Der VfGH urteilt in einem Erkenntnis, dass die Polizei rechtswidrig gegen Aktivistinnen und Aktivisten vorgegangen ist, die im Festsaal der TU Wien auf schlechte Studienbedingungen aufmerksam machen wollten.

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Mitte Dezember 2019 mobilisiert die Studierendeninitiative "Uns reicht's" zu einer angemeldeten Protestkundgebung im Wiener Resselpark, direkt vor dem Haupteingang der Technischen Universität. Die Aktivistinnen und Aktivisten fordern in ihren Reden eine Erhöhung des Hochschulbudgets, freien Hochschulzugang und mehr Lernräumlichkeiten gegen die Platznot an heimischen Unis. Danach begeben sich rund 80 Personen allerdings nicht nach Hause, sondern in den ersten Stock der TU, wo sie nach einer kurzen Rangelei mit Securitys in den repräsentativen Festsaal eindringen.

Ein Transparent mit dem Slogan "Wiederbrennen für freie Bildung" wird auf dem Balkon ausgerollt, in einem Plenum wird über die politischen Anliegen und die Bedingungen für einen Abzug diskutiert. Währenddessen treffen Polizeibeamte ein – darunter Mitarbeiter des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) – und überwachen die Szenerie. Die Gespräche der Protestierenden mit TU-Rektorin Sabine Seidler, damals frischgebackene Präsidentin der Universitätenkonferenz (Uniko), scheitern. Die Forderung der Initiative, dass umgehend türkis-grüne Koalitionsverhandler – etwa die Grün-Abgeordnete Sigrid Maurer – zu einer hochschulpolitischen Diskussion in den Festsaal geholt werden, erfüllt sich nicht. Seidler versichert aber, sie bemühe sich um einen Termin für Gespräche in nächster Zeit. "Uns reicht's" reicht das nicht: Die Studierenden wollen nicht weichen und kündigen an, über Nacht im Festsaal verharren zu wollen.

Geordnete Verhältnisse

Rektorin Seidler teilt daraufhin der Polizeieinsatzleitung mit, sie dulde die weitere Anwesenheit der Aktivisten nicht und wünsche "geordnete Verhältnisse". Gegen zehn Uhr abends verordnet die Landespolizeidirektion Wien die Räumung des Gebäudes – kundgemacht direkt vor Ort durch mündliches Verlesen am Gang und im Festsaal. Ein Polizeibeamter sagt zu den Anwesenden: "Diese Räumung ist mit unmittelbarer Zwangsgewalt durchzusetzen, sofern der Räumung nicht freiwillig binnen zehn Minuten nachgekommen wird."

TU-Rektorin und Uniko-Chefin Sabine Seidler bat die Polizei um die abendliche Räumung des Festsaals. Eine Übernachtung wollte sie nicht dulden.
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Nada Taha Ali Mohamed, Aktivistin des Verbands Sozialistischer Student_innen (VSStÖ), ist eine von 48 Studierenden, die nicht freiwillig gehen. Sie bleibt demonstrativ auf dem Boden sitzen. Auch sie wird daher von der Polizei zwangsweise entfernt, indem sie aus der Uni getragen wird. Nach einer halben Stunde ist die TU Wien leer.

Der Einsatz hatte allerdings ein langes Nachspiel: Die heute 23-jährige Jusstudentin legte Maßnahmenbeschwerde beim Verwaltungsgericht Wien ein. Ihr zentrales Argument: Die Zusammenkunft sei keine Besetzung im Sinne des Sicherheitspolizeigesetzes (Paragraf 37) gewesen, sondern eine Versammlung. Die Verordnung samt Räumung nach dem Sicherheitspolizeigesetz sei daher rechtswidrig gewesen, sie sei durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden. Die Richterin am Verwaltungsgericht teilte nach einer mündlichen Verhandlung die Bedenken der Studentin und legte die Causa dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) zur Klärung vor.

Gemeinsame Ziele und Aktionen

Der VfGH hat darüber nun in seiner März-Session entschieden, das höchstgerichtliche Erkenntnis liegt dem STANDARD vor. Demnach war das Vorgehen der Polizei gesetzwidrig. Die Einstufung der Aktion als "Besetzung" sieht der VfGH als falsch an. Vielmehr habe es sich um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes gehandelt. Nach der ständigen VfGH-Rechtssprechung sei eine Zusammenkunft als Versammlung zu werten, "wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht". Dieses Kriterium sei im Falle der TU-Proteste erfüllt gewesen, befindet der VfGH.

Das Agieren der Aktivistinnen und Aktivisten im TU-Festsaal spricht laut VfGH für die Einstufung als Versammlung.
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Sowohl die Zielsetzung einer Verbesserung der Studienbedingungen als auch die Aktionsformen – das Hissen von Transparenten, Skandieren von Parolen und Abhalten von Debatten – zeigten, dass eine Versammlung gegeben war. Auch die Tatsache, dass die Aktivisten öffentlich selbst von einer "Besetzung" sprachen, ändere daran nichts.

Versammlung kann Blockade bewirken

Die Polizei darf einer Zusammenkunft mehrerer Personen laut VfGH auch dann nicht den Versammlungscharakter absprechen, "wenn mit der Zusammenkunft auch eine (womöglich sogar beabsichtigte) Blockadewirkung unter Ausnützung der räumlichen Gegebenheiten verbunden ist". Überdies könne die Weigerung, einen Uni-Veranstaltungssaal zu verlassen, "eine spezifische Ausdrucksform beziehungsweise ein Unterstreichen des der Versammlung inhärenten Wirkens und Themas einer Versammlung sein".

Im Ergebnis steht für den VfGH fest: Eine Verordnung zur "Auflösung einer Besetzung" nach dem Sicherheitspolizeigesetz hätte nicht erlassen werden dürfen. Der konkrete Fall von Nada Taha Ali Mohamed geht nun zurück zum Verwaltungsgericht Wien, das die höchtstgerichtliche Klärung erbeten hatte. Durch die Aufhebung der polizeilichen Räumungsverordnung ist ein Urteil zugunsten der beschwerdeführenden VSStÖ-Aktivistin samt Kostenersatz aber nur mehr Formsache. Zum STANDARD sagt sie: "Ich sehe den Wert des Urteils vor allem darin, dass die Polizei politische Versammlungen in Zukunft nicht mehr so einfach auflösen kann und unsere Versammlungsfreiheit nicht leichtfertig einschränken darf." (Theo Anders, 8.4.2021)