Der Verzicht wiegt schwer – und beginnt mit einem Einkauf. Kichererbsenmehl, Hirseflocken, Leinsamen, Buchweizengrütze, ich will ja nicht verhungern während der kommenden zwei Wochen. 35 Euro kosten die 15 Packerln, die ich in den Korb geworfen habe.

14 Tage lang werde ich auf Dinge, die mir eigentlich gut schmecken, verzichten: die Tagliatelle zu Mittag, die Kaisersemmel mit dem Eiaufstrich, die wackelige Schoko-Mousse-Torte aus der Konditorei nebenan. Wäre ja gelacht, wenn das für einen Profi wie mich nicht zu schaffen wäre!

Als Vegetarierin komme ich schon mein halbes Leben lang ohne Fisch und Fleisch aus. Nach Verzicht hat sich das noch nie angefühlt. Eher wie ein Slalomlauf. In Wien weiß ich Würstelbuden, Frittatensuppen, Gulaschbomben routiniert auszuweichen.

Die Torte ist ab nun tabu.
Foto: Getty Images/iStockphoto/Takoyaki

Doppelt so langer Einkauf

Jetzt beginnt der Verzicht noch einmal neu. Kohlenhydrate (Zucker! Weizenmehl! Alkohol!) sind mein ärgster Feind. Ich beginne als ambitionierte Verzichterin und blättere mich durch Kochbücher, für die ich in der Vergangenheit vor allem Verachtung übrighatte. Sie tragen Titel wie Gesund und fit mit Frank Rosin oder Low Carb für Berufstätige.

Ausgerechnet ich, die Kalorienfetischisten für Erbsenzähler und Diätbücher für die kleine Schwester von "Frauenliteratur" gehalten habe, studiere jetzt Nährwerttabellen auf Nuss- (14 Gramm Kohlenhydrate) und Buttermilchtüten (4 Gramm) sowie Topfenpackerln (4,1 Gramm).

Im Supermarkt erkenne ich mich selbst nicht wieder: Der Einkauf dauert doppelt so lange wie sonst. Ich brauche unbedingt einen Taschenrechner! Oder vielleicht gleich Herrn Rosin als Einkaufsbegleitung! Der Fernsehkoch hat nicht nur mithilfe von Low Carb den Bauch schrumpfen lassen, er hat aus seinem "Fettkampf" gleich eine TV-Sendung für verzweifelte Seelen gemacht. (Ich gebe zu, eine Folge habe ich durchgehalten.)

Zu Hause wächst das Selbstbewusstsein, immerhin: Großspurig erkläre ich die Küche zu meinem Reich. Das ist neu. Normalerweise macht sich hier der Freund die Hände dreckig, meine neueste Laune trägt er mit Fassung. Los geht es an Tag eins mit einem Low-Carb-Brot.

Das körnige Gebäck, das auf Instagram gern auf zerknitterten Leinentüchern ausgelegt wird, sieht nach "Backen für Anfänger" aus: Körner, Salz, lauwarmes Wasser verrühren, dann in die Form, ab in den Ofen.

Ohne Verbrennungen

Tatsächlich entkommt der erste Laib dem Rohr ohne Verbrennungen, er sieht sogar fast so knackig wie die Vorlage in Low Carb für Berufstätige aus. Auch vom Freund kommt Lob. Die Bürokollegin, eine ambitionierte Köchin, die zwei Wochen lang mit mir verzichtet, nickt das Brot ab, auch das gab’s noch nie!

Ich beginne, größer zu denken: Vielleicht schlummert ja ein Backtalent in mir! Der Apfel fiele nicht weit vom Stamm: Meine Mutter produziert seit den 1990er-Jahren Vollkornbrote am laufenden Band, sie steht auf Kriegsfuß mit Auszugsmehl und Backtriebmitteln. Wird auch mein Versuch mehr als ein zweiwöchiger Flirt?

Collage: Hedi Lusser; Montage: Lukas Friesenbichler, Bilder: NYPL Digital Collection, iStock

Ein paar Abende später erfährt meine anfängliche Euphorie einen Dämpfer. Ich treffe mich mit einer Freundin im Gasthaus. Vor ihr steht schnell ein Glas Rosé, während ich mir schwertue, mich zwischen Teetasse und Wasserglas zu entscheiden. Der Kellner serviert später die aromatisierte Rooibos-Mischung mit hochgezogenen Augenbrauen. Hat da jemand Mitleid mit mir, oder bilde ich mir das nur ein?

Es wird dann eh noch ein unterhaltsamer Abend, doch diesmal zwickt der Verzicht: Low Carb, was für ein lustfeindlicher Quatsch! Auf dem Nachhauseweg versuche ich wieder den Profi in mir hervorzuholen: vielleicht in der Nacht noch ein Brot ins Rohr schieben und am Morgen danach auf Instagram um Likes buhlen? Der Applaus wäre mir sicher. Low Carb ist ein Hashtag-Trend, mehr als 19 Millionen Bilder wurden auf der Social-Media-Plattform unter #lowcarb abgelegt.

Kurz vor Ende des Experiments hat sich Routine breitgemacht. Ich backe Brote, mache alle paar Tage Pancakes aus Buchweizenmehl und nehme mir Selbstgekochtes ins Büro mit (manchmal werde ich auch von der verzichtenden Kollegin eingeladen). Die Küche habe ich trotzdem wieder abgetreten, eine leidenschaftliche Bäckerin ist aus mir noch immer nicht geworden. Die Bilanz fällt dennoch positiv aus.

Mein größter Triumph: Zucker habe ich in den vergangenen 14 Tagen genau einmal vermisst. Schwach geworden bin ich nach einer Einladung, die einfach nicht auszuschlagen war: drei flaumige Topfen-Nougatknödel, mjam – am liebsten hätte ich gleich noch drei weitere hinterhergeschoben. Heute ist übrigens Tag 18 des Experiments #lowcarb. Ich habe den Verzicht verlängert – aus freien Stücken. (Anne Feldkamp, RONDO, 9.3.2020)