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Am 12. und am 14. Oktober ging das Personal der Wiener Kindergärten auf die Straße, um für bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren. Die Liste der Missstände ist lang, die Wertschätzung für die Elementarpädagogik sei immer noch zu gering, kritisieren Betroffene und Gewerkschaft. Karin Samer, Betriebsratsvorsitzende der Kinderfreunde Wien, ist eine der zentralen Organisator*innen der Protestmaßnahmen.

STANDARD: "Es reicht!", war auf vielen Schildern der protestierenden Elementarpädagog*innen und Assistent*innen zu lesen. Was muss sich denn ändern in den Kindergärten?

Samer: Den Elementarpädagog*innen reicht es in vielerlei Hinsicht. Seit über zwanzig Jahren reden wir darüber, dass die Kinderanzahl in allen Altersgruppen viel zu hoch ist und verringert gehört. Und seit zwanzig Jahren kritisieren wir, dass die zugehörigen Personalschlüssel, also wie viele Personen gleichzeitig in einer Gruppe stehen, immer noch nicht verbessert wurde. Das braucht es aber, um individuelle Bildungs- und Beziehungsarbeit mit jedem Kind leisten zu können. Außerdem braucht es ganz dringend ein einheitliches Gehaltsschema, ein Bundesrahmengesetz, das für alle Bundesländer die Arbeitsbedingungen regelt. Es ist nicht einzusehen, dass wir in neun Bundesländern neunmal verschiedene Bedingungen und verschiedene Entlohnungssysteme vorfinden – obwohl die Pädagog*innen und Assistent*innen die gleiche Arbeit leisten.

STANDARD: Welche Konsequenzen hat das in der Praxis, wenn eine Kindergartengruppe bis zu 25 Kinder umfasst?

Karin Samer ist Betriebsratsvorsitzende der Kinderfreunde Wien und Elementarpädagogin.
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Samer: Für eine Gruppe von drei- bis sechsjährigen Kindern haben wir eine Vollzeitfachkraft und in Wien noch eine Assistentin für zwanzig Stunden – da ist es enorm schwierig, acht Stunden lang allen Kindern gerecht zu werden. Ein Kind braucht vielleicht Unterstützung beim Toilettengang, zwei andere brauchen dich als Begleitung, um einen Streit zu schlichten, andere wiederum benötigen Begleitung, um in ein Spiel zu finden. Das kann eine Person allein nicht leisten, das geht einfach nicht. In Wien sind die Assistent*innen mit zwanzig zugeschaltet, Stadtrat Wiederkehr (Christoph, Neos, Anm.) hat jetzt angekündigt, diesen Stundensatz für die Drei- bis Sechsjährigen auf vierzig Stunden anzuheben. Das ist gut so, aber das kann nicht alles gewesen sein. Bei den unter Dreijährigen haben wir zum Beispiel eine Gruppengröße von 15 – wer zu Hause Zwillinge hat, weiß, dass es da schon schwierig wird. Auch hier gehört also massiv aufgestockt, denn eigentlich ist es das Recht eines Kindes, dass wir es dort abholen, wo es gerade ist, und es dabei unterstützen, sich bestmöglich zu entwickeln. Die Kolleg*innen in allen Altersgruppen stoßen aber an ihre Leistungsgrenzen, deshalb können wir nur sagen: Es reicht!

STANDARD: In der Pandemie stehen sogenannte Systemerhalter*innen im Scheinwerferlicht wie selten zuvor. Spüren Sie Rückhalt in der Bevölkerung für Ihre Forderungen?

Samer: Wir hören von Kolleg*innen, dass es eine breite Unterstützung der Eltern gibt, aber es gab auch positive Reaktionen in der Straßenbahn, als wir mit unseren Schildern zur Protestveranstaltung unterwegs waren. "Ihr habt recht, ihr müsst für eure Rechte einstehen, damit sich endlich was bewegt", hieß es da oft. Die Pandemie hat aufgrund von Erkrankungen die Personalsituation noch einmal massiv verschärft. Urlaubs- und Krankenstandsvertretungen gibt es schon seit Jahren nicht mehr, das muss alles mit Überstunden und einer permanenten Umstrukturierung der Dienstpläne passieren. Insofern hat die Pandemie gezeigt, wie dringlich unsere schon alten Forderungen sind.

STANDARD: In der Elementarpädagogik arbeiten fast ausschließlich Frauen, die Gehälter sind niedrig. Was bräuchte es, um dem Beruf die nötige Anerkennung zu verschaffen?

Samer: Für die nötige Anerkennung braucht es eben all die genannten Rahmenbedingungen, damit die Kolleg*innen als Pädagog*innen, als Leitung, als Assistent*innen, als Hortner*innen qualitätsvoll arbeiten können. Das Wichtigste, was Eltern haben, vertrauen sie uns täglich an, ohne unsere Arbeit könnten sie oft gar keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Natürlich ist auch die Entlohnung Wertschätzung. Es trifft ja nicht nur die Elementarpädagogik, alle Berufe im Feld der Care-Arbeit sind in der Regel unterbezahlt, die Arbeitsbedingungen schlecht – wie etwa in der Pflege. Dort arbeiten überwiegend Frauen, die auch zu Hause noch immer einen großen Teil der Care-Arbeit erledigen. Privat hören wir immer noch Sätze wie "Gehst du in den Kindergarten ein bisschen spielen?". Da sage ich immer: Elementarpädagogische Einrichtungen sind die Universität unserer Kinder, Spielen ist ihr Lernfeld. Die ersten sieben Lebensjahre sind ganz entscheidend. Wenn wir hier etwas verpassen, ist das nur schwer aufzuholen. In unserem Berufsfeld hat sich da sehr viel gewandelt, auch bei vielen Eltern, aber in der Politik ist das leider noch nicht angekommen. Es ist schon bemerkenswert, dass wir in der Pandemie praktisch gar nicht erwähnt wurden. Da kann ich nur wiederholen: Es reicht. (Brigitte Theißl, 21.10.2021)