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Besonders bezeichnet für die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses: Die Workshops zum Thema Wohlbefinden sind in der Krise restlos ausgebucht, berichtet der Leiter des Forschungsservice der Uni Wien

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Abschlussarbeiten sind für Studierende Krönung und Bürde zugleich. Einerseits können sie erstmals als Forschende unerschlossenes Terrain erkunden. Andererseits markieren Masterarbeiten meist das Ende der universitären Laufbahn, während Dissertationen das Eintrittsticket in die Wissenschaft sind.

Doch in Zeiten der Pandemie, in denen Uni-Bibliotheken meist geschlossen sind, sich der Zugang zu Laboren nicht so einfach gestaltet, die Betreuung digital stattfindet und das öffentliche Leben eingeschränkt ist, steht die studentische Forschung vor mehreren Hürden. Die Folge: Schwierigkeiten, Daten zu erheben, Betreuer zu finden, Studienverzögerungen oder soziale Isolation.

Workshops fallen flach

Das hat auch Pedram Dersch erlebt. "Eigentlich ist ein Teil meiner Arbeit wertlos geworden", berichtet der 27-Jährige, der Sozioökonomie an der Wirtschaftsuni Wien studiert. In seiner Masterarbeit untersucht er, welche Erwartungen unterschiedliche Gruppen gegenüber dem öffentlichen Raum hegen. Dafür hat er einen Workshop mit Jugendlichen im zehnten Wiener Gemeindebezirk konzipiert – doch dann kam der Lockdown im November. Die Interviews sind ins Wasser gefallen.

"Seit ich im März 2020 mit dem Schreiben angefangen habe, musste ich mich ständig neu arrangieren", sagt Dersch. Dass man derzeit selten in der Bibliothek schreiben oder im Team arbeiten kann, lässt das Forschen zur einsamen Tätigkeit werden: "Man schreibt allein zu Hause, alle paar Monate telefoniert man mit dem Betreuer."

Randgruppen unterm Radar

Besonders betroffen von den Einschränkungen sind Studiengänge, die darauf angewiesen sind, "ins Feld zu gehen", also Interviews zu führen oder Situationen zu beobachten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Etwa die Soziologie: Hannah Quinz dissertiert in Wien und forscht an der Studie "Marienthal reversed": Während die legendäre Marienthal-Studie aus den 1930er-Jahren die sozialen Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit in der niederösterreichischen Gemeinde untersuchte, geht es nun um die Erprobung einer Jobgarantie und deren Auswirkungen. In ihrer Disziplin beobachtet Quinz momentan eine Tendenz, dass verstärkt auf bestehende quantitative Erhebungen zurückgegriffen wird. "Das ist völlig verständlich, aber auch schade", meint sie. Gerade schwer zugängliche soziale Gruppen würden nämlich durch das Fehlen neuer qualitativer Daten aus dem Blick geraten.

Offener am Telefon

Die Forschung via Internet bringt laut Quinz aber auch Vorteile: Jugendliche seien über Social Media einfacher zu erreichen, und in heiklen Gesprächssituationen erzählten Versuchspersonen am Telefon mehr als von Angesicht zu Angesicht.

Quinz kennt als Doktorandin auch die Perspektive der Lehrenden. Eingeschränkte Forschungsmöglichkeiten und der Mehraufwand durch die Onlinelehre führe auch zu Verzögerungen bei der Dissertation: "Karriereverläufe angehender Wissenschafterinnen und Wissenschafter nehmen durch die ungünstige Zeit für Forschung und Publikationen bereits Schaden." Dabei ist gerade die Anzahl der Publikationen entscheidend für die spätere Laufbahn in der Forschung.

Dass der Einstieg in den Arbeitsmarkt für Uniabsolventen gerade nicht einfach ist, merkt auch der Ökonomiestudent Dersch: "Ich schicke jetzt schon parallel Bewerbungen raus, aber es ist echt nichts los." Viele potenzielle Arbeitgeber seien damit beschäftigt, ihre Leute zu halten, befindet er: "Das zieht einen schon runter."

