SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner will Flüchtlingen an der griechisch-türkischen Grenze, aber auch direkt in Österreich helfen.

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Was es in der aktuellen Flüchtlingspolitik brauche, sei eine "einheitliche Linie der Bundesregierung" und eine "gemeinsame, entschlossene Linie innerhalb der EU", monierte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in den vergangenen Tagen immer wieder. Tatsächlich sind die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der türkis-grünen Koalition durch die dramatische humanitäre Situation an der griechischen EU-Außengrenze erheblich. Doch auch in der SPÖ ist es mit der geforderten einheitlichen Linie nicht allzu weit her. Vor allem auf die drängende Frage, ob Österreich als Sofortmaßnahme Menschen aus den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern ins Land holen soll, gibt es keine gemeinsame rote Antwort.

Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig ist – genauso wie der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil – gegen die Aufnahme von Asylwerbern, die es auf die griechischen Inseln geschafft haben. Es gebe zwar freie Kapazitäten, er sehe aber momentan keinen Anlass für solch einen Schritt, sagte Ludwig.

Viele Bürgermeister aus den Reihen der Sozialdemokratie sehen offenbar sehr wohl einen Anlass gegeben: Am Donnerstag formierten sich in Oberösterreich zwanzig rote Gemeindechefs, die angesichts der humanitären Notlage bereit sind, "kurzfristig Verantwortung für Kinder und Familien" zu übernehmen. Für diese Initiative kann sich auch der EU-Delegationsleiter der SPÖ, Andreas Schieder, im Gespräch mit dem STANDARD erwärmen. Schieder spricht sich für die Aufnahme von Frauen und Kindern aus Griechenland aus, wenn keine europäische Lösung zustande kommt. Und der mächtige Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser stellt in einem emphatischen Appell die Frage: "Warum nicht versuchen, im Rahmen einer EU-weit akkordierten humanitären Aktion, Kindern und Frauen zu helfen, sie aus ihrer Hölle wegzuholen?"

Parteichefin Rendi-Wagner wagt sich aus der Deckung

Was die SPÖ-Vorsitzende – Rendi Wagner ist übrigens auch außenpolitische Sprecherin der Partei im Nationalrat – von der akuten Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland hält? In den vergangenen Tagen versuchte sie der Frage möglichst auszuweichen, schloss das aber nicht dezidiert aus. Für den Politikberater Thomas Hofer ist dieses zaghafte Agieren kein Zufall: "Rendi-Wagner ist gerade mit ihrer Vertrauensfrage beschäftigt, da will sie in der heiklen Asyldebatte nicht zwischen die Fronten geraten. Darum versucht sie, sich möglichst unverbindlich zu positionieren."

Am Freitag ging die Chefsozialdemokratin dann allerdings ein Stückweit aus der Deckung. Während sie bisher stets auf der "Hilfe vor Ort" insistiert hatte, befürwortete Rendi-Wagner nun auf STANDARD-Anfrage erstmals auch Nothilfemaßnahmen für Flüchtlinge direkt in Österreich: "Ja, Einzelhilfe für Menschen in Not, insbesondere Kinder und unbegleitete Minderjährige, muss auch in Österreich möglich sein." Einem isolierten nationalen Alleingang will sie indes nicht das Wort reden, eine Hilfsaktion müsse "von mehreren Mitgliedsstaaten getragen werden", fordert Rendi-Wagner.

Ob sich nun alle Parteigranden mit diesem Kurs identifizieren können, ist allerdings fraglich. "In der SPÖ gab schon in den Jahren vor Rendi-Wagner keine abgestimmte Linie in der Flüchtlingspolitik", erinnert Politikberater Hofer. Durch die offensichtliche Führungsschwäche der jetzigen SPÖ-Chefin werde sich das auch nicht ändern.

Grüne bieten Angriffsflächen

Dabei böten die Grünen in ihrer Rolle als Koalitionspartei gerade in der aktuellen Diskussion durchaus Angriffsflächen für Kritik von links, weil beim Flüchtlingsthema die Kluft zwischen eigenem humanitären Anspruch und der rechten, ÖVP-dominierten Regierungslinie besonders groß ist. Insbesondere im anlaufenden Wahlkampf um Wien könnte das den Grünen von urbanen Wählerschichten übel genommen und als Unterwerfung unter den türkisen Kurs gewertet werden. Diese Chance kann die SPÖ allerdings nur bedingt nutzen, weil die eigene Wählerschaft in der Flüchtlingsfrage zu heterogen ist, sagt Hofer. Eine allzu offene Haltung könnte der SPÖ letztlich auch in der eigenen Zielgruppe schaden.

Angesichts dessen fokussiert sich die SPÖ in ihren Statements bevorzugt auf Maßnahmen an der EU-Außengrenze sowie auf finanzielle Unterstützung für die Herkunftsländer der Flüchtlinge. So fordert etwa EU-Politiker Andreas Schieder eine deutliche Aufstockung der UNHCR-Auslandshilfe. Das einwohnerschwächere Dänemark hat im vergangenen Jahr umgerechnet 80 Millionen Euro ausgegeben, sagt Schieder. "Dorthin müssen wir." Zum Vergleich: 2019 hat sich Österreich mit umgerechnet 3,4 Millionen Euro beteiligt. Anfang dieser Woche kündigte die türkis-grüne Regierung drei Millionen Euro humanitäre Hilfe für Menschen im syrischen Krisengebiet Idlib an.

Kurz warnt vor Millionen Flüchtlingen

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verschärft unterdessen auf europäischer Ebene seine Diktion bei der Abschottung vor Flüchtlingen. In Interviews mit deutschen Zeitungen warnt Kurz andere EU-Staaten energisch vor einer Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten an der griechisch-türkischen Grenze. "Wenn diese Menschen, die teilweise gewaltbereit sind, am Ende nach Mitteleuropa durchkommen, wird es nicht bei den 13.000 bleiben. Dann werden es bald Hunderttausende und später vielleicht Millionen sein. Wir hätten am Ende dieselben Zustände wie im Jahr 2015", sagte Kurz. (Theo Anders, Jan Michael Marchart, 7.3.2020)