Serena Williams wurde immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert.

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Zu wütend. Zu muskulös. Zu schwarz. Wenn Serena Williams einen Ball quer über einen Tenniscourt drischt, kämpft sie nicht nur gegen ihre Gegner*innen. Sie überlegt sich nicht nur Strategien, um eine starke Rückhand zu kontern. Williams muss auch immer mitdenken, wie sie dem Hass entgegentreten kann, der ihr entgegenschlägt. Williams Vergehen in den Augen ihrer Kritiker*innen: Sie ist zu vieles gleichzeitig.

Zu nahe dran am Ghetto dürfte sie etwa einigen sein. Williams hat ihre Tenniskarriere in einer der gefährlichsten Gegenden der USA begonnen: in Compton. Sie kennen die Ortschaft nahe Los Angeles vielleicht als Schauplatz vieler Bandenkriege, steigender Mordzahlen oder aus Songs der Hip-Hop-Crew N.W.A. Williams Vater Richard trainierte auf Comptons Tennisplätzen Serena und ihre ältere Schwester Venus.

Rassistische Beleidigungen

Anderen ist Williams zu erfolgreich. Dieser Artikel ist zu kurz, um all ihre Erfolge und Rekorde zu sammeln. Deshalb nur die wichtigsten: Williams hat 23 Grand-Slam-Turniere gewonnen, vier davon hintereinander. Das ist vor ihr nur Steffi Graf und Margaret Court gelungen. Dazu kommen noch 14-Grand-Slam-Turniergewinne im Doppel und zwei in Mixed-Bewerben. Neben so viel Erfolg vergisst man fast, dass in Williams Zuhause noch vier Goldmedaillen liegen. Und als hätte sich Williams gedacht "Wie kann ich das noch schwerer machen?", gewann sie 2017 die Australian Open, während sie schon mit ihrer Tochter Olympia schwanger war.

Venus und Serena Williams begannen ihre Tenniskarriere in Compton.
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Egal wie hoch sie gewann, egal wie groß das Preisgeld, egal wie spektakulär die Matches: Williams blieb vielen in der Tenniswelt zu schwarz. Und das bekam sie immer wieder zu spüren, etwa in Indian Wells. 2001 haben über 15.000 Menschen im Publikum die damals 19-Jährige ausgebuht und jeden ihrer Fehler bejubelt, weil sie glaubten, dass die Williams-Schwester betrügen würde. Während Serena Williams trotz der Schikane das Match gewann, wurden ihr Vater und Schwester Venus im Publikum rassistisch beleidigt. "Ein Typ sagte: 'Ich wünschte es wäre 1975, wir würden euch lebendig häuten'", erzählte Richard Williams später über den Tag.

"Angry Black Woman"

Der Rassismus mischte sich bald mit Sexismus. Williams wurde immer wieder in die Rolle der "Angry Black Woman" gedrängt. Kritiker*innen warfen ihr so vor, gleichzeitig zu maskulin und zu feminin zu sein. Ihre Muskeln machen Williams zu männlich – so der Vorwurf an die Spitzensportlerin. Der Präsident der russischen Tennisföderation nannte Venus und Serena im Jahr 2014 etwa "die Williams-Brüder". Ein Sportkommentator meinte 2001, dass Williams lieber für "National Geographic" als für den "Playboy" posieren solle. Auf sozialen Medien wird sie immer wieder mit Gorillas verglichen.

Dieses rassistische Narrativ bediente sogar eine Konkurrentin. Maria Scharapowa schrieb in ihrer Biografie über Begegnungen mit Williams, dass sie sich bedroht gefühlt habe. "Sie hat dicke Arme und dicke Beine und ist so furchteinflößend und stark. Und groß, wirklich groß", schreibt Scharapowa und bezeichnet sich dagegen selbst als "dünne Kleine". Dass Williams mit 1,75 Metern Körpergröße deutlich kleiner ist als die 1,88 Meter große Scharapowa, kommt im Buch nicht vor. Es würde ja auch sonst das Klischee nicht mehr stimmen: hier die zerbrechliche, feminine Weiße, dort die bedrohliche, maskuline Schwarze.

Eklat bei Grand-Slam-Finale

Während die einen einer erfolgreichen Sportlerin ihre Muskeln vorwerfen, stört die anderen, dass Williams zu feminin ist. Ihre Brüste seien so groß. Zu groß, um erfolgreich Tennis spielen zu können, sagte ein Kommentator im Jahr 2006. Ein anderer monierte hingegen, dass ihr Hintern zu voluminös sei. Ein Satiremagazin schrieb einmal, dass nicht Williams, sondern ihr Hintern ein Match gewonnen habe.