Mastering the Master

Lisa Bock von der Uni Wien begleitet Studierende mit dem Tutorium "Mastering the Master" durch die Masterarbeit. Dort kennt man die aktuellen Widrigkeiten für Jungforscherinnen und -forscher: fehlender Austausch in Seminaren und auf Kongressen, die generelle Übersättigung an Onlinekommunikation, thematische Einschränkungen durch die schwierigen Forschungsbedingungen. Nicht zuletzt sei es aber der im Homeoffice fehlende Ausgleich, der den Schreibprozess noch mühsamer mache, erklärt Bock.

Wie sich die Pandemie in den Absolventenzahlen niederschlägt, lässt sich derzeit noch nicht beantworten, zumal noch keine Daten für den besonders belastenden Winter samt monatelangem Lockdown vorliegen. Im letzten Sommersemester dürfte es aber keinen Einbruch bei den Abschlüssen gegeben haben, wie aus Statistiken des Wissenschaftsministeriums hervorgeht.

Boku bilanziert positiv

Das deckt sich mit den Erfahrungen an der Uni für Bodenkultur (Boku), wie deren Sprecherin Astrid Kleber berichtet: "Bei den Abschlusszahlen und der Durchschnittsdauer von Masterarbeiten hat sich nicht viel verändert." 2020 seien sogar doppelt so viele angemeldet worden wie 2019. Kleber führt das auf die an der Boku entwickelten Corona-Antikörpertests zurück. Das Interesse, zu diesem Thema zu forschen, sei nach deren Entwicklung sprunghaft gestiegen. Zudem verzeichne man mehr Andrang bei den Doktoratsstudien.

Der eingeschränkte Zugang zu Laboren sei nur im ersten Lockdown eine Herausforderung für Forschungsarbeiten gewesen, sagt Kleber. "Viele hatten durch den Ausfall der Labortätigkeit aber durchaus mehr Zeit, ihre bisherigen Ergebnisse detailliert zu analysieren."

Planungsunsicherheit und Warteschleife

Anders war es bei Stefan Sametinger, der für seine Masterarbeit eine Laborstudie in Psychologie begleiten wollte. "Nach einem Jahr Suche hatte ich eine Studie, die im Frühjahr 2020 losgehen sollte. Dann wurde der Beginn aber immer wieder verschoben", sagt Sametinger, der Cognitive Sciences studiert. Noch weiter zuwarten will er nicht. Stattdessen machte er sich in seinem Zweitstudium Kultur- und Sozialanthropologie selbst zum Forschungsobjekt und untersucht die Corona-bedingte Warteschleife und ihre Auswirkung auf den Menschen.

Planungsunsicherheit ist auch für die Soziologin Quinz ein Problem der studentischen Forschung, das durch Corona in den Vordergrund gerückt ist: "Momentan braucht man gefühlt sieben Alternativpläne im Hinterkopf." Außerdem beeinflusse die Pandemie nahezu jedes akademische Projekt. Dieser Elefant im Raum sei immer mitzubedenken, meint die Dissertantin: "Es wird sicher nach der Krise Forschung darüber geben, wie die Forschung mit den aktuellen Herausforderungen umgegangen ist."

Wellbeing ausgebucht

Selbst wenn man ein praktikables Forschungsdesign entworfen hat, reicht das für eine erfolgreiche Umsetzung allein nicht aus. Soziale Isolation und Mangel an Kommunikation mit ihren Peers im Distance-Learning führen "sicher nicht zu einer Steigerung der Produktivität", sagt Lucas Zinner, Leiter des Forschungsservice der Uni Wien. Was dem Experten besonders bezeichnend für die Lage junger Forscher erscheint: Der Workshop zum Thema Wellbeing ist derzeit sehr stark nachgefragt und immer ausgebucht.

Zinner empfiehlt, für den Forschungsalltag Routinen zu entwickeln, etwa feste Arbeitszeiten einzuhalten, Freizeit von Arbeit bewusst zu trennen und den Austausch mit Kollegen und Betreuern regelmäßig zu pflegen. Auch wenn es nur per Bildschirm ist.

Wenn im öffentlichen Raum nichts los und Abstand das höchste Gebot ist, geraten Umfragen ins Abseits. Auch am Schreibtisch läuft nicht alles rund: Der fehlende Austausch face-to-face hemmt bei vielen Studierenden die nötige Inspiration. (David Tiefenthaler, 10.3.2021)