Die Gams gibt es als Ragout auf dem Teller. Die sagenumwobenen Steinböcke der Raxalpe aber staksen gleich hinterm Knappenhof im Wald herum, zumindest für jene, die in der Früh zeitig aus den Federn kommen.

Die Berge tun Max Stiegl gut, derweil aber nur auf Zeit: Den Knappenhof in Reichenau macht er diesen Sommer zur Top-Adresse.
Gerhard Wasserbauer

Das fällt schwer, die Betten sind zu gut im Knappenhof, und auch die Weinkarte kann es plötzlich, seit Max Stiegl das Restaurant des aufwendig frischgemachten Jahrhundertwendehotels aus dem Portfolio von Hans Peter Haselsteiner überhat. Die Speisezimmer und die hübsche neue Bar in Rot und Gold haben kräftige, mit Raffinement ausgesuchte Farben und Stoffe verpasst bekommen. Plötzlich wirkt das alte Haus mit der prachtvollen Aussicht gar nicht mehr altbacken.

Stiegl, der die Lockdowns ganz offensichtlich zur Multiplikation seiner Interessen zu nutzen gewusst hat und neben etlichen Auftritten im deutschen Fernsehen, mehreren Kochbüchern, einem eigenen Podcast, der Produktion einer allseits gelobten Edition von Fertiggerichten und, natürlich, dem stetigen Polieren des Rufs der Stiegl’schen Kernzelle in Gut Purbach wie nebenbei zum Gault-Millau-Koch des Jahres gekürt wurde, weiß offenbar auch, was man in den Bergen essen will.

Dabei kommt er selbst aus Piran, lebt am Neusiedler See und versteht sich dementsprechend nicht so ganz als Mann der Berge. Man kann ihn sich tatsächlich kaum in gebirgsbunter Multifunktionskleidung vorstellen – mit Gamshut und Lodenjanker ebenso wenig. Aber das Ragout von der Gams macht ihm trotzdem niemand so bald nach.

Was schon auch daran liegen könnte, dass Stiegl das mineralisch dicht gepackte Fleisch der Bergziege eben nicht als Leinwand für alpinen Rustikalkitsch in Preiselbeerrot und Semmelknödelgelb versteht, sondern sich, wenn überhaupt, eher in der Tradition des Fin-de-Siècle-Alpinisten sieht, der seine Weltläufigkeit ja auch nicht beim Taleingang abgegeben hat, um nur ja fix zum alpindodeligen Bergfex zu mutieren.

Gerhard Wasserbauer

Dementsprechend bekommt die Gams Raz el Hanout und auch ein wenig Sternanis ab, bevor sie, zu löffelweicher Finesse geschmort, mit pikantem Couscous und ein paar Wurzeln aufgetragen wird. Das schmeckt fantastisch und mit einem Schluck Blaufränkisch Jagini 2013 von Roland Velich und Hannes Schuster gleich noch einmal so gut. Kaspressknödelsuppe gibt es auch, man will sich dem Berg ja nicht verschließen, und eine mit knusprigen Knödeln samt schulmäßig davongelaufenem Surakäs von Käse-Großmeister Stephan Gruber noch dazu. Miachtelt wie eine ganze Alm voll rabiat gewordener Mutterkühe, also sehr gut.

Hier Knödel sein!

Einmachsuppe vom Kapaun mit Leberbröselknödel ist dann überhaupt der Gipfel, eine Suppe von erschütternd molliger Perfektion, man möchte der Knödel sein, der darin baden darf. So geht es dahin, gehacktes Tartare vom Rax-Reh und Gulasch vom ebensolchen Eierschwammerl, Rostbraten von der alten Kuh und Coq au Vin in buttriger Burgunderessenz – echtes Kraftlackelessen für kultivierte Wandersleute. Die Preise überraschen aufs Erste mit schweizerisch anmutendem Zug zur Spitze. Das scheint der übergroßen Terrasse des Knappenhofs geschuldet zu sein, die zwar für Autobusladungen voller Parkplatzspaziergänger konzipiert wirkt, aber nicht für solche gedacht ist. Wer sich für eines der Menüs (mit freier Speisenwahl!) entscheidet, fährt ganz entscheidend preiswerter. Vor allem, wenn man sich die göttlich mürben Erdäpfelknödel mit Mohn- und weißer Schokofüllung nicht entgehen lässt, die ganz ohne Brösel auf herbes, lauwarmes Marillenkompott gebettet werden. Danach kann man ganz gemütlich talwärts rollen und ist wirklich gut gepolstert. (Severin Corti, 30.07.2021)

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