Robert Menasse bei der Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille, die er 2019 erhielt. Wahlwerbeslogans Gernot Blümels vor seiner Haustüre werfen für den Schriftsteller Fragen auf.

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Menasses gelöschtes Posting.

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Am Anfang stand ein Posting, das vielleicht gar nicht so vielen Menschen auf Facebook aufgefallen wäre oder höchstens eine interessante Diskussion hätte auslösen können. Doch das Team des Wiener ÖVP-Spitzenkandidaten Gernot Blümel wurde zu Barbra Streisand: Die Sängerin klagte 2003 einen Fotografen, weil auf dessen Luftaufnahmen ihr Anwesen zu sehen war. Erst durch die Klage wurden die Fotos berühmt. Und "berühmt", zumindest für die Verhältnisse eines Wiener Wahlkampfs, machte Blümels Social-Media-Abteilung ein Posting des Schriftstellers Robert Menasse.

Denn sie löschte jenen Kommentar, den Menasse auf der Facebook-Seite des Finanzministers hinterlassen hatte, und löste den Streisand-Effekt aus. Daraufhin wurde der Text von hunderten Usern kopiert und immer wieder auf Blümels Seite gepostet. Im Posting fragte Menasse Blümel, was dieser meine, wenn er damit werbe, Wien "wieder" nach "vorne" bringen zu wollen. Ob er die Zeit "vor dem roten Wien, als die Stadt einen antisemitischen Bürgermeister hatte, von dem Hitler lernte", meinte. Zudem zählte Menasse Errungenschaften der Stadt vom sozialen Wohnbau über Fußgängerzonen, U-Bahn und Donauinsel auf, zu denen die ÖVP seiner Meinung nach nichts beigetragen habe.

Keine Antwort

Eine Antwort von Blümel erhielten weder Menasse noch seine Nach-Poster. Doch in der ORF-"Pressestunde" am Sonntag erklärte der Finanzminister die Löschaktion: Es gebe "natürlich Diskussionsregeln" auf seiner Facebook-Seite, und man wollte "NS-Gedankengut keinen Raum bieten", diese "Regeln gelten schon für alle", so Blümel wörtlich. Er wisse schon, "dass das der Herr Menasse nichts so gemeint hat", sagte Blümel weiter. Eine Erklärung, die viele ratlos zurückließ: Weder dass sich Menasse mit seinem Posting keineswegs in die Nähe der NS-Wiederbetätigung begab, noch dass er Sohn eines jüdischen Holocaust-Überlebenden ist wurde in der Sendung erwähnt. Stattdessen bemerkte der Minister nur: Wenn Worte "wie 'Hitler' aufkommen, dann löschen die, die das Forum betreuen, auch nach Vorgabe diese Postings".

Robert Menasse erzählte am Montag dem STANDARD, wie es zu dem Posting kam. Er sei gar nicht oft auf Facebook, aber das Diskussionsforum auf Gernot Blümels Seite sei bei ihm "aufgepoppt", und er habe zudem einen "Dreieckständer mit seinem Plakat vor dem Haus. Ich sehe den jeden Tag. Ich habe mich gefragt, wie er das meint mit 'nach vorne' und 'wieder'." Auf die Aufforderung "Sag's dem Blümel" auf der Facebook-Seite des ÖVP-Spitzenkandidaten reagierte Menasse dann "sehr spontan".

"Hätte ich mir etwas mehr Zeit genommen, also zum Beispiel in aller Ruhe einen Essay am Schreibtisch geschrieben, am nächsten Tag poliert und so weiter, dann hätte ich manches vielleicht differenzierter und eleganter formuliert. Ich hätte sicher auch den Lueger weggelassen. Es hätte gereicht, an die Blockaden der ÖVP nach 1945 zu erinnern. Lueger hat ja tatsächlich kommunalpolitische Leistungen vollbracht", bemerkt Menasse, "aber es ist unglaublich, dass mir NS-Gedankengut unterstellt wird, wenn ich an Luegers Antisemitismus erinnere".

Diskurs kam nicht zustande

Gegen eine Diskussion im Netz hätte er nichts: "Aber die funktioniert ja so, dass einer etwas in den Raum stellt und man kommentiert das, worauf der andere wieder antworten kann, und eventuell kann oder muss man dann die eigene Position differenzieren oder besser begründen. So funktioniert Diskurs." Diskurs fand aber nicht statt: "Dass Gernot Blümel das ausschlägt, obwohl er mit Diskurs wirbt, meinen Beitrag nicht nur löscht, sondern mir NS-Gedankengut unterstellt und seine Unterstützer das Gelöschte absichtsvoll und perfid uminterpretieren, finde ich unverfroren", betont der Autor.

Auch die parteipolitische Zuordnung gefalle ihm nicht: "Mir wurde unterstellt, Kampfposter der SPÖ zu sein. Warum glauben die neuen ÖVPler, dass einer, der sie kritisiert, nur SPÖler sein kann? Aber wenigstens war das die einzige Unterstellung, die wirklich nicht ehrenrührig ist. Im Übrigen hätte ich auch die Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße erwähnen können, die ein grünes Projekt war", differenziert Menasse, "ich wollte nicht für eine andere Partei Werbung machen, sondern an die Erfolge der Stadtpolitik Wiens erinnern, mit denen die ÖVP nun mal nichts zu tun hat."

Weltanschaulich gefestigt

Auf frühere durchaus amikale Diskussionen mit dem langjährigen ÖVP-Klubchef Andreas Khol angesprochen, meint Menasse: "Ja, ich habe mit ihm öffentlich diskutiert und ihn respektiert. Weil ich ihn für einen weltanschaulich gefestigten Mann, sehr belesen und gebildet, gehalten habe. Seine Anschauungen mussten ja nicht meine sein, aber sie waren diskutabel, und er hat sie vertreten, ohne auf Umfragen zu schauen. Es kam aber zum Bruch mit Khol, als Wolfgang Schüssel die Regierung mit der FPÖ bildete, mit Khol als Architekten dieser Koalition. Sich als Dritter zum Ersten zu machen mithilfe einer Partei, die Khol zuvor noch außerhalb des Verfassungsbogens sah – das war für mich nicht mehr diskutabel", beschreibt Menasse sein Verhältnis zur früheren ÖVP.

Und zur "neuen ÖVP" meint er: "Blümel wird schon auch irgendeine ideologische Agenda haben, aber die wird verpackt und gut versteckt in Reaktionen auf Meinungsumfragen und durch Message-Control. Wenn er nun versucht, sich bei dem Drittel der Bevölkerung, das empfänglich für Ausländerhass ist, Stimmengewinne zu holen, so ist das politisch gerade für eine Metropole grotesk und gefährlich, natürlich berechnend, aber auch mathematisch sehr schlecht berechnet: Warum sucht er nicht eine Mehrheit bei den anderen 70 Prozent?"

Abschließend zur Causa: "Wenn Blümel mir NS-Gedankengut unterstellt, fordere ich ihn auf, mir das zu beweisen. Sicher beweisbar ist seine Nähe zum FPÖ-Gedankengut." (Colette M. Schmidt, 28.9.2020)