Innenminister Karl Nehammer dürfte künftig eine Doppelrolle spielen: ÖVP-Chef und Kanzler.

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Wien – Wenn jemand die vielbemühte Zuschreibung eines Parteisoldaten erfüllt, dann ist es Karl Nehammer. Und das nicht nur, weil er tatsächlich Soldat ist: Nach dem Grundwehrdienst verpflichtete sich der Niederösterreicher weiter beim Bundesheer, ließ sich dort zum Infanterie- und Informationsoffizier ausbilden. Nehammer ist aber auch ein Parteisoldat im klassischen Sinne: Der Mann, der nun Kanzler werden soll, wich nie von der türkisen Linie ab und tat immer, was von ihm verlangt wurde.

Das lernt man in der niederösterreichischen Volkspartei, wo Nehammer politisch sozialisiert wurde: Jeder spielt seine Rolle. Aufsteigen darf, wer parteikonform agiert. Wer ausschert, wird bestraft. So behält man einen Apparat unter Kontrolle.

Anfänge als Rhetoriktrainer

Schon in seiner Karriere als Rhetorik- und Kommunikationstrainer arbeitete Nehammer für schwarz geführte Ministerien und ÖVP-Organisationen. Ab 2007 übernahm er Jobs in der Bundespartei, 2016 sollte er den Präsidentschaftswahlkampf von Andreas Khol retten (was ihm nicht gelang). Als Sebastian Kurz 2017 die Macht in der Volkspartei übernahm, konnte Nehammer schnell dessen Vertrauen gewinnen.

Das war die Grundlage für eine steile Karriere, wie sie mehrere Kurz-Treue vorweisen können: Nehammer avancierte vom Nationalratsabgeordneten zum Generalsekretär, brachte die Volkspartei während der türkis-blauen Regierung nach Kurz' Wünschen auf Linie. Er war mehr General als Sekretär.

Wiederherstellung der Hausmacht

Nach den aufreibenden Jahren als Parteimanager – Nehammer sah sich als "Stoßdämpfer", der sich vor den Parteichef stellte – wurde er Innenminister in der türkis-grünen Regierung. Auf einem Ticket der niederösterreichischen ÖVP und dank seiner Loyalität zu Kurz. Zum engsten Kreis um den damaligen Kanzler hat Nehammer allerdings nie gehört.

Eigentlich hätte der Soldat ja gerne das Verteidigungsministerium übernommen, doch Kurz hatte ihn fix im Innenministerium eingeplant. Das war auch eine Machtdemonstration: Nach dem FPÖ-Politiker Herbert Kickl übernahm wieder ein ÖVPler die Leitung des Innenressorts, und zwar ausgerechnet einer aus der niederösterreichischen Volkspartei, die das wichtige Haus jahrzehntelang, neutral formuliert: geprägt hat.

Hackende Hände und harte Rhetorik

Inhaltlich waren die Unterschiede zu Kickls Politik überschaubar: Nehammer präsentierte sich als Bekämpfer illegaler Migration, als Hardliner. Als Zivilgesellschaft und der Koalitionspartner wegen der nächtlichen Abschiebung zweier gut integrierter Kinder protestierten, blieb Nehammer hart. Genauso, was die Forderungen betraf, Familien und Kinder aus dem griechischen Elendslager Moria nach Österreich zu holen. Ganz so, wie es die Parteistrategie von ihm verlangte. Schließlich fußte der Erfolg der neuen Volkspartei darauf, der FPÖ mit rechter Politik das Wasser abzugraben.

Entsprechend fällt auch der Auftritt des Rhetorik-Profis aus, der sich seit seiner Zeit als ÖVP-Generalsekretär nicht verändert hat: Nehammer pflegt einen harten Ton, oft an der Grenze zum Schreien. Mit seinen Händen hackt, greift oder schlägt er in die Luft. Auf die Spitze trieb der Innenminister diesen Stil bei den mittlerweile legendären Pressekonferenzen zu Corona-Lockdowns: "Wie unvernünftig kann man sein?", rief er in Richtung jener, die 2020 heimlich Partys feierten.

"Wenn er kein Argument hat, wird er persönlich"

Es sind allerdings gerade die Grünen, die vom guten Umgang mit dem 49-Jährigen schwärmen: Nehammer sei hinter den Koalitionskulissen nicht nur freundlich im Ton, sondern zeige auch Verständnis in inhaltlichen Fragen, hört man beim Juniorpartner. Der Minister wird als Brückenbauer zwischen den Parteien gesehen – gerade in Zeiten, in denen Volkspartei und Grüne nicht besonders gut aufeinander zu sprechen sind.

Aus der Opposition im Parlament hört man anderes: Es möge schon sein, dass Nehammer mit den Grünen konstruktiv und freundlich sein kann, wenn es ihm gerade nutzt oder aufgetragen wurde. Außerhalb der Koalition sei der Unterschied zum harten Auftreten in der Öffentlichkeit aber nicht spürbar: "Wenn er kein Argument hat, wird er persönlich", sagt jemand aus der Opposition. Ein inhaltliches Einlenken des Innenministers sei undenkbar. Einzig bei der Neuaufstellung des Verfassungsschutzes sei Nehammer kompromissbereit aufgetreten – weil ihm ein Konsens im Parlament wichtig war.

Schuldzuweisungen nach der Terrornacht

Seine wohl schwierigsten Stunden als Innenminister erlebte Nehammer während des Terrorattentats im November 2020. In der Nacht des Anschlags suchte er noch verbindende Worte, beschwor den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Doch wenig später ortete er angebliche Verfehlungen im grün-geführten Justizministerium, die im Zusammenhang mit dem Anschlag stünden – dabei war es sein Ministerium, in dem dramatische Fehler im Vorfeld der Tat geschehen waren.

Seinem von Härte geprägten Stil muss Nehammer einige neue Facetten hinzufügen, sollte er tatsächlich Sebastian Kurz als ÖVP-Chef und Alexander Schallenberg als Kanzler nachfolgen: Beide Aufgaben verlangen die Fähigkeit zum Ausgleich und diplomatisches Geschick.

Den später so wichtigen Gehorsam lernte der junge Karl Nehammer wohl auch in seiner Schulzeit am Kollegium Kalksburg, einer katholischen Privatschule in Wien-Liesing. Dort sei er allerdings als widerspenstiger Schüler aufgefallen, so berichtet es das Magazin des Ehemaligenvereins der Schule an der Grenze zu Niederösterreich.

Verbindung von Niederösterreich und Wien

Die Verbindung des größten Bundeslands mit Wien zieht sich durch Nehammers Karriere und sein Privatleben: Die ersten politischen Schritte setzte er in Niederösterreich, wechselte aber bald in den Bund; den Einzug in die Bundesregierung ermöglichte ihm die niederösterreichische Landespartei, aber auch Kurz' Vertrauen; Nehammer lebt mit seiner Frau Katharina und zwei Kindern in Hietzing, ist dort auch Bezirksparteiobmann der ÖVP, verbringt aber auch Zeit im Elternhaus in Klosterneuburg.

Geht es nach einigen einflussreichen schwarzen Landesparteien, wird Nehammer nun nicht nur ÖVP-Chef, sondern auch Kanzler. Mit Sebastian Kurz ist ihm seine Wiener Machtbasis zwar weggefallen – aber in Niederösterreich hat man sich umso stärker für ihn eingesetzt. Ein Bundeskanzler Nehammer wäre also auch der personifizierte Beweis der Rückkehr der schwarzen Landesparteien. (Sebastian Fellner, 2.12.2021)