Wien – Das gegenseitige Übertrumpfen zwischen Sebastian Kurz (ÖVP) und Wolfgang Mückstein (Grüne) in Sachen nächster Lockerungstermin samt milderer Corona-Regeln qualifizieren Politexperten als völlig deplatziert. Zuletzt preschte der Kanzler mit dem 17. Juni als Datum vor, nach tagelangem Bremsen überholte ihn der Gesundheitsminister via "ZiB 2". Dort rief Mückstein den 10. Juni als möglichen Tag für kulantere Maßnahmen aus und deklinierte diese gleich herunter.

Kanzler Kurz und Gesundheitsminister Mückstein setzten im Zuge ihres Lockerungsstreits auf "speed wins", erklärt Politologe Filzmaier – beim Pandemiemanagement sei das deplatziert.
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Politologe Peter Filzmaier bezeichnet einen solchen Wettlauf in der Pandemie als "schlicht und einfach unpassend". Anders als bei ihrer Krisenkommunikation vor einem Jahr, als die Koalition bemüht war, stets im Kanzleramt, in ähnlicher Formation sowie vor demselben Hintergrund aufzutreten, um für die Bevölkerung Ruhe auszustrahlen, setzten Türkis und Grün nun auf "speed wins" wie in einem Wahlkampf. Doch bei dem Hin und Her im Zuge von Auftritten in Brüssel (Kurz) und in ORF-Studios (Mückstein) gehe in den nach wie vor heiklen Zeiten "der Inhalt" der Botschaften verloren. "Bei den Leuten bleibt nur der Eindruck eines Wettkampfs hängen."

Neo-Minister Mückstein hat für Filzmaier diese Logik zwar anfangs durchschaut, sich letztlich jedoch mit in diese Spirale ziehen lassen – obwohl er als Mediziner mit seinem Drängen auf Bedacht ("keine Luftschösser") längerfristig mit Glaubwürdigkeit hätte punkten können.

Bei Kurz stellt der Experte schon seit längerem den Drang dazu fest, in der Corona-Krise lieber gute als schlechte Nachrichten zu verkünden. Die Vorgaben zum Ost-Lockdown, erinnert Filzmaier, überließ der Kanzler vor allem Mücksteins Vorgänger Rudolf Anschober und den Landeshauptleuten.

Nerven liegen blank

Ähnlich sieht das der Politikberater Thomas Hofer. Auch er hält fest, dass die Performance der Koalition rund um weitere Lockerungen "unprofessionell" sei, und: "Otto Normalverbraucher ist verwirrt."

Obwohl die Koalition mit Impffortschritt und stetig sinkenden Sieben-Tage-Inzidenzen allen Grund gehabt hätte, von der positiven Stimmung zu profitieren, lägen bei ÖVP wie Grünen "die Nerven blank".

Die Kanzlerpartei wollte mit ihrer neuen Agenda für weitere Öffnungen die mögliche Anklage von Kurz wegen Falschaussage im U-Ausschuss vergessen machen, meint Hofer. Bei den Grünen habe sich auch wegen der türkisen Angriffe auf den Rechtsstaat so viel angestaut, dass Mückstein sich wohl auch deswegen zu dem "Hickhack" habe hinreißen lassen. (Nina Weißensteiner, 25.5.2021)