Serena Williams sprach Naomi Osaka nach dem umstrittenen Spielaus Mut zu.
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All diese Dinge, die "zu viel" an Williams waren, kochten 2018, gewürzt mit einer Prise "Sie ist zu wütend", hoch. Da trat Williams im Finale der US Open gegen Naomi Osaka an. Der Schiedsrichter des Spiels verwarnte Williams dreimal während des Matches. Einmal, weil ihr Trainer sie von der Tribüne gecoacht habe. Ein zweites Mal erhielt Williams eine Verwarnung, weil sie ihren Schläger zertrümmerte. Ein drittes Mal verwarnte der Schiedsrichter die Spielerin, weil sie ihn einen Lügner und Dieb genannt hatte, der ihr Punkte gestohlen habe. Die Strafe für den dritten Verstoß war der Verlust des Spiels für Williams. Außerdem musste sie rund 17.000 Dollar bezahlen.

Doppelte Standards

Doch nach dem Ende des Spiels ging die Diskussion erst richtig los. Nach dem Match nannte sie die Entscheidung des Schiedsrichters sexistisch. "Er hat noch nie einem Mann ein Spiel genommen, weil er 'Dieb'" gesagt hat", sagte Williams. Billie Jean King, Tennisspielerin und Pionierin des Frauentennis, unterstützte Williams: "Wenn eine Frau emotional ist, ist sie 'hysterisch' und wird dafür bestraft. Wenn ein Mann dasselbe tut, ist er offen, und es gibt keine Auswirkungen."

Wie auch immer man zu Williams' Gefühlsausbruch auf dem Platz steht: King hat recht. Ausbrüche von Männern sind weniger harsch geahndet worden. 1991 beschimpfte Tennisspieler Jimmy Connors den Schiedsrichter während eines Matches mehrmals. Eine der Beleidigungen an den Unparteiischen war, dass er eine "abortion" sei. Konsequenzen gab es dafür keine. Im selben Jahr nannte Andre Agassi einen Schiedsrichter "son of a bitch" und bespuckte ihn. Er zahlte dafür 3.000 Dollar Strafe. Andy Murray kickte 2016 einen Ball in Richtung eines Schiedsrichterkopfes. Konsequenz dafür: ABC News aus Australien lobte seine fußballerischen Fähigkeiten.

Aber nicht nur die Schiedsrichter, auch die Medien gingen mit Williams' Ausbruch anders um als etwa mit einem vergleichbaren Vorfall rund um Novak Đoković. Als er 2020 in einem Wutanfall eine Linienrichterin mit einem Ball am Hals traf, wurde Đoković disqualifiziert. Für die meisten Medien ein klarer Fall von Pech für den Tennisspieler – kein Beweis für ein Ausrasten eines Sportlers.

Vor allem wütend und schwarz

In der Debatte über Williams' Wutausbruch war von Pech weniger zu lesen als von Narrativen einer wütenden schwarzen Frau. Bilder einer finster dreinblickenden und gestikulierenden Williams gingen um die Welt. Eine australische Zeitung veröffentlichte eine Karikatur. Sie zeigt Serena Williams auf einem zerbrochenen Schläger springend. Ihre Haare sind kraus, ihre Lippen surreal dick gezeichnet, ihre Nase verbreitert. Ihre Kontrahentin im Hintergrund wird als schlanke, blonde Spielerin dargestellt. Der Schiedsrichter in der Karikatur fragt: "Können Sie sie einfach gewinnen lassen?" Dass die Williams-Zeichnung eine schwarze Frau stereotyp darstellt? Dass Osaka selbst Tochter einer japanischen Mutter und eines haitianischen Vaters ist und nicht dem Bild einer zierlichen Blondine entspricht? All das hatte in der Zeichnung nicht Platz. Die Botschaft ist dafür umso klarer: Serena Williams ist vor allem wütend und schwarz.

Williams hat diesen Vorfall wie alle vorherigen überstanden: Sie hat einfach weitergemacht. Weiter trainiert, weiter gespielt, weiter gewonnen, weiter verloren. Wer daraus eine inspirierende "Man muss nur an sich glauben und sich wirklich anstrengen, dann klappt es schon mit dem Erfolg"-Geschichte machen will, sollte Williams aber nicht nur beim Spielen zusehen, sondern ihr auch hin und wieder zuhören.

Als Osaka nach der umstrittenen Schiedsrichterentscheidung 2018 bei der Preisverleihung ausgebuht wurde, verteidigte Williams ihre junge Kontrahentin. Als US-Fußballerinnen faire Bezahlung forderten, drückte Williams ihre Unterstützung aus. Als Turnerin Simone Biles sich für ihre mentale Gesundheit von den Olympischen Spielen zurückzog, sprach ihr Williams Mut zu.

Darin versteckt sich tatsächlich Inspiration: So hart der Kampf auch ist, es lohnt sich, zueinander weich zu sein. Wer in Williams nur eine wütende schwarze Sportlerin sieht, übersieht das. (Ana Grujić, 1.10.2021)