Die "Vorstadtweiber" (v. li.: Maria Köstinger, Nina Proll, Ines Honsel) gehören zum Lieblingsprogramm des künftigen ORF-Generals Roland Weißmann.

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"Vorstadtweiber"-Regisseur Harald Sicheritz beschreibt einen ORF, so wie er ihn als ideal erachtet.

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Für Gerhard Bacher war es das Traummännlein*, Alexander Wrabetz mag Opern, Roland Weißmann schaut unter anderem mit Vergnügen Vorstadtweiber. Gefragt nach seinem Lieblingsunterhaltungsprogramm, führt der zukünftige ORF-Generaldirektor in Interviews als Beispiel den Serienhit mit Maria Köstinger, Nina Proll und Ines Honsel an. Harald Sicheritz führt dort zu fünfzig Prozent Regie. Einige der erfolgreichsten Filme und Serien im ORF hat ebenfalls er inszeniert, etwa Folgen von Kaisermühlen Blues, MA 2412, Vier Frauen und ein Todesfall sowie von Tatort und Landkrimi.

Wie sieht für einen verlässlichen Erfolgslieferanten der ideale ORF aus? DER STANDARD lädt Expertinnen und Experten, Könnerinnen und Könner ein, ihre Ideen für einen solchen ORF zur Diskussion zu stellen.

"Unter Expertinnen und Experten kristallisiert sich die Ansicht heraus, dass Rundfunkanstalten ihrem nationalen Charakter entsprechend darin auch ihre inhaltliche Aufgabe definiert hätten", sagt Sicheritz und stimmt dem zu.

Demokratische Kräfte

"Gerade als eine kleine, nationale Institution müsste sich ein idealer ORF im Staatenverbund der EU der Abbildung der soziokulturellen Identität des Landes und seiner Regionen widmen. Global organisierte Streamingplattformen werden das nicht tun", führt Sicheritz weiter aus. "Ein derart ausgerichteter ORF würde auch die demokratisch progressiven Kräfte massiv darin unterstützen, elementar wichtige Grundthemen wie zum Beispiel ,Heimat‘ mit Inhalten zu füllen und sie nicht in der Geiselhaft des Rechtspopulismus verkommen zu lassen."

Auf welche Qualität müsste der ideale ORF besonders achten? "The truth is a new minority", antwortet Sicheritz mit einem Zitat des Popmusikers Prince, und das sage für ihn "in aller Größe, was in pandemischen und wohl auch postpandemischen Zeiten am meisten Verteidigung und Schutz braucht." Sachlichkeit in der Berichterstattung sei dabei ein primäres Kriterium: "Viel eher als die zweifelhafte Worthülse ,Objektivität‘. Der ideale ORF beweist täglich, dass es keine alternativen Fakten gibt. Er bietet den Menschen ein scharfes Werkzeug zur Entlarvung von Fake-News – die bekommen sie rundum ohnehin en masse."

"Sinnstiftende Koexistenz von heimischem Arthouse und Mainstream"

Die ideale ORF-Zentrale stellt sich Sicheritz "als Sendezentrale einer veritablen Kulturnation" vor, "die sich schämen würde, zwischen Hochkultur und Kleinkunst wertend zu unterscheiden. Der ideale ORF produziert, allein oder als Beteiligter, programmflächendeckend österreichische Filme und Serien. Er sucht dabei keinen gemeinsamen Nenner, sondern setzt auf die sinnstiftende Koexistenz von heimischem Arthouse und Mainstream."

Und welche Angebote braucht er womöglich nicht? Neben der bereits erwähnten Wühlkiste für Serienverwertung kann der studierte Kommunikationswissenschafter und Regisseur des noch immer erfolgreichsten österreichischen Kinofilms – Hinterholz 8 – ebenso gerne auf "wahllos im Franchise wiedergekäute internationale Showformate" verzichten. Beim Sport bleibe dem ORF "ohnehin jetzt schon nichts anderes mehr übrig, als sich auf spezielle Events mit starkem Österreich-Bezug zu beschränken".

Klare Vorstellungen vom idealen ORF hat der 63-Jährige auch, was die Unabhängigkeit des Unternehmens, des Angebots und insbesondere seiner Berichterstattung betrifft: "Es beginnt damit, dass das Prinzip der geheimen Wahl auch wieder in den leitungsbestimmenden Gremien des ORF eingeführt werden muss. Wenn der ORF – wie für mich – eine Anstalt des öffentlichen Rechts und Österreich eine liberale Demokratie sein muss, kann seine Kontrolle nur über demokratisch besetzte Gremien erfolgen – in aller gebotenen Transparenz, die ihrerseits von unabhängigen Qualitätsmedien überwacht wird."

Warlords in Landesstudios

Ein weiterer Garant für die Unabhängigkeit des ORF ist für Sicheritz "paradoxer-, aber sinnfälligerweise der teure Föderalismus, den sich der ORF mit seinen Landesstudios leistet. Nicht zuletzt deshalb, weil sich die Warladys und Warlords der Länder vom Bund bekanntlich kaum zähmen lassen."

Und wie sollte dieser ORF kontrolliert werden und wie sollte seine Führung bestellt werden? Sicheritz: "Ich denke, dass zuletzt in der Diskussion über den ORF die Bedeutung des Begriffs 'Unabhängigkeit' für eine solche Institutionen überschätzt respektive falsch bewertet wurde. Es liegt in der Natur einer öffentlich-rechtlichen Anstalt – zu der ich den ORF wieder machen würde –, dass die Politik auf die Bestellung von Führungskräften Einfluss nimmt. Neu war diesmal nur die deutliche ÖVP-Mehrheit im Stiftungsrat. Man kann nicht einmal sagen, dass die Bestellung des neuen Generaldirektors intransparent gewesen wäre. Intransparent ist viel eher die Beschickung der Entscheidungsgremien. Diese gehören radikal neu konzipiert."

"Massiv korrigierende Eingriffe"

Was die Führungsstruktur betrifft, so hat Sicheritz auch dazu konkrete Ideen für den idealen ORF: "Man müsste massiv korrigierende Eingriffe in den verkrusteten und verknorpelten Körper des ORF machen und die schmerzenden, gesundheitsgefährdenden Reste schlampig durchgeführter Strukturoperationen der Vergangenheit entfernen. Für weiße Elefantinnen und Elefanten und sinnfreie Mehrfachbesetzungen darf kein Platz mehr sein." (Doris Priesching, 17.8.2021)