Bald soll es in den Gängen von Alters- und Pflegeheimen wieder voller werden.

Foto: Regine Hendrich

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) will auch in den Alters- und Pflegeheimen eine Rückkehr zur Normalität. Prinzipiell müssen diese zwar Länder und Träger in die Hand nehmen, das Gesundheitsministerium greift jedoch durch Empfehlungen ein – wie ebenjene, die Mitte März ein flächendeckendes Besuchsverbot zur Folge hatte.

Dieses soll nun weiter aufgeweicht werden, auch weil Bewohnervertreter massive Kritik am bisherigen Umgang mit Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern geübt haben.

Ein Drittel aller Covid-19-Opfer lebte im Altersheim

Erstmals liegen außerdem für Österreich Zahlen darüber vor, wie weit das Coronavirus in Altersheime eindrang und welche Folgen es hatte. Laut Elisabeth Rappold von der Gesundheit Österreich GmbH, die an der Seite Anschobers diese Zahlen am Dienstag bei einer Pressekonferenz präsentierte, hätten sich die Infektionen im April langsam "ausgeschlichen".

Dennoch seien 222 Altersheimbewohner an Covid-19 verstorben – das ist ein Drittel aller bekannten Todesfälle im Land. Weil im Altersheim vor allem Frauen leben – zu etwa zwei Dritteln –, spiegelte sich dieses Geschlechterverhältnis auch in den Testergebnissen wider. Die Fallsterblichkeit bei Heimbewohnern betrug 26,7 Prozent. Insgesamt sind bisher 0,3 Prozent aller Heimbewohner in Österreich an Covid-19 verstorben.

Bisher wurden 833 Heimbewohner und 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet. 27.000 Tests in Alters- und Pflegeheimen wurden durchgeführt, nachdem Anschober Mitte April angekündigt hatte, alle 130.000 Personen in Alters- und Pflegeheimen flächendeckend zu testen.

Neue Lockerungsempfehlungen

Schon vergangene Woche erarbeitete der Gesundheitsminister mit Heimträgern und Kontrollorganen bei einem runden Tisch weitere Lockerungspläne. Am Dienstag wurden die Empfehlungen veröffentlicht: Hygienemaßnahmen wie Abstand halten und Fiebermessen sollen bleiben, doch künftig sollen wieder Besuche auf den Zimmern ermöglicht werden. Auch Kinder, die bisher nur mit besonderen Gründen in die Heime durften, sollen wieder zu Besuch kommen dürfen.

Verankert sei außerdem, dass man sich, sobald die pandemische Situation kritischer werde, "zusammensetzt, um hier Verbesserungen und Anpassungen zu realisieren", sagte Anschober. Mit Krankheits- und Verdachtsfälle werde man vorgehen wie bisher, die Gesundheitsbehörden entscheiden über den Umgang mit diesen.

Generell gelte aber: Die einzelnen Heimbetreiber sollen individuelle Konzepte erarbeiten. Das war, so hieß es von Susanne Jaquemar vom Vertretungsnetz, bei bisherigen Lockerungen mitunter problematisch. Als Kontrollorgan, sagte sie, habe die Bewohnervertretung gesehen, "dass es etliche Einrichtungen gab, die sich intensiv um die individuellen Bedürfnisse der Bewohner bemüht haben". Überwiegend aber habe man wahrgenommen, dass "Bewohner seit der Pandemie wesentlich stärker in den Grundrechten beschränkt werden" als andere Bürgerinnen und Bürger. Nachsatz: "Auch seit den Lockerungen Anfang Mai."

Weggesperrte Heimbewohner

Seit Beginn der Pandemie häuften sich Berichte von Bewohnern, Angehörigen und Kontrollorganen, dass ohne gesetzliche Grundlage die Freiheit von Heimbewohnern eingeschränkt worden sei – etwa indem ihnen mit Quarantäne gedroht wurde, wenn sie rausgehen würden, indem Türen versperrt wurden oder indem ohne eine behördliche Anordnung Quarantänemaßnahmen verhängt wurden. Die Bewohnervertretung lässt solche Fälle nun – wie auch vor der Corona-Krise – gerichtlich prüfen.

Österreichweit hat das Vertretungsnetz – eine von vier Bewohnervertretungen im Land – nach eigenen Angaben bisher etwa 20 Beschränkungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus vor Gericht gebracht, heißt es gegenüber dem STANDARD. Die Zahl sei aber noch nicht endgültig, betont man. Wie die Verfahren ausgingen, könne man nicht sagen, weil die Beschlüsse noch nicht rechtskräftig seien.

Mit der neuen Lockerungsempfehlung sei laut Jaquemar "nun eine Klarstellung getroffen, dass Menschen in Alters- und Pflegeheimen nicht schlechtergestellt werden dürfen als Menschen, die zu Hause wohnen". Immerhin gelte auch für Pflegeheime ein klares Bekenntnis zu Grundrechten. Explizit erwähnt ist in der neuen Empfehlung übrigens auch: "Heimaufsicht, Bewohnervertretung, OPCAT-Kommission ist die Ausübung ihrer Tätigkeit in vollem Umfang zu ermöglichen. Hierbei sind die allgemein gültigen Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen."

Medikamentöse Maßnahmen

Maria Moser, Direktorin der Diakonie, die ebenfalls Pflegeheime betreibt, äußerte sich zur Problematik des medikamentösen Aspekts: Die Maßnahmen, die in Heimen getroffen wurden, seien zwar ein wirksames Mittel zur Eindämmung gewesen, aber sie hätten "massive Nebenwirkungen, die wir nicht sehen können – sie verletzen die Seele", sagte sie bei der Pressekonferenz. Manche Menschen mit intellektueller Behinderung oder Demenz hätten die Umstellung nicht verstehen können, was unter Umständen zu Aggressionen führte. Die Folge: medikamentöse Behandlung – und damit "ein großes ethisches Problem", so Moser.

Zustimmung zur neuerlichen Lockerung kam auch vonseiten der Caritas. Man müsse das Virus isolieren und nicht die Menschen, wurde Caritas-Präsident Michael Landau in einer Aussendung zitiert. Und: Gelingen könne die weitere Öffnung nur, "wenn von Bundesseite ein klarer Stufenplan vorgegeben wird, der nicht in Konflikt mit landesrechtlichen Verordnungen steht". Die Caritas forderte außerdem regelmäßige Screenings durch Selbsttests in Heimen. (Gabriele Scherndl, 9.6.2020)