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Wenn der Abbruchbagger anrollt, ist es zu spät für Urban Mining. Die Planung muss vorher stattfinden.

Foto: Arne Dedert/dpa/APA

Wenn Peter Kneidinger von den Materialnomaden unterwegs ist, kommen ihm die Ideen: "Ich gehe durch die Stadt und sehe ein riesengroßes Bauteillager, aus dem ich mir alles zusammenbauen kann", erzählt er. In dieser Denkweise werden aus alten Fensterrahmen Griffe, aus Glasscheiben Trennwände, aus Türen Kästen.

So funktioniert "Urban Mining", dem sich Unternehmen wie die Materialnomaden oder das Baukarussell verschrieben haben; und auch der eine oder andere findige Bauherr, der Stiegengeländer, Dämmmaterial und Laminatböden auf Plattformen wie Willhaben verhökert. Das Prinzip des Urban Minings: Bei Abbruchhäusern oder Sanierungen sollen möglichst viele Rohstoffe und Materialien erhalten und einer neuen Nutzung zugeführt werden.

Kreative Ideen

Bei den Materialnomaden wird auch an kreativen Recycling-Ideen getüftelt. Aus der Verkleidung eines Beichtstuhls einer Kapelle wird für ein Hotel aktuell eine hippe Wandverkleidung; aus Stahlbetonelementen andernorts Sitzbänke, aus einem Edelstahlgeländer Fahrradbügel.

Das klingt kreativ, ist aber ein logistischer Aufwand. Ein häufiges Problem: Oft melden sich die Eigentümerinnen und Eigentümer erst, wenn der Abbruchbagger schon vor der Tür steht. Das ist zu spät, denn die Erstellung eines Bauteilkatalogs, in dem all das erfasst wird, was wertvoll ist, dauert. Der Idealfall, weil die nachhaltigste Variante, ist laut Kneidinger, wenn das Gebäude in seiner Struktur bestehen bleibt und Elemente des Altbaus neu eingebaut werden.

Eine Rosinenliste

Diese Elemente werden gemeinsam mit dem Gebäudebesitzer in einer sogenannten "Rosinenliste" zusammengefasst. Was an Ort und Stelle nicht gebraucht wird, wird online gestellt und kann von Interessentinnen und Interessenten im Bestandsgebäude abgeholt werden. Aus manchem entstehen auch neue Produkte. So befindet sich ein "Re-Parkett" in Entwicklung, für das altes Parkett rückgebaut, auf Maß gebracht und neu beschichtet wird – auf Wunsch mit Erhalt der Patina.

Früher war das Nutzen von Altem normal. Aber irgendwann in den 1970er- oder 1980er-Jahren habe die Wertschätzung gegenüber Materialien abgenommen, sagt Kneidinger: "Man dachte, alles sei unendlich vorhanden." Ein Trugschluss: "Nun hat man zu verstehen begonnen, dass Ressourcen endlich sind."

Doch der Weg ist noch weit. Damit Urban Mining besser funktioniert, braucht es laut Kneidinger eine Veränderung der Prozesse. Der Architekt, der mittels Ausschreibung gefunden wird, hat oft keine Ahnung, was auf der brachen Fläche einmal gestanden ist – und welche Materialien man für den Neubau hätte verwenden können.

Kloschüsseln? Schwierig

Es brauche auch ökonomische Anreize, die Hauseigentümern vor Augen führen, dass das alte Material kein Müll, sondern Ressource ist. Auch Haftungsfragen seien beim Einbau von altem Material Thema.

Letztendlich lässt sich aber nicht allem neues Leben einhauchen. Bei gebrauchten Kloschüsseln hört sich bei vielen der Nachhaltigkeitsgedanke trotz industrieller Reinigung auf, sagt Kneidinger: "Da gibt es offenbar eine Hemmschwelle." (Franziska Zoidl, 24.10.2021)