Paris/Beirut/Wien/Washington – Bei der internationalen Geberkonferenz für den Libanon sind nach Angaben der französischen Regierung – die zu dem Treffen eingeladen hatte – 252,7 Millionen Euro Soforthilfe zusammengekommen. Das Geld komme den Agenturen der Vereinten Nationen zugute, etwa dem Welternährungsprogramm oder dem Internationalen Roten Kreuz, erklärte der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) gegenüber dem ZDF. Er sei sicher, dass die Hilfen dort ankämen, wo sie hinsollten – bei den Menschen, die in Not seien.
Bei der Explosion am Dienstag in Beirut waren mehr als 150 Menschen getötet und über 6.000 verletzt worden. "Als technisches Personal, das vor Ort arbeitet, können wir sagen, dass unsere Hoffnung schwindet, Überlebende zu finden", sagte ein Vertreter des libanesischen Militärs am Sonntag. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums werden noch immer mindestens 21 Menschen vermisst.
Internationale Hilfe läut an
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte zu der Geberkonferenz geladen und Vertreter von rund 30 Staaten folgten, drunter auch US-Präsident Donald Trump. Aus Österreich nahm kein Regierungsmitglied teil, das Außenministerium verwies auf die Teilnahme von EU-Ratspräsident Charles Michel und dem deutschen Außenminister Heiko Maas, der für den aktuellen Ratsvorsitzenden die Konferenz begleitete.
Von den insgesamt 252,7 Millionen Euro Soforthilfe trage Frankreich einen Anteil von 30 Millionen Euro, hieß es aus dem Éliséepalast nach der Videokonferenz. Frankreich habe außerdem bereits vor den Verhandlungen eine Luftbrücke eingerichtet, um Katastrophenhelfer und Hilfsgüter ins Land zu bringen. Deutschland stellt laut Maas 20 Millionen Euro zu Verfügung.
Die EU stockte die Zusagen für die Nothilfe von 33 auf 63 Millionen Euro auf. Die Union stelle Unterkünfte, medizinische Notversorgung, Wasser- und Sanitärversorgung und Nahrungsmittel bereit, erklärte der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe Janez Lenarčič am Sonntag bei der Geberkonferenz mitteilte. Es solle über die Vereinten Nationen (UN) und andere Organisationen unter strenger Überwachung in den Libanon fließen und zur Versorgung der am stärksten betroffenen Menschen eingesetzt werden.
US-Präsident Donald Trump sicherte dem Libanon ebenfalls Hilfen zu. Laut US-Behörden, machten sich am Freitag machten drei Flugzeuge mit Hilfen im Wert von mehr als 15 Millionen Dollar auf den Weg. Der türkische Vize-Präsident Fuat Oktay sagte Hilfe beim Wiederaufbau des Hafens von Beirut zu. So könnte im türkische Mittelmeer-Hafen Mersin zwischenzeitlich die Zollabfertigung und die Lagerung großer Sendungen übernommen werden. Mit kleineren Schiffen würden die Ladungen dann in den Libanon gebracht.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) sei bereit die Mittel eines Rettungspakets, über das mit der Regierung in Beirut schon vor den Explosionen verhandelt wurde, "zu verdoppeln", sagte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa am Sonntag. Dafür müsse sich die Regierung aber bereit erklären "sehr nötige Reformen durchzuführen", wie eine Sanierung der öffentlichen Finanzen oder eine Stabilisierung des Bankensystems.
Nach Einschätzung der UN werden 116,9 Millionen US-Dollar (rund 99 Millionen Euro) für Nothilfe benötigt. Dabei gehe es vor allem um medizinische Versorgung, Nahrungsmittelhilfe oder Unterkunft für die Bevölkerung.
Neuwahlen angekündigt
Als Reaktion auf die verheerende Explosion und die darauffolgenden massiven Proteste hat der libanesische Regierungschef Hassan Diab Neuwahlen vorgeschlagen. Ein entsprechendes Gesetz wolle er seinem Kabinett in einer Sitzung am Montag vorlegen, sagte Diab in einer Fernsehansprache. Er wies jedoch eine Verantwortung für die wirtschaftlichen und politischen Probleme des Landes zurück.
Mehrere Minister kündigten seit der Explosion ihren Rücktritt an. Zuletzt am Sonntagabend Umweltminister Damianos Kattar. Ebenfalls am Sonntag war Informationsministerin Manal Abdel Samad zurück getreten. Sie begründete den Schritt mit dem Respekt vor den Opfern. Bereits am 3. August hatte Außenminister Nassif Hitti seinen Rücktritt eingereicht und diesen mit "dem Fehlen eines aktiven Willens, Reformen zu erreichen" begründet.
Die Regierung des Libanon ist aufgelöst, wenn mehr als ein Drittel der 30 Kabinettsmitglieder ihr Amt niederlegen. Das wäre der Fall bei einem Rücktritt von fünf weiteren Ministern.
Demontranten stürmten Außenministerium
Im Zentrum Beiruts kam es am Samstagabend dennoch zu heftigen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und wütenden Demonstranten und chaotischen Szenen. Tausende demonstrierte, mehr als 200 Menschen wurden dabei verletzt, wie das libanesische Rote Kreuz mitteilte. Nach Polizeiangaben kam bei den Zusammenstößen auch ein Polizist ums Leben.
Einige Demonstranten drangen in das Außen-, das Wirtschaft- und das Energieministerium ein, wie lokale Medien meldeten. Auf Bildern des Senders MTV war zu sehen, wie sie im Außenministerium ein Bild von Präsident Michel Aoun zertrümmern. Die Aktivisten hängten ein großes Plakat mit dem Slogan "Beirut ist die Hauptstadt der Revolution" auf. Von ehemaligen Armeeoffizieren angeführte Protestierende erklärten das Außenministerium zum "Hauptquartier der Revolution". Nach drei Stunden beendete die libanesische Armee die Besetzung des Außenministeriums.
Am Sonntagabend es erneut zu Ausschreitungen. Demonstranten drangen in die Ministerien für Verkehr und Wohnungsbau ein. Am Zugang zum Parlamentsplatz brach ein Feuer aus. Die Polizei setzte Tränengas ein.
Die Demonstranten machen die Regierung nicht nur für die Explosionskatastrophe, sondern für die missliche Lage des Landes verantwortlich. "Verschwindet, ihr seid alle Mörder", stand auf Bannern. "Wir wollen eine Zukunft in Würde, wir wollen, dass das Blut der Explosionsopfer nicht umsonst vergossen wurde", sagte Rose Sirour, eine der Demonstrantinnen.
Bild nicht mehr verfügbar.
Die Proteste am Wochenende sind nicht die ersten. Bereits im vergangenen Oktober hatten Massenproteste gegen die Regierung begonnen. Die Demonstranten fordern weitgehende politische Reformen. Sie werfen der politischen Elite Korruption vor und beschuldigen sie, das Land rücksichtslos auszuplündern. (red, APA, 9.8.2020)