Bild nicht mehr verfügbar.

Auch wenn die Schulen im Mai schrittweise öffnen, wird die Fernlehre noch einige Zeit andauern.

Foto: CHBD

Didaktiker Thomas Strasser nennt sie die "PDF-Schleuder". Digitale Lernplattformen werden beim derzeitigen Fernunterricht gerne für das Hoch- und Runterladen von Arbeitsblättern genutzt. Die Schülerinnen und Schüler und auch ihre Eltern – mittlerweile zu Heimpädagogen mutiert – sitzen teilweise ratlos davor. "Viele fragen sich: Was soll ich jetzt damit?", sagt Strasser, der an der Pädagogischen Hochschule Wien für technologieunterstütztes Lehren und Lernen zuständig ist.

Zu viel Arbeitsaufträge

Am 4. Mai öffnen die Schulen für Abschlussklassen, Mitte Mai für alle Sechs- bis 14-Jährigen, und ab Anfang Juni folgen die älteren Schüler. Die Fernlehre wird also noch einige Zeit dauern – und auch danach weitergehen, da sich die Schülerinnen und Schüler tageweise abwechseln werden. Ein Problem beim Homeschooling, von dem manche Eltern und Kinder sowie Jugendlich berichten: Es gibt zu viele Arbeitsaufträge.

Bundesschulsprecherin Jennifer Uzodike hat Rückmeldungen bekommen, wonach zu viele Aufgaben gegeben werden, auch wenn sich die Lage seit Anfang der Schulschließungen schon gebessert habe. "Die Lehrer glauben teilweise, sie müssen den Lehrplan durchbringen", sagt Uzodike. Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) hat die Lehrkräfte bereits aufgefordert, Lerntempo und Lerninhalt zu reduzieren.

Mehr Präzision gefragt

Woher kommt dieses Gefühl der Überforderung? Ein Problem mit den vielen Arbeitsblättern sei, dass diese für den Präsenzunterricht konzipiert werden, sagt Didaktiker Strasser. "Beim digitalen Unterrichten muss man aber viel präziser formulieren." Schließlich fallen die Erklärungen im direkten Gespräch im Klassenzimmer weg.

Marlene Miglbauer von der Virtuellen Pädagogischen Hochschule – einem Innovationshub für digitale Bildungstrends – erklärt sich die Mehrarbeit unter anderem durch den fehlenden persönlichen Kontakt. Den Lehrenden gehe das unmittelbare Feedback im Klassenzimmer ab. "Sie können sonst gleich reagieren, wenn sie merken, dass die Schüler doch länger für die Aufgabe brauchen, als sie gedacht haben."

Selbst wenn eigentlich weniger unterrichtet werde als im regulären Betrieb, entstehe bei den Familien subjektiv der Eindruck, es sei mehr, sagt Klaus Himpsl-Gutermann. Er ist Leiter des Zentrums für Lerntechnologie und Innovation der Pädagogischen Hochschule Wien, bei dem auch Strasser beschäftigt ist. Die Arbeitsaufträge seien ohne die mündliche Erklärung im Klassenzimmer – mit der unmittelbaren Möglichkeit nachzufragen – viel schwieriger zu verstehen und zu erfüllen.

Videokonferenzen sind wichtig

Lösungen haben die Didaktiker für E-Learning einige auf Lager. Sie sind sich darin einig, dass dafür die direkte Kommunikation am wichtigsten ist. Himpsl-Gutermann empfiehlt für Volksschulen und Unterstufen eine halbe Stunde, in der sich die Klasse in einer Videokonferenz jeden Morgen trifft und offene Fragen sowie die Tagesplanung bespricht. "Das ist keine leichte Aufgabe für das Lehrpersonal, aber es entlastet die Eltern massiv." Schon ein virtuelles Treffen pro Woche würde helfen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Vor allem jüngere Kinder brauchen den direkten persönlichen Kontakt mit ihrer Lehrerin oder ihrem Lehrer.
Foto: vgajic

Auch Bundesschulsprecherin Uzodike weiß aus eigener Erfahrung mit ihrem kleineren Bruder, dass gerade neuer Stoff wesentlich leichter zu verstehen ist, wenn er direkt vom Lehrer oder der Lehrerin erklärt wird. "Vor allem die jüngeren Schüler kriegen so viel mehr Sicherheit."

Lehrmethoden abwechseln

Die Bundesschulsprecherin wünscht sich vielfältigere Arbeitsaufträge. Zum Beispiel auch virtuelle Gruppenarbeiten, um die fehlenden sozialen Kontakte zu kompensieren. Das sehen auch die Experten so. Strasser empfiehlt projektorientiertes Lernen, bei dem sich Lehrpersonen eine gemeinsame Wochenaufgabe überlegen. "Für Biologie, Geografie und Englisch könnten die Schüler zum Beispiel eine interaktive Broschüre zur Nachhaltigkeit im eigenen Ort für Touristen auf Englisch erstellen."

Für den Volksschulbereich rät Didaktiker Himpsl-Gutermann zur App "Anton". Das Programm sei so einfach gestaltet, dass die Schülerinnen und Schüler dabei selbstständig zum Beispiel rechnen oder lesen üben können. "Die Eltern müssen nicht daneben sitzen und erklären." Auch die Kontrolle danach übernimmt die App. Mama und Papa können daneben in Ruhe arbeiten oder kochen.

Mut zur Lücke

Alles in allem ermutigen die Wissenschafter die Lehrer zur Lücke. "Es muss nicht jedes Kapitel im Buch durchgearbeitet werden", sagt Strasser. Manchmal reiche es auch aus, die Kinder und Jugendlichen nur zu fragen, wie es ihnen gehe, oder sie zu bitten, ihren Arbeitsplatz zu fotografieren und mit den anderen zu teilen. "So etwas bringt den sozialen Austausch und damit die Motivation zurück."

Obwohl jetzt viele Lehrpersonen mit Distance-Learning konfrontiert sind und viel dazulernen, sind sich die Experten nicht sicher, dass sich die Corona-Krise positiv auf die Digitalisierung des Bildungssystems auswirken wird.

"Es wird wohl eher wieder zurück zu 'teaching business as usual' gehen", sagt Strasser. Etwas zuversichtlicher ist Miglbauer. An der Virtuellen PH gebe es derzeit enorm viel Interesse an Weiterbildung in diesem Bereich. "E-Learning wird mehr verwendet werden", prophezeit sie. Aber eben nicht als alleiniges Mittel für den Unterricht, sondern als sinnvolle Ergänzung zum Lehren. (Lisa Kogelnik, 27.4.2020)