Zum Terroranschlag in Wien werden immer weitere Details bekannt.

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Die Ermittlungen nach dem tödlichen Terroranschlag in der Wiener Innenstadt von Anfang November 2020 haben zur ersten Anklage gegen einen Beschuldigten geführt. Die Staatsanwaltschaft Wien will gegen den 25-jährigen Tschetschenen Ali K. prozessieren, der sich seit der Tatnacht in Untersuchungshaft befindet. Ihm wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, es gilt die Unschuldsvermutung.

In ihrer Anklageschrift berichtet die Staatsanwaltschaft von Treffen mehrerer IS-Anhänger, die "zumindest" ab dem Sommer 2019 stattgefunden hätten. Diese hätten den Teilnehmern dazu gedient, "ihre radikalislamistische IS-Gesinnung und Überzeugung" zu teilen und zu bekräftigen sowie andere Anwesende zu beeinflussen und zu radikalisieren. An diesen konspirativen Treffen soll der Attentäter des 2. November 2020, K. F., mindestens zweimal teilgenommen hatten. Er wurde in der Tatnacht von der Polizei erschossen.

Über die Tötung von Zauberern

Ab Juli 2020 soll ein weiterer Beschuldigter namens A. G. für diese Zusammenkünfte sogar eine Wohnung in der St. Pöltner Birkengasse gemietet haben. Dort wurde bei einer Hausdurchsuchung nach der Terrornacht "eine umfangreiche Bibliothek" gefunden, deren Inhalte eine "staats- und demokratiefeindliche Gesinnung widerspiegeln". Der Angeklagte Ali K. war mit dem Wohnungsmieter eng verbunden, er besaß außerdem einen der insgesamt drei Wohnungsschlüssel und parkte "dauerhaft" sein Auto vor der Immobilie.

Der Wohnungsmieter gilt als Schlüsselfigur zumindest in der niederösterreichischen IS-Szene. Er war schon seit Jahren auf dem Radar heimischer Behörden, die bereits rechtlich gegen ihn vorgehen wollten – unter anderem wegen einer geplanten Gruppenausreise ins IS-Gebiet nach Syrien. In einem einschlägigen Prozess wurde er allerdings freigesprochen.

In der angemieteten Wohnung soll A. G. samstags Arabischunterricht gegeben haben, sonntags dann für einen kleinen Personenkreis "Koranunterricht". Auch externe Vorträge gab es, etwa zum Thema "Bedeutung der Zauberei im Islam und unter welchen Voraussetzungen ein Zauberer bzw. Magier getötet werden darf unter Berufung auf einige Imame". Der spätere Attentäter K. F. nahm eine Woche vor seinem Anschlag an einem solchen "Sonntagstreffen" teil.

Aussage großteils verweigert

Der nun angeklagte Ali K. gab an, bis zu zehnmal in dieser Wohnung gewesen zu sein, aber nur zum Beten und Essen. Dem widersprechen laut Staatsanwaltschaft andere Zeugen. Außerdem soll der Angeklagte im Zeitraum von 2015 bis zur Terrornacht mehrfach IS-Propaganda in Gruppenchats auf Whatsapp geteilt haben. Noch am Tag des Anschlags schickte er einem Freund ein Video mit folgendem Text: "Es ist traurig, dass viele Menschen Muslimen nicht vertrauen. Und die Medien über Muslime immer schlecht berichten. Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber ich schon." Ali K. wurde in den Stunden nach dem Anschlag als Kontaktperson von K. F. identifiziert und verhaftet; er verweigerte großteils die Aussage.

Die Ermittlungsergebnisse werfen erneut Fragen nach möglichen Behördenpannen auf. An den klandestinen Treffen in St. Pölten nahmen offenbar bereits verurteilte oder amtsbekannte Jihadisten teil, die sich gegenseitig in ihrer Radikalisierung bestärkten. Dies fiel aber offenbar den Verfassungsschutzbehörden nicht auf.

Verfahren verzögert sich

Die Frist für einen Einspruch endete am Donnerstag. Der Anwalt von Ali K., Nikolaus Rast, wird allerdings keinen Einspruch erheben. Denn aufgrund von Unklarheiten, welches Gericht für den Fall zuständig ist, wird der Prozess sich ohnehin verzögern. Laut Rast ist unklar, wo der erste Tatort war, und damit, ob das Gericht in Wien oder in St. Pölten zuständig ist.

Das Oberlandesgericht Wien, das diese Entscheidung nun treffen muss, bestätigt dem STANDARD, dass aktuell eine Zuständigkeitsfrage und auch eine Haftbeschwerde aufliegen. Vom Landesgericht St. Pölten heißt es dazu: Nachdem es auch um Treffen an anderen Orten gehe, sei der zuständige Richter zur Entscheidung gekommen, das jenes Landesgericht zuständig ist, wo auch die ermittelnde Behörde sitzt. Dass bei Prozessen Fragestellungen wie diese auftreten, ist aber nicht weiter ungewöhnlich.

Rast betont allerdings auch: "Die Anklage hat nichts mit dem Anschlag direkt zu tun – mein Mandant kannte den Täter flüchtig." Abgesehen von diesem Verfahren läuft noch ein separates Ermittlungsverfahren rund um den Terroranschlag – dieses ist noch nicht abgeschlossen.*

Ebenfalls aufgeschlagen ist Ali K. bei dem mehrere Tage andauernden Treffen von deutschen, schweizerischen und einheimischen Islamisten im Juli 2020 in Wien, das von den Behörden auf Wunsch der deutschen Kollegen observiert wurde und an dem auch der spätere Attentäter K. F. teilgenommen hat. Auch der Beschuldigte A. G. wurde bei diesem Treffen beobachtet, er holte die damalige Zielperson vom Flughafen ab. Für alle genannten Personen gilt die Unschuldsvermutung. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, Fabian Schmid, 19.8.2021)