weitere vergleichsweise ambitionierte klimapolitische Maßnahmen gesetzt. Dadurch konnten die im eigenen Territorium ausgestoßenen Treibhausgase seit 1990 um 26 Prozent auf gut vier Tonnen pro Kopf gesenkt werden, während die Wirtschaft um 78 Prozent wuchs. In Wirklichkeit hat Schweden seinen CO2-Ausstoß seit Jahrzehnten kaum verringert. Denn in dieser Rechnung werden keine Emissionen berücksichtigt, die bei der Produktion von nach Schweden importierten Gütern im Ausland anfallen. Inkludiert man sie, liegt der schwedische Pro-Kopf-Ausstoß bei insgesamt immer noch rund zehn Tonnen pro Jahr. Das ist ein vielfaches der nachhaltigen Menge, die durch Senken gebunden werden kann.

Margaritis Schinas, Kommissar zur "Förderung der europäischen Lebensweise" und Ursula von der Leyen.
Foto: Reuters/FRANCOIS LENOIR

Mit Margaritis Schinas hat von der Leyen einen Kommissar für die "Förderung der europäischen Lebensweise" in ihrem Team. Der Grüne Deal der Kommission soll ermöglichen, eben jene europäische Lebensweise mit ihrem Fokus auf Wachstum, Beschleunigung, Konkurrenz und Konsum zu bewahren. Das Problem ist, dass sich diese mit dem 1,5-Grad-Limit nicht verbinden lässt. Eine Studie der finnischen Aalto Universität zeigt, welche Maßnahmen zur Veränderung von Konsum- und Mobilitätsverhalten in verschiedenen Ländern umgesetzt werden müssten, um die Pro-Kopf-Emissionen wie nötig zu reduzieren. Darunter sind eine deutliche Reduktion des Autoverkehrs, unter anderem durch Fahrgemeinschaften und eine Verringerung des Zwanges zum Arbeitsplatz zu pendeln, eine Verkleinerung der Wohnflächen und vermehrt vegetarische oder vegane Ernährung. Anstatt die Verantwortung auf das Individuum abzuschieben, müssen die Rahmenbedingungen für solche Veränderungen von der Politik geschaffen werden. Mit einer Wirtschaftsweise die wie bisher auf Konkurrenz und Wachstum setzt, sind sie jedoch nicht zu vereinbaren.

Langes Warten auf Wundermaschinen

Der grüne Deal der Kommission kann einige politische Probleme verkleinern. Er könnte Jobs schaffen und durch Wachstum für mehr sozialen Frieden sorgen, da mehr umverteilt werden kann. Allerdings kann er nicht wesentlich dazu beitragen, die ökologische Krise zu bremsen. Von NGO-Seite zielt Kritik am Deal vor allem auf das Fehlen konkreter Pläne und Maßnahmen. Dabei ist es nur logisch, dass diese weitgehend fehlen. Denn grünes Wachstum als politische Strategie setzt immer auch stark auf eine vage "Innovation", also die Hoffnung auf zukünftige technologische Sprünge, die massive Emissionsreduktionen ermöglichen sollen. Das Warten auf solche Wundermaschinen wird seit Jahrzehnten immer wieder beschworen, bisher jedoch vergeblich. Wenn wir den ökologischen Kollaps verhindern wollen, ist dies im Jahr 2020 schlicht keine Option mehr.

Klimapolitik, die den Wachstumszwang nicht infrage stellt, gleicht einer Sisyphusarbeit: Wenn die Wirtschaft, die es zu dekarbonisieren gilt, beständig wächst, wird auch die Aufgabe immer schwieriger und schließlich unlösbar. Dies nicht zu erkennen ist der Denkfehler hinter dem europäischen Grünen Deal der EU-Kommission. Ein wirklich neuer Deal würde unsere Abhängigkeit vom Wachstum überwinden, Ungleichheit in Europa und darüber hinaus verringern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. So ein Kurswechsel ist notwendig, aber er erfordert Mut und Visionen jenseits von Markt und Technologie. (Manuel Grebenjak, 18.12.2019)

Manuel Grebenjak studiert Politische Ökologie an der Autonomen Universität Barcelona und ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Bei verschiedenen Organisationen beschäftigt er sich mit Klimapolitik, sozial-ökologischer Transformation und nachhaltiger Mobilität.

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