Christine Lagarde steht an der Spitze der Europäischen Zentralbank.

Foto: AFP

Paris/Frankfurt am Main – EZB-Präsidentin Christine Lagarde hält den Konflikt mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht über das billionenschwere Anleihenkaufprogramm der Notenbank für beigelegt. Die deutschen Behörden hätten auf intelligente und elegante Weise eine Lösung gefunden, sagte Lagarde am Samstag auf einer Online-Diskussionsrunde des Wirtschaftsforums Rencontres Economiques d'Aix-en-Provence laut Übersetzung.

"Wir bei der EZB haben diese Vorgehensweise unterstützt." Die Notenbank habe sich bei ihren geldpolitischen Entscheidungen immer schon an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit orientiert. Lagarde bekräftigte zudem, dass die EZB der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs unterliege und nicht den Verfassungsgerichten der Mitgliedsländer.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Mai das "PSPP" genannte Anleihen-Kaufprogramm der EZB als teilweise verfassungswidrig eingestuft und gefordert, dass die Währungshüter innerhalb von drei Monaten die Verhältnismäßigkeit der Käufe nachweisen müssen. Ansonsten sei es der Bundesbank untersagt, nach einer Übergangsfrist an den Käufen teilzunehmen. Kommentatoren zeigten Unverständnis für das Urteil, der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze etwa sprach im Interview mit dem STANDARD von einem "konservativen Bauernaufstand" der deutschen Richter.

Dokumente freigegeben

Der EZB-Rat hat inzwischen Dokumente für die deutsche Bundesregierung und den Bundestag freigegeben, die die Verhältnismäßigkeit der Käufe belegen sollen. Nach deren Prüfung hält der deutsche Finanzminister Olaf Scholz den Konflikt mit Karlsruhe für gelöst. Auch der Bundestag fasste inzwischen mit deutlicher Mehrheit einen Beschluss, mit denen die Dokumente der EZB gewürdigt wurden. Damit sind auch aus Sicht des Bundestags die Forderungen der Karlsruher Richter erfüllt.

Tiefgreifender Wandel der Wirtschaft

Lagarde sprach aber nicht nur über das Verhältnis der EZB zum deutschen Verfassungsgericht – sondern auch über die Weltwirtschaft in der Coronakrise. Sie geht, wie sie sagte, von einem tiefgreifenden Wandel der globalen Ökonomie aus. "Das, was wir gerade erlebt haben, wird die Transformation beschleunigen und wahrscheinlich zu einem Wandel hin zu einer nachhaltigeren und ökologischeren Lebensweise führen", sagte die Französin am Samstag bei einer Veranstaltung in Paris.

Europa befinde sich dahingehend in einer sehr guten Ausgangslage. Die Krise "wird die in unseren Volkswirtschaften bereits unterschwellig präsenten Veränderungen beschleunigen", sagte Lagarde. Als Beispiel nannte sie das Arbeiten von zu Hause, das viele Firmen wegen den Ausgangsbeschränkungen aufgrund der Pandemie zwangsweise einführen mussten. Dies werde die Digitalisierung im Dienstleistungssektor und die Automatisierung in der Industrie vorantreiben.

Handel stark entwickelt

Zudem habe sich während der Ausgangssperren vielerorts der Online-Handel stark entwickelt. Diese Entwicklung werde sich "zum Nachteil des traditionellen Handels" weiter fortsetzen, sagte Lagarde.

"Europa befindet sich einer exzellenten Position, um diesen Übergang in die Hand zu nehmen", sagte sie weiter. Der Kontinent sei bereits führend bei ökologischen und nachhaltigen Innovationen und der Euro sei die erste Währung gewesen, die zur Emission von grünen Anleihen verwendet wurde. Dennoch müsse mehr getan und etwa "ein wirtschaftspolitischer Rahmen geschaffen werden, um die notwendigen Investitionen zu mobilisieren". (APA, Reuters, 4.7.2020